Bernd Weikls „Wahn, Wahn, überall Wahn“ auf der Leipziger Buchmesse
WAHN, WAHN, ÜBERALL WAHN
Ein Buch und ein Abend für Kammersänger Bernd Weikl
Noch ein Te Deum und das Hochamt für den nicht anwesenden Kammersänger wäre perfekt gewesen. Aber das bei weitem nicht überzogene Weihevolle dieses Abends während der Leipziger Buchmesse 2023 war dem Anlass und dem Mann angemessen. Denn es ging um einen außergewöhnlichen Menschen und ein Buch – ein besonderes Buch zur Person und zum Künstler Bernd Weikl.
Die ihm auf den Leib geschriebene Rolle des Hans Sachs aus „Die Meistersinger von Nürnberg“, was ihm den Ehrentitel „Jahrhundert-Sachs“ eingebracht hatte, bot auch das passende Zitat für den Titel des Buches. Es war ein Gemeinschaftswerk von sechs Personen, das anlässlich des 80. Geburtstags des Sängers und Autoren und des
Mahners Bernd Weikl am 29. Juli 2022 erschienen war. Initiatorin Christiane Meine und Verleger Gerald Diesener überreichten es schließlich dem Jubilar an seinem Lebensmittelpunkt Hamburg. Pandemie und Erkrankung hatten viele Ideen zur öffentlichen Ehrung und Auszeichnung in Frage gestellt, auch weil 2022 die Leipziger Buchmesse erneut ausfallen musste.
Doch was nutzt der Blick zurück, wenn sich neue Möglichkeiten eröffnen. Leipzig zelebrierte im April 2023 seine Buchmesse und das Gastland war Österreich. Nichts passte besser als Rahmen, zumal Weikl Deutsch-Österreicher ist, der in Wien geboren wurde.
Und somit kam eine gediegene Gästeschar zusammen, um das Buch, in dem viele Künstlerkollegen und Wegbegleiter von Christian Thielemann, über Kammersängerin Edda Moser bis zu Placido Domingo teils dankbar, teils scherzhaft, teils nachdenklich oder ernst, aber immer sehr persönlich Bernd Weikl zum Geburtstag gratulierten und dabei so manche Szene und Anekdote aus einem reichen wie abwechslungsreichen Künstlerleben Revue passieren ließen. Das Buch ist in Inhalt und Form wertvoll, mithin ein Kompendium, ein Who is Who der künstlerischen Zeitgenossen Bernd Weikls.
Bernd Weikl 2021 im Theatermuseum Wien anlässlich der Schenkung der Falstaff-Puppe an das Museum
Dem wurde die Vorstellung in jeder Hinsicht gerecht, changierte doch der Abend immer zwischen Buchpräsentation und Erinnerung an den damit Gewürdigten. Gekonnt war der Ablauf arrangiert, auf charmante Weise moderiert von Carolin Masur, Sängerin und Tochter des langjährigen Leipziger Gewandhauskapellmeisters. Musikalisch gefasst wurde das Ganze von Einspielungen der Arie „An jenem Tag“ des Hans Heiling aus der gleichnamigen Oper von Heinrich Marschner und – quasi als fröhliche Auflösung des Abends – „Als mei Ahnerl 20 Jahr“ aus Der Vogelhändler von Carl Zeller.
Aber auch an Wendepunkten der deutschen Geschichte war Bernd Weikl gesanglich beteiligt. Die letzte DDR-Regierung hatte es sich am 2. Oktober 1990 nicht nehmen lassen, kurz vor dem Ende des Staates, den sie repräsentierte, im damaligen Schauspielhaus, heute Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt, ein Vereinigungskonzert zu geben, bevor sie beim Feuerwerk am Brandenburger Tor um Mitternacht neben der alten und neuen BRDRegierung in der Unscheinbarkeit verschwand. Dabei sang Peter Schreier für die DDR und Bernd Weikl für die alte BRD. Dessen Arie „O Freunde, nicht diese Töne“ aus Beethovens Neunter Sinfonie hatten auch diesen Leipziger Abend eröffnet. Höhepunkt wurde aber die Lesung einiger Grußadressen namhafter Kollegen Weikls aus dem Buch von Schauspielerin und Rezitatorin Sibylle Kuhne, die – und das konnte man an diesem Abend wörtlich nehmen – in jeder Beziehung den richtigen Ton traf. Wegen der deutschen Teilung nur relativ kurze Zeit mit Bernd Weikl bekannt, berichteten im Gespräch mit Carolin Masur die Leipziger Musikinstitution Roland Seiffarth, über Jahrzehnte Dirigent der Musikalischen Komödie, Thomas Krakow, heute Vorsitzender des Richard-Wagner-Zentrums Mitteldeutschland in Merseburg und Verleger Dr. Gerald Diesener vom Universitätsverlag
Leipzig über erste und/oder nachdrückliche Begegnungen mit der Sängerlegende Weikl. Und dass sie diesen Kontakt wie den gerade erlebten Abend der langjährigen treuen WeiklBegleiterin Dr. Christiane Meine zu verdanken haben. Diesener und Krakow nannten beide als Ausgangspunkt das Buch „Freispruch für Richard Wagner“, das Weikl 2012 gemeinsam mit Peter Bendixen verfasst hatte. Sein damaliges streitbares Werben für sachliches Argumentieren beim Umgang mit dem Leipziger Dichterkomponisten Wagner beeindruckte sehr, wurde jedoch längst vom Mainstream aus Ideologie und Beliebigkeit überlagert. Aber die Erinnerung daran muss weiterleben, weshalb Krakow berichtete, einen nicht unwesentlichen Teil des Nachlasses von Bernd Weikl für das Wagner-Zentrum übernommen zu haben, um ihn in einer Ausstellung zu präsentieren.
Diesener wiederum gehörte mit seinem Verlag zu denen, die für diesen Abend standen. Ebenso Prof. Rolf-Dieter Arens, Präsident der Kulturstiftung Leipzig, der Bernd Weikl noch kurz vor dessen 80. Geburtstag in der Richard-Wagner-Aula „seiner“ Alten Nikolaischule in Leipzig Raum für eine Meisterklasse des Meistersängers bot. Er schlug den Bogen zu Richard Wagner, indem er, wie immer einfühlsam, die Magie und den Zauber des Augenblicks einfangend, mit Wagners „Albumblatt für Mathilde Wesendonck“ Live-Musik erklingen ließ.
Gänsehaut. Das transzendierte den Genius loci der Wagner-Nietzsche-Villa über die Aura des Augenblicks hinaus. Denn dieses Haus bot als Veranstaltungsort mit seiner innen wie außen sichtbaren Symbolik, der Verschränkung des Zarathustra mit dem Ring des Nibelungen, den mystisch-mythologisch aufgeladenen Raum für eine Veranstaltung, die sich am besten in einer sowohl Nietzsche als auch Wagner zugeschriebenen Erkenntnis ausdrückt. „Damit ein Ereignis Größe habe, muss zweierlei zusammenkommen: der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es erleben.“ Treffender geht es nicht.
Thomas Krakow 10. Mai 2023