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BIEL/ SOLOTHURN: LES FÉES DU RHIN. Oper von Jaques Offenbach. Neuinszenierung

Die Mütter der Barcarole

08.12.2018 | Oper

Jacques Offenbach: Les Fées du Rhin/Die Rheinnixen, Theater Biel Solothurn, Premiere Biel: 02.11.2018, Premiere Solothurn 30.11.2018 Besuchte Vorstellung: 08.12.2018 (6. Vorstellung, 2. Vorstellung in Solothurn)

Die Mütter der Barcarole

Unter den Theatern der Schweiz, die mit eigenem Ensemble regelmässig Musiktheater spielen, ist das Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) die kleinste Kompanie. Regelmässig bespielt werden die Stadttheater in Biel (280 Zuschauer- und 30 Orchestersitze; Bühnenmasse 8x7x4,5 m) und Solothurn. Seit 1895 sind die beiden Theatern in verschiedenen Formen verbunden (1927-1995 als Städtebundtheater, an dem 1941 Lisa della Casa debütierte), seit 2013 als Theater Orchester Biel Solothurn. Des Weiteren gastiert die Kompanie regelmässig an anderen Schweizer Theatern ohne eigenes Musiktheater-Ensemble, so in dieser Saison in Vernier, Vevey, Düdingen, Visp, Thun, Burgdorf, Langenthal, Olten , Baden, Winterthur und Schaffhausen. Residenztheater im eigentlichen Sinn hat die Schweiz auf Grund ihrer Geschichte keine. Am ehesten die Kriterien erfüllen dürfte noch das Stadttheater Solothurn, da hier die «Ambassadoren» des französischen Königs residierten. Mit dem Sieg in der Schlacht von Marignano und dem Soldbündnis von 1521 hatte sich der französische König ein Quasi-Monopol auf Schweizer Söldner gesichert und so entwickelte sich in Solothurn bald höfisches Leben. Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde Theater gespielt und dann 1729 im Jesuitencollegium ein entsprechender Saal hergerichtet, der bereits weitgehend dem heutigen Stadttheater entsprach. 1778 wurde dann das Gebäude als solches zum Stadttheater. Im Rahmen der Vorarbeiten zur Generalsanierung des Theaters vom Sommer 2013 bis Herbst 2014 entdeckte die Denkmalpflege im Theatersaal verborgene Malereien: Fresken von Felix Joseph Wirz (1743-1795) von 1778/1779, also aus der Entstehungszeit des Theaters. Die Holzkonstruktion der Zuschauerränge wurde im Rahmen weiterer Untersuchungen ebenfalls dem 18. Jahrhundert zugeordnet. Sie gehen somit auf den Entwurf des bekannten Architekten Paolo Antonio Pisoni (1738-1804) sowie des Zeichners Laurent Louis Midart (1733-1800). Nach der Renovation weist das Theater 262 Zuschauer- und 30 Orchestersitze auf, die Bühne hat die Masse von 8x6x4,2 m. Der Spielplan des TOBS und seiner Vorgänger zeichnet sich durch eine gelungene Mischung von „Kernrepertoire“ und „Raritäten“ (oder Stücken die es einmal waren), aus. So waren in den letzten Jahren Die lustige Witwe, La Traviata, Don Pasquale, La Cenerentola und Norma zu erleben, aber auch Werke wie Britten’s „Owen Wingrave“, Rota’s „La notte di un nevrastenico“, Gretry’s „Tell“, Rossini’s „Tancredi“ und „Le Comte Ory“, Myslivecek’s „Antigona“, Lortzing’s „Zar und Zimmermann“ oder aktuell Offenbach’s „Les Fées du Rhin“.

