Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia: Ein Vergleich der Produktionen in Bern und Basel
Bern: https://onlinemerker.com/bern-konzert-theater-il-barbiere-di-siviglia/
Basel: https://onlinemerker.com/basel-theater-il-barbiere-di-siviglia-produktion-der-komischen-oper-berlin/
Nennung der Theater entsprechend der zeitlichen Abfolge der Premieren
„Tutti mi chiedono, tutti mi vogliono, donne, ragazzi, vecchi, fanciulle“
Soweit aus dem Zuschauerraum erkennbar, arbeiten beide Barbiere erfolgreich. Welcher besser ist, kann hier also nicht die Frage sein.
Beiden Produktionen gemeinsam ist die hervorragende musikalische Qualität. In Bern ist der 1. Kapellmeister und Musikalische Leiter des Musiktheaters ad interimMatthew Toogood, in Basel der dort aus Produktionen wie«La fintagiardiniera» und «Maria Stuarda» bekannte David Parry verantwortlich. Beide haben ihre Orchester, das Berner Symphonieorchester und das Sinfonieorchester Basel bestens im Griff und werden der Partitur und ihren Anforderungen weit mehr als nur gerecht. Beide Orchester spielen Rossini so prickelnd, dass das in der Literatur beschriebene Rossini-Fieber sofort spürbar wird. Die jeweiligen Chöre lassen keine Wünsche offen.
Die Solistenrollen sind in beiden Produktionen jeweils mindestens absolut rollendeckend besetzt. Oriane Pons (Bern) und Kristina Stanek (Basel) vermögen als Rosina ebenso zu überzeugen wie Theodore Browne(Bern) und Alasdair Kent(Basel) als Graf Almaviva. Die Solisten überzeugen mit perfekter Technik und perlenden Koloraturen: so muss Rossini klingen. Als Faktotum der Stadt hat Todd Boyce in Bern etwas die Nase vorn: seine Stimme ist etwas kräftiger, markanter als jene von Gurgen Baveyan in Basel. In der Rolle des Alten, der leer ausgeht, liegen Rainer Zaun(Bern) und Andrew Murphy(Basel) gleich auf: beide agieren so, dass sie dem Zuschauer am Ende leidtun können.
Gibt es im musikalischen Bereich der Produktionen so viel Gemeinsames, finden sich vielleicht im Szenischen Unterschiede?
Während Cordula Däuper in Bern sich und ihre Arbeit ganz in den Dienst des Stückes stellt, dient die Arbeit Kyrill Serebrennikovs (2016 entstanden für die Komische Oper Berlin, von Julia Huebner für Basel neu einstudiert)nicht dem Stück sondern der Regie.
Auch wenn Däuper im Programmheft behauptet, die Handlung liesse sich nicht zeitlich verlagern, tut sie es trotzdem, denn ihre unbestimmte Zeit ist ästhetisch durch die Gegenwart geprägt. Einzelne Details, wie die Frisuren der Figuren, die keine Kopfbedeckung tragen, verweisen dann in der Regel doch auf bestimmte Epochen.Däuper ist eine hochpoetische Inszenierung gelungen, die das Schattenspiel (Licht: Christian Aufderstroth) mit den Figuren der Commediadell’arte kombiniert. Grundlage für die Schattenrisse und Schattenspiele ist ein annähernd bühnenfüllender, multifunktionaler Kubus (Bühne: Mareile Krettek). Die Wände dienen als Projektionsflächen, eine Wand kann aufgeklappt werden und gibt den Blick in Bartolos Behausung frei. Das Dach kann hochgeklappt werden, damit Rosinas Billett auch schön fallen kann. Die Kostüme von Pascal Seibicke transportieren frisch und farbenfroh die klassischen Attribute der Commediadell’arte-Figuren ins hier und jetzt. Die Ouvertüre ist als lebendiger Besetzungszettel inszeniert: Figaro stellt mit einem weissen, kleinen, jeweils entsprechend beschrifteten Würfel Fiorello, Berta, Ambrogio und sich selbst vor dem Vorhang vor, dann öffnet sich der Vorhang und die übrigen Figuren präsentieren sich in Schattenrissen selbst. Die Figuren haben nicht nur ihre Attribute behalten: jeder Figur ist auch klar und deutlich eine Farbe zugeordnet, die sie für ein hoffentlich noch zahlreich erscheinendes, junges Publikum einfach erkennbar machen. Wenn sich die Musiker für das Ständchen vor Bartolos Haus einfinden, sind Instrumente als Schattenrisse zu sehen. Beginnt das Ständchen, nehmen die im Frack aufgetretenen Musiker die Instrumente von der Wand und spielen auf den Karton-Attrappen. Zu AlmavivasCavatina «Ecco, ridente in cielo» ist ein Sternenhimmel zu sehen. Währendem Almaviva darum kämpft die Musiker loszuwerden, sammelt Berta die Instrumente im Wäschekorb ein. Als Almaviva auch den letzten Musiker, der sich penetrant mit Küssen bedankt hat, losgeworden ist, stöhnt er auf: «Genteindiscreta!». An vielen weiteren Details, am virtuosen Umgang mit dem Stück, das sie eng am Libretto inszeniert, zeigt sich, wie hervorragend Däuper ihr Handwerk versteht.
