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Bernhard Viel: EGON FRIEDELL

21.04.2013 | buch

Bernhard Viel:
EGON FRIEDELL
Der geniale Dilettant
Eine Biographie
352 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2013

2013 ist für Österreich ein schwer lastendes „Bedenkjahr“, denn vor 75 Jahren ging mit dem deutschen Einmarsch vieles zu Ende – und viel Schlimmes begann. Einer, der sein Ende suchte, weil er intelligent genug war, um den schnellen Tod vorziehen, statt grauenhaften Qualen entgegenzugehen, war der österreichische Schriftsteller Egon Friedell. Heute noch findet man in der Gentzgasse 7 eine Erinnerung daran, dass am 16. März 1938 seine Leiche am Gehsteig lag, weil er es beim Läuten an der Tür – die SS fragte nach dem Juden – vorzog, den kürzesten Weg „hinüber“ zu nehmen…

Man kann nicht sagen, dass die Person von Egon Friedell in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt worden wäre – man hat seine Werke neu herausgebracht (vor allem auch die „Kulturgeschichte“), man hat ihm manches Biographische gewidmet, manches profund analysiert.

Nun, zum 75. Todestag erscheint im renommierten Beck-Verlag jene Biographie, die schon mit ihrem Umfang (352 Seiten) gewissermaßen als „umfassend“ gedacht ist.

Sie führt auch nach ein paar Präliminarien zu Beginn von der Wiege bis zur Bahre – der Sohn aus wohlhabendem jüdischem Haus (was ihm lange Zeit ermöglichte, mehr „spielerisch“ als ernsthaft arbeitend zu leben) mit dem verkorksten Seelenleben: eine Mutter, die ihre unmündigen Kinder verlässt, eine Haushälterin als Ersatzmutter, lebenslang eher seltsame Beziehung zu Frauen. Am wohlsten fühlte er sich wohl als Anbeter, wahrscheinlich war er froh, etwa von Lina Loos letztendlich nicht erhört worden zu sein.

Autor Bernhard Viel koppelt den aufsässigen Schüler Friedell mit seinem „Goethe“-Sketch, der lange Zeit für seinen Ruhm zuständig war, koppelt später den schwankenden Juden Friedell mit seiner nicht wirklich erfolgreichen „Judas“-Tragödie – er hatte sich zu lange zum Clown der Kabarett-Bühnen stilisiert, um dann in seinem Begehren, ernst genommen zu werden, wirklich durchzudringen.

Vom witzigen Schreiber Friedell, vom urigen, übergewichtigen Schauspieler Friedell, vom weidlich versoffenen Unikum Friedell führt der Weg zu jener umfassenden, voluminösen Kulturgeschichte der Menschheit, als deren Verfasser man ihn eigentlich am höchsten schätzen müsste, damit hat der Autor recht. Wie es für Friedell weiter gegangen wäre? Der Sechzigjährige ersparte sich diese Eventualität. Angesichts der Schilderung eines hektischen, aber nicht wirklich tief greifenden Lebens bleibt für den Leser ein trauriger Nachgeschmack.

Dazu muss man sagen, dass dieses Buch gerade für den österreichischen Leser gewissermaßen eine Enttäuschung bedeutet. Was die Einfühlung von Autor Bernhard Viel – dessen Herkunft weder Verlag noch Internet preisgeben, aber Deutschland im weitesten Sinn ist anzunehmen – in sein Thema betrifft, so soll hier nicht österreichischer Lokalpatriotismus beschworen werden. Aber man spürt, dass sich hier jemand ist in eine breite, unendlich vielschichtige Problematik eingearbeitet hat – und nicht wirklich imstande war, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden.

So stehen neben klugen Analysen ausufernde Schilderungen von Dingen, die mit Friedell wenig zu tun haben (Gewiss, Peter Altenberg und Lina Loos waren wichtig für ihn, aber keinesfalls alles, was sich in deren Leben abgespielt hat…!) und man wird den Eindruck nicht los, als wäre es da im journalistischen Sinn oft darum gegangen, „Zeilen zu schinden“.

Andererseits hätte man es immer wieder gern ein bisschen genauer gehabt und gewusst: Bei vielen Gelegenheiten fährt der Autor mit schneller Feder über zahllose Ereignisse faktischer und psychologischer Natur einfach hinweg, ohne näher darauf einzugehen, was ein seltsam unbefriedigtes Gefühl zurücklässt. Man hätte zu vielen schlichten Behauptungen doch ganz gerne die Begründungen dazu geliefert erhalten.

Seltsam auch der ganz unterschiedliche Zugang, den der Autor zu seinem Thema nimmt: Manchmal nähert er sich seinem Objekt (das ein Subjekt ist) fast so intim wie ein Romanschriftsteller, wenn er ihn in schwungvollen Details an seinem Schreibtisch oder in seiner Wohnung schildert (was einfach feuilletonistisches Geplaudere ist). Dann ufert er in lange Analysen aus. Dann bleibt er wahrlich (vor allem, was das „Theaterleben“ Friedells betrifft) interessante Details schuldig, berücksichtig die äußere Logistik dieses Lebens zu wenig (ein Hinweis wie dieser, Friedell habe in Budapest einen Nestroy gespielt, hängt völlig in der Luft – wie kam es dazu, worum hat es sich gehandelt, wie stand er zu diesem Autor?). Diese Unausgewogenheit hinterlässt oft den seltsamen Eindruck, als gäbe es über den gewählten Gegenstand gar nicht so viel zu erzählen – und das war ja wohl kaum der Fall.

Übrigens: Auch wenn es Max Reinhardt war, der Egon Friedell einen „genialen Dilettanten“ nannte, ist es dennoch nicht wahr. Denn Friedell war ein hoch begabter, witziger, souveräner Schreiber, der mit seinen Mitteln umzugehen wusste – aber weder genial noch dilettierend. So gut sich der Untertitel auch macht, man hätte, da er ja nur ein falsches Vorurteil bestätigt, darauf verzichten können.

Renate Wagner

 

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