Regisseur Pierre-Emmanuel Rousseau (Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme) hat für seine Inszenierung, ganz in der Tradition der Grand-Opéra die Handlung in der Vergangenheit zu verorten, einen aus heutiger Sicht historischen Hintergrund gewählt. Die Handlung ereignet sich „in einem Wald auf dem Balkan“. Mit der Gestaltung der Kostüme wird klar, dass der Rousseau etwa zwei Jahrzehnte von der Zeitebene der Gegenwart abweicht. So gelingt es ihm, mit dem „fernen Spiegel“, mit den Jugoslawienkriegen als letzte beendete Kriege in Europa, den Blick auf ein heisses Problem der Gegenwart zu lenken. Hebt sich nach der Ouverture der Vorhang, findet sich der Zuschauer auf einer herbstlichen Waldlichtung wieder. Alles, was für das Dorffest nötig ist, wurde auf einem kleinen Anhänger  verstaut und hierher gefahren. Gottfried, nach der kritischen Partitur ein „Jäger aus dem Nahetal“, jagt hier Seelen und ist der Priester des Dorfes.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Hedwig, „Besitzerin eines Sicking’schen Pachthofes am Rhein“, ist bereits vor Ort. Hedwig etabliert nun die Handlung: Sie fordert Gottfried, der ein Auge auf ihre Tochter Laura (im deutschen Libretto der kritischen Ausgabe heisst sie Armgard). Laura aber liebt Franz Waldung, der sich von einer Truppe Landsknechte unter dem Kommando von Conrad von Wenckheim hat anwerben lassen. Seit seinem Aufbruch hat man nichts mehr von ihm gehört. Hedwig, ganz Mutter, die ihre Tochter im Stillen leiden sieht, fordert Gottfried auf den Krieg zu verfluchen. Laura ihrerseits versucht ihren Kummer im Gesang zu ersticken. Dazu finden sich auf dem Wagen Mikrofon und Lautsprecher, so dass Laura erst einmal die Dorfgemeinschaft unterhalten kann.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Die Männer des Dorfes haben einen Soldaten aufgegriffen, der ihnen berichtet, dass Conrad von Wenckheim mit seinen Landsknechten das Dorf überfallen wird. Das Licht geht aus, die Soldaten treten auf und leuchten mit ihren Taschenlampen ins Publikum. Rasch wird klar, mit wem man es zu tun hat: bei der Mannschaft fliesst das Dosenbier in Strömen, der Anführer nimmt auch gerne mal eine Nase voll und „Männlichkeitsgehabe“ ist allgegenwärtig.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Laura gefällt dem Anführer Conrad besonders und sofort er sie auf zu singen, während sich die Mannschaft an der weiblichen Bevölkerung des Dorfes vergeht. Laura singt hier ihr „Vaterlandslied“. Laura entdeckt Franz unter den Landsknechten, aber er reagiert, wegen einer Kriegsverletzung am Kopf, nicht auf sie. In dem Moment, als Franz sie wieder erkennt, greift Laura Conrad mit einem Messer an und wird von einem Getreuen Conrads angeschossen. Die Soldaten halten sie für tot und lassen sie in den Armen Hedwigs zurück. Der zweite Akt nach der Pause führt den Zuschauer auf ein Gräberfeld. Hedwig beklagt den Tod Lauras. Sie glaubt, Laura sei nun auch eine Elfe. Gottfried gesteht sie, dass Laura die Frucht eines Seitensprungs mit einem Soldaten, der sie verführte ist. Conrad tritt auf: er sucht einen Ortskundigen, der ihm seinen Mannen, darunter Franz, den Weg zur Ebernburg in Sickingen weisen kann. Gottfried bietet sich an, den er will Lauras Tod rächen: Statt zur Ebernburg führt er die Landsknechte zum Elfenstein und hofft, dass die Landsknechte dort den Verführungen der Elfen erliegen. Laura tritt auf: sie war nur ohnmächtig und folgt nun heimlich den Männern in der Hoffnung Franz retten zu können.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Während einem Intermezzo bevölkern die Tiere des Waldes die Bühne.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Dann tanzen die Elfen: es sind die Frauen aus dem Dorf in ihrer lokalen Tracht, die nun ein schwarzen Schleier vor dem Gesicht tragen. Die Elfen locken die Landsknechte in Abgrund. Laura bittet sie, Franz  zu verschonen. Die Rettung gelingt und Franz erhält durch den Glockenklang in der Ferne seine Erinnerung zurück. Die Soldaten sind umgekommen, nur Franz und Conrad haben überlebt. Hedwig ist immer noch nicht klar, dass Laura überlebt habt: so klärt sie Conrad darüber auf, dass er seine Tochter umgebracht habe. Laura trit auf und es gelingt ihr nun Hedwig aufzuklären: „Ich lebe, alles war ein Traum!“.


Bildrechte: Konstantin Nazlamov

Suchscheinwerfer leiten das Finale ein. Conrad schwört dem Kriegshandwerk ab und flieht mit den beiden Frauen: „O liebes Land, o schönes Land, o schönes ew’ges Vaterland!“

