„Lohengrin“. Foto: Sabine Burger
THEATER BIEL/ BIENNE: Schweizer Erst-Aufführung der zwei Kammeropern „Radames“ von Peter Eötvös kombiniert mit „Lohengrin“ von Salvatore Sciarrino als szenischer Doppelabend am Theater Biel-Bienne
Besuchte Vorstellung : Premiere am 14.Dez 2018 von Dr. Michaela Hirsch
„Elsa spinnt den dramaturgischen Faden“
Das ambitionierte kleine Opernhaus Biel-Bienne wagt sich mit Erfolg an die szenische Realisition von zwei zeitgenössischen Kammeropern, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Die Tonsprachen von Peter Eötvös und Salvatore Sciarrino könnten kaum unterschiedlicher sein, obwohl die Komponisten 1944 in Transylvanien bzw 1947 in Palermo geboren wurden. Peter Eötvös klagt in seinem Frühwerk „Radames“ mit nur 3 Instrumenten fast laut, direkt und sehr expressionistisch den Kulturabbau durch Einsparungen an und karikiert in seiner Oper die hierarchischen Beziehungen back-stage während einer Probe. „Radames“ provoziert das Publikum mit „Theater-iterna“ wie überflüssigen Dramaturgen, hysterisch und menschenverachtend agierenden Regisseuren zu Lachsalven. Dagegen zwingt Sciarrino mit seinen 19 Musikern und nur einer agierenden weiblichen Stimme zum fast religiösen Innehalten und Zühören, fast „mitatmen“.
„Radames“. Foto: Sabine Burger
Bruno Berger-Gorski`s „Radames“- Inszenierung zeigt witzig den Theater-Alltag als öffentliche Probe mit dem typisch rauchenden Film-Regisseur Javid Samadov mit wunderbarer kopfbedeckung, der sich u.a. auch an der Gardrobiere vergreift ( „ Me too“ lässt grüssen) und dem herrlichen Countertenor Rafal Tomkiewiscz sinnlose Regie-Anweisungen gibt.
Die gut disponierten und engagierten Musiker des Sinfonie-Orchesters Biel-Solothurn spielen im „Radames“ auch szenisch mit und feuern in der inszenierten „Pause“ den langsam „ausgelaugten“ Counter-Tenor zu Höchstleistungen an ! Der Klarinettist und Counter geben ein herrliches Duo, währen der Dirigent Yannis Pouspourikas Cafe serviert ! Auch die Bühnen- Techniker rocken den Saal und neben dem Kokain schnupfenden Film-Regisseur verführt ein tanzender Inszpizient (Daniel Liger) einen unschuldig wirkenden jungen Techniker, der erschüttert die Probe verlässt. Genau inszenierte Details bringen das Publikum immer wieder zum Lachen, das allerdings am Ende des Einackters im Halse stecken bleibt : Der aus Polen angereiste Countertenor muss aufgrund von Einsparmassnahmen sowohl die Partien des „Radames“ wie auch den Part der „Aida“ singen und spuckt im Duett des Finale Blut, während die offensichtlich gut bezahlten Dramaturgen (Kostüme : Dirk Hofacker) und überflüssigen Regisseure weiter TV-Interviews geben und selbst den totkranken Counter-Tenor zum Weitersingen auffordern.
Die Hierarchie des Theater-Berufes karikieren überzeugend Javid Samadov als rauchender Macho-Film-Regisseur und der besonders genau gezeichnete Konstantin Nazlamov als schlangenhaft agierender und völlig nutzloser Dramaturg. Nazlamov kann mit seinem gut verständlichen und textgenauen Tenor als endlos und sinnlos quatschender Dramaturg das Publikum mit seinen verdrehten Texten und seiner intriganten Theater-Falschheit immer wieder zum Lachen bzw Nachdenken verleiten. Der junge Rafal Tomkiewicz aus Warschau als „Radames“ hat einen phantastisch durchschlagkräftigen und immer intelligent geführten Counter-Tenor. Er könnte eine grosse Karriere vor sich haben. Biel-Bienne war schon immer bekannt für seine Nachwuchs-Entdeckungen.