Serebrennikov hingegen verlagert seinen Barbiere klar ins hier und jetzt und unterliegt dabei unbesehen der Handlung der Versuchung, oder dem Zwang, bereits reichlich durchgekaute Themenkreise wie die sozialen Medien (Kommunikation von Almaviva und Rosina), die Flüchtlingskrise (Männerchor der Verkleidungsszene) und den Krieg gegen den Islam (Almaviva als IS-Kämpfer) zu verwenden.„F“ steht als nicht nur für Figaro sondern auch für das „Flagschiff“ der sozialen Medien. In der Theorie funktioniert das über weite Strecken sehr gut, denn Text und Bühnengeschehen widersprechen sich kaum. So kommunizieren Almaviva und Rosina nicht mit papierenen Botschaften sondern, wie so viele heute, über die „sozialen“ Medien. Für das erste Bild klappt das Konzept Serebrennikovs tadellos. Hier ist das Orchester hochgefahren, über den ersten vier Stuhlreihen ist eine Vorbühne aufgebaut und das Portal wird durch eine weisse Wand gefüllt, auf der der Chatverlauf projiziert wird (Video: Ilya Shagalov) und für alle bestens lesbar ist. Der hemmungslose Smartphonegebrauch von Protagonisten und Choristen zwecks Selfie-Anfertigung wirkt leicht übertrieben. Die Kanzone aus der vierten Szene nimmt Almaviva entsprechend als Posting auf und lässt sich auf der Gitarre begleiten. Da wir im Hier und jetzt sind, auf einer E-Gitarre (Gitarre: Jan Fitschen). Im zweiten und dritten Bild werden dann allerdings massive handwerkliche Mängel bei der Umsetzung des Konzepts sichtbar. Zwei massive, bühnentiefe Keile stehen für Bartolos Haus, das seinem Besitzer aus der analogen Generation entsprechend mit Antiquitäten angefüllt ist. Die Chat-Texte werden nun auf die Rückwand der Bühne projiziert. Auf Grund der seitliche Wände und der Tiefe der Bühne. So sind die Texte nur noch für einen kleinen Teil des Publikums, jene die genug mittig sitzen, lesbar. Das Verständnis der Handlung wird dadurch nur marginal eingeschränkt, aber der Reiz, das Charakteristikum der Arbeit ist weg.
Bei Serebrennikov (Basel) darf die Komödie nicht mehr Komödie sein und wird ohne jeden Sinn politisiert. Auch wenn Serebrennikov nicht direkt gegen das Stück arbeitet: in den Dienst des Stücks stellt er sich ebenso wenig. Er bietet Regie-Theater und entsprechend steht hier nicht das Stück sondern die Regie im Vordergrund.Däuper arbeitet mit wenigen, aber optisch sehr wirksamen Mitteln. Bei ihr darf die Komödie noch Komödie sein.
Nun urteile der Leser selbst.
Weitere Aufführungen in Bern:
Do, 14. November 2019, 19:30; Sa, 16. November 2019, 19:30; So, 08. Dezember 2019, 18:00; Di, 10. Dezember 2019, 19:30; Sa, 14. Dezember 2019, 19:30; Sa, 21. Dezember 2019, 19:30; So, 29. Dezember 2019, 16:00; Di, 31. Dezember 2019, 19:00; Fr, 03. Januar 2020, 19:30; So, 02. Februar 2020, 18:00; Mi, 19. Februar 2020, 19:30; So, 15. März 2020, 18:00.
Weitere Aufführungen in Basel (jeweils Grosses Haus, 19.30):
Sa. 16, November 2019, Di. 19, November 2019, Fr. 22, November 2019, Mo. 25, November 2019, Sa. 30, November 2019, Mo. 23, Dezember 2019, Sa. 11, Januar 2020, Do. 30, Januar 2020, Fr. 07, Februar 2020, Mi. 19, Februar 2020, Sa. 22, Februar 2020, Do. 27, Februar 2020.
Jan Krobot