Die Aufführung zeigt deutlich, wieso es zu einem Unterbruch von fast 150 Jahre in der Aufführungsgeschichte des Werkes gekommen ist. Gründe sind die widrigen Umstände der Uraufführung an der Wiener Hofoper, die das Werk in Auftrag gegeben hatte wie auch das politische Zeitgeschehen als solches. Zwei Nummern der Fées aber, die beiden Leitmotive der Oper, haben den Weg in Hoffmann’s Erzählungen gefunden: Das Trinklied Conrads wurde zum Chant bachique und die Elfenmusik zur Barcarole. „Les Fées“ wurde an der Hofoper uraufgeführt, nachdem die Proben zur Uraufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ abgesagt wurden. Das löste Unmut bei Wagner selbst, vor allem aber auch bei der wagnertreuen Presse aus. Eduard Hanslick riet Offenbach in seiner Kritik der Uraufführung (in Auszügen im Programmheft abgedruckt), er solle sein Territorium „nur ausdehnen, aber nicht wechseln.“ „Wir haben grösseren Mangel an guten komischen, als an guten tragischen Opern.“
Hinzu kommen die politischen Umstände der Zeit: Lauras Lied ans Vaterland, als Liebeslied mit Harfenbegleitung, entwirft die Utopie eines friedlichen, nach innen gerichteten Patriotismus, für den Deutschland zwei Jahre vor dem Krieg gegen Österreich und sechs Jahre vor dem Krieg gegen Frankreich einfach nicht reif war. Wichtigster Grund dürfte aber gewesen sein, dass das Werk für seine Zeit zu modern war und nicht den Vorurteilen entsprach, die man Offenbach gegenüber hatte. Offenbach erweist sich absolut auf der Höhe der Zeit und gibt eine Synthese der Opernstile seiner Zeit, greift aber, was zum Beispiel Instrumentalisierung, dramatischen Zug oder Naturschilderungen betrifft, seiner Zeit weit voraus. Ebenso wenig konnte man sich in einer von Nationalismus und Chauvinismus, Hochmut und Machtphantasien geprägten Zeit mit einem Werk anfreunden, das ein friedliches Bild vom Vaterland und Zusammenleben in Europa. Die musikalische Modernität des Werkes kulminiert im Finale der Oper: Hier überblendet Offenbach die beiden Leitmotive.

Benjamin Pionnier dirigiert wie schon in Tours die Erstaufführung der Originalfassung in Tours (Offenbach hatte seine Musik auf das französische Libretto komponiert; Alfred von Wolzogen übersetzte das Libretto für die Uraufführung in Wien auf Deutsch). Weshalb Lauras Vaterlandslied und die Elfenmusik auf Deutsch gesungen werden, lässt sich nicht nachvollziehen. Soll es die Würdigung Biels als zweisprachiger Stadt sein? Das wäre arg weit hergeholt. Pionnier hat das bestens disponierte Sinfonie Orchester Biel Solothurn immer im Griff und kann seine Klangvorstellungen so wie gewünscht umsetzen. Eine bessere Austarierung der Lautstärken wäre wünschenswert, da der Zuschauer in dem sehr intimen Haus doch sehr nahe am Orchester und der Bühne sitzt (Distanz Bühne – erste Reihe etwa 5 Meter). Serenad Burcu Uyar gibt wie schon in Tours die Laura und zusammen mit Susannah Haberfeld, die Hedwig, ihre Mutter, gibt, tut sie dies mit vollem stimmlichen wie darstellerischen Einsatz. Hedwig und Laura prägen nicht nur das Libretto sondern auch die Aufführung und geben ihr den nötigen dramatischen Zug. Gustavo Quaresma, der in dieser Saison am TOBS bereits erfolgreich den Don Ramiro gab, leiht dem Franz seinen hellen Tenor und gibt so der vom Libretto her eher blassen Figur dien notwendigen Charakter. Leonardo Galeazzi verkörpert Conrad von Wenckheim, den Anführer der Landsknechte (Chor des Theater Orchester Biel Solothurn einstudiert von Valentin Vassilev) absolut glaubwürdig mit seinem prächtigen Bariton. Lisandro Abadie als Gottfried komplettiert das Ensemble. Chloé Suard (Fee) und Yi-An Chen (Ein Soldat / Ein Bauer / Ein Landsknecht) sind Studierende der Hochschule der Künste Bern und vertreten das Schweizer Opernstudio.

Es ist jedes Mal aufs Neue absolut bewundernswert, welche Leistung das TOBS auf die Bühne bringt. Hier lässt sich Offenbach von einer völlig neuen Seite entdecken und die Vorurteile der letzten 140 Jahre, die sich, so Christophe Keck, verdienstvoller Herausgeber der kritischen Edition, bis in die neuesten Publikationen halten, werden beseitigt. Mit Les Fées du Rhin lässt sich ein Singulär der Opernliteratur in ungewohnt intimer Atmosphäre und die unbekannte Seite des „alt bekannten“ Offenbach erleben. EIN ABSOLUTES MUST!

Jan Krobot

Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Tours

Weitere Aufführungen
Biel: Di 18.12.18, 19:30; Fr 21.12.18, 19:30; So 23.12.18, 17:00; Fr 18.01.19, 19:30; So 27.01.19, 17:00; Di 29.01.19, 19:30. Solothurn: Sa 29.12.18, 19:00; Mi 02.01.19, 19:30; Mi 09.01.19, 19:30; Do 24.01.19, 19:30. Schaffhausen, Stadttheater: Mo 21.01.19, 19:30; Di 22.01.19, 19:30. Thun, KK: Sa 02.02.19, 19:30.

10.12.2018, Jan Krobot

 

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