Die subtil und auch teilweise zynisch überzogene Inszenierung von Berger-Gorski überzeugt besonders mit dem interessanten Detail der psychologisch genau geführten Celine Steudler als Opernregisseurin /Regieassistentin, die für den arg malträtierten Tenor mitempfindet und als einziger „mitfühlender“ Charakter ihren dramaturgischen Faden durch beide Werke spinnt.
Die Opern-Regisseurin /Assistentin und spätere Elsa umspannt schützend am Ende den auf der Szene sterbenden Counter-tenor Radames mit ihren weissen Fäden. Sie rettet die Kunst ? Diese weissen Schnüre erklären sich beim LOHENGRIN von Sciarrino als eingesponnene Kokon-Fäden, in denen Radames als Lohengrin-Vision wieder erscheint.
„Lohengrin“. Foto: Sabine Burger
Wie Radames ohne Aida seine Duette darstellen muss, fehlt beim anschliessenden „Lohengrin“ ebenfalls der Partner: Celine Steudler als atemberaubende „Elsa“ muss – wie zuvor Radames- allein ihre Duette mit dem nur in ihrem Inneren existierenden „Lohengrin“ singen und Berger-Gorski ist mit dem wieder auftretenden Radames als Lohengrin ein dramaturgischer Kunstgriff gelungen: der zur Mumie verunstaltete Radames erscheint für Elsa als eingewickelte weisse „Licht-Kunst-Figur Lohengrin“ in ihrem Sanatorium.
Die anderen Darsteller des vorangegangenen „Radames“ (Nazlamov, Perez und Samadov ) singen im „Lohengrin“ als genau ausbalancierter Chor hinter der Szene bzw agieren in den wenigen „realen“ Szenen im Sanatorium als Krankenpfleger, die Elsa ihr Brautkleid zur Beruhigung in die Arme legen.
Die Musikalische Sprache Salvatore Sciarrino mit seinem 19 köpfigen Orchester betört in seiner Intensität und zwingt das Publikum zum absoluten Zuhören ! Die Zuschauer werden wie magisch in die Traumata-ähnlichen Zustände der verlassenen Elsa hineingezogen – Lohengrin hat Elsa verlassen, denn er bevorzugt bei Salvatore Sciarrino`s Vorlage von Jules Laforge durchtrainierte maskuline Hüften und die verstörte Elsa muss seinen Abschiedssatz immer wieder stammelnd, stotternd und gurrend innerlich verarbeiten.
Die engagierten Musiker des Sinfonie-Orchesters Biel -Solothurn werden unter der musikalischen Leitung von Yannis Pouspourikas zu Höchstleistungen angeführt: Unter seinem Dirigat verschmelzen die pianissimi des Orchester und die alles beherrschende Celine Steudler zu einer genialen Einheit.
Das auf der Bühne plazierte Orchester scheint wie die Sängerin konkonartig verwoben in einem vom Ausstatter Dirk Hofacker entworfenen „Seelenraum“ eines eingesponnenden Sanatoriums in magischer Beleuchtung von Samuele D`Amico.
Die in ihre Gefühlswelt flüchtende und sich von der Welt verabschiedende Elsa wickelt sich folgerichtig am Ende des „Lohengrin“ selbst ein – wie sie schon den „Radames“ vor der Realität des Theater-Alltags schütze.
„Lohengrin“. Foto: Sabine Burger
Ein Lob für alle Beteiligten und besonderer Dank für die ambitionierten Musiker des kleinen Opernhaus Biel-Bienne- Solothurn, dass sich mit der Auswahl und Realisierung dieser beiden besonderen Werke mit der ersten Liga der grossen Opernhäuser messen kann. Eötvös und Sciarrino gelten zu Recht als die führenden Repräsentanten ihrer Generation und die zuerst seltsam anmutende Verbindung dieser beiden konträrer Tonsprachen und Werke geht in diesem Konzept auf.
Das Publikum feierte anhaltend und zu Recht Celine Steudler, den Counter Rafal Tomkiewicz, das Regieteam sowie die Musiker des Symphonie-Orchesters Biel –Solothurn unter der umsichtigen Leitung von Yannis Pouspourakis.
Dr. Michaela Hirsch
Folgevorstellungen am 28.dezember, 4., 10., 26 und 30.Januar sowie am 22., 26. und 27. Februar 2019.