Berta Zuckerkandl:
ÖSTERREICH INTIM
Erinnerungen 1892 bis 1942
280 Seiten, Amalthea Verlag, 2013
Es ist für die jeweiligen Segmente einer Gesellschaft unerlässlich, dass es Schaltstellen gibt, Orte der Begegnung, wo Austausch aller Art stattfinden kann. In kulturellen Kreisen haben die mehr oder minder deklarierten „Salons“ reicher, intellektueller (und sehr oft jüdischer) Frauen diese Funktion erfüllt, und Berta Zuckerkandl (1864-1945) war ein wichtiger Name in jenem Wien, das man unter „Fin de Siècle“ subsumiert, obwohl auch die Jahrzehnte davor und danach damit gemeint sind.
Ihr Erinnerungsbuch „Österreich intim“ war 1970 posthum veröffentlicht und viel beachtet worden, dann wieder aus dem Buchhandel verschwunden. Die Neuausgabe im Amalthea Verlag greift auf den 150. Geburtstag der Autorin im nächsten Jahr voraus, aber es ist das Bedenkjahr 1938 / 2013, das auch in das Leben von Berta Zuckerkandl einschnitt und die eingefleischte Österreicherin ins Exil trieb, wo sie dann auch starb.
Welche Welt sie zurückließ, das liest man nun wieder mit Genuß – auch wenn die Zuckerkandl ein wenig als JohannaDampf in allen Gassen erscheint. Sie kannte jeden, wusste alles, tratschte alles weiter – jede Gesellschaftsillustrierte heute würde sich eine solche Frau wünschen, die im Zentrum des gesamten kulturellen Geschehens steht. Durch ihren Vater, den berühmten Moritz Szeps, Chefredakteur des „Neuen Wiener Tagblatts“, hatte sie Verbindungen zu Journalistenkreisen und schrieb selbst Artikel, immer auf der Seite der damaligen Moderne, immer kämpferisch voran.
Von Berta Zuckerkandl erfährt man aus erster Hand und in direkter Rede, was Arthur Schnitzler sagte (der sie animierte, ihre Erinnerungen zu schreiben) und was Gustav Mahler sprach, sie wusste von Affären und Krawallen, verkehrte in Kreisen des Kaiserhauses ebenso wie unter Ärzten (ihr Gatte, Emil Zuckerkandl, 1849-1910, war einer der berühmtesten Anatomen seiner Zeit). Ob Klimt oder Sigmund Freud, ob Schönberg oder Otto Wagner, ob Zweig oder Werfel, kein großer Name fehlt hier. Selbst in die Politik war sie (durch verwandtschaftliche Beziehungen zu Frankreichs George Clemenceau) verwickelt.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Berta Zuckerkandl im Zentrum des kulturellen Geschehens, ob es die neu gegründeten Salzburger Festspiele betraf oder Reinhardts Josefstadt. Schade, dass das Buch kein Personenregister hat – für viele Leser wäre es interessant, nach „ihren“ jeweiligen Schwerpunkten Ausschau zu halten, zumal es sich hier ja um keine zusammenhängende Erzählung, sondern um eine bunte Folge von Einzelartikeln handelt, die sich zu einem prächtigen Mosaik einer kulturell überreichen Epoche zusammen setzen.
Renate Wagner