BERN / STADTTHEATER: LE NOZZE DI FIGARO
am 27.12.2017 (Eröffnungs-Première nach der dritten Umbauphase am 26.Nov.2016)
Für all unsere Merker-Leser in Österreich und Deutschland nachfolgend ein Abschnitt zur Geschichte des Berner Musentempels, den ich der Webpage *Konzert Theater Bern, Sanierung* entnommen habe:
„Das Stadttheater Bern wurde 1903 eröffnet. Heute gilt es als schützenswertes historisches Baudenkmal. Die letzte Sanierung der Gebäudehülle und bühnentechnischen Einrichtungen geht auf die Jahre 1981-84 zurück. Ein grundlegende Erneuerung des Theaters ist inzwischen unerlässlich geworden.“
Die Sanierung erfolgt in mehreren Etappen über vier Jahre, die dritte Phase *Publikumsbereich* wurde vom 1.März bis 31.Oktober dieses Jahres realisiert. Sie umfasste im Zuschauerraum Podesterie, Bestuhlung, Akustik, Deckenrestaurierung, Beleuchtung; zudem wurden die sanitären Anlagen, das Foyer, die Umgänge und die Garderoben neu konzipiert/saniert.
Am augenfälligsten für den Besucher sind die neuen Sessel, die speziell für das hiesige Theater entwickelt wurden. Die Einhaltung der feuerpolizeilichen Vorschriften hinsichtlich der Fluchtwege und die Verbesserung des Sitzkomforts bedingte eine Reduktion der Plätze von 780 auf 688.
Und in der Tat, ich fühle mich nach dreieinhalb Stunden Aufführung nicht gerädert wie zuvor in den alten Stühlen. Erwähnenswert positiv auch die neue räumliche Konzeption (Foyer/Garderobe/Bar), die mehr Platz in den Umgängen des Parketts, des ersten und zweiten Rangs entstehen lassen, mehr Bewegungsfreiheit, weniger Gedränge in den Pausen bedeutet. Was die Farbgebung der Böden und Wände angeht, habe ich sehr divergierende Meinungen/Kommentare mitbekommen, von totaler Ablehnung bis Begeisterung. Es ist hinlänglich bekannt, dass Farben wie Stimmen Emotionen auslösen, letztlich unterliegt beides dem persönlichen Geschmack jedes Einzelnen..
Doch nun zur besuchten Vorstellung: alle wichtigen Rollen sind doppelt besetzt, die Aufführungsserie läuft bis Ende April 2017. Eine Inhaltsangabe dieser Oper nieder zu schreiben, hiesse Eulen nach Athen tragen; in der Vorfreude auf dieses Werk stellt sich regelmässig die Frage, auf was wohl die szenische Interpretation hinzielen wird, ob der vorrevolutionäre Charakter, die Standesunterschiede, die Komödie oder eher ein ernst-moderneres Thema, beispielsweise Geschlechterkampf, hervorgehoben werden. Zu meinem außerordentlichen Bedauern kann ich mich weder zur Regie noch zur Personenführung von Markus Bothe äussern, da der mir diesmal zugeteilte Presseplatz im 2.Rang, Seite links, Reihe 2, Platz 238 gerade noch ein knappes Drittel der Bühne sehen liessen. Folglich kann ich auch die Bühnenbilder von Kathrin Frosch nicht wirklich beschreiben; immerhin kann ich berichten, dass Akt1 nahtlos in Akt2 überging, da mittels der neu gewonnenen technischen Möglichkeiten Akt 1 im Boden versank und Akt2 von oben sichtbar wurde. Die Kostüme von Justina Klimczyk reichten von aus der ursprünglichen angedachten vorrevolutionären Zeit beim Grafenpaar über schwarze Kellner-Uniformen für Figaro plus weissem Schürzchen für Susanne bis zum Punkoutfit der Barbarina. Das Intriganten-Trio wieder eher der Zeit entsprechend gekleidet, jedoch überzeichnet.
So bleibt mir nur übrig meine Höreindrücke zu schildern: die Damen waren den Herren klar überlegen. An erster Stelle ist die Susanna der Yun-Jeong Lee zu nennen, die die heimliche Hauptpartie souverän meisterte. Auch die erste Begegnung mit der Sopranistin Evgenia Grekova (Contessa) war ein Vergnügen. Als nächste sei der hochgewachsene Cherubino der Eleonora Vacchi erwähnt, die mit leicht ansprechendem (Mezzo-)Sopran ein Zukunftsversprechen ist, mir mangelte etwas samtene Tiefe. Claude Eichenberger lieferte eine perfekte Charakterstudie als Marcellina ab. Zu den Herren der Schöpfung: Figaro alias Jordan Shanahan hat eine baritonale Bombenhöhe, die f’s kommen pp wie ff wie geschmiert, jedoch fehlt ihm das Bassfundament für die tiefen Passagen dieser Partie. Mit dem Grafen des Todd Boyce hatte ich in Akt1 meine liebe Mühe, seine Stimme schien mir trocken-unaufgewärmt, ab dem Duett mit seiner Gattin in Akt2 legte er aber enorm zu und trumpfte im Finale gewaltig auf. Licht und Schatten bei den Intriganten: Andries Cloete souverän-prägnant, seine in Akt1 vorverlegte Arie ein Kabinettstück, Stephen Owen als Bartolo zwar mit typengerechter, furchterregender Lautstärke, leider auch mit einem nicht überhörbaren Vibrato. Die übrigen Nebenrollen wie auch der Chor unter Zsolt Czetner waren zufriedenstellend. Das Berner Symphonie Orchester unter der Leitung von Hans Christoph Bünger erfreute mein Ohr mit einer federnd-vorwärtsdrängenden Ouvertüre, weniger überzeugte mich eine äusserst langsame genommene „se vuol ballar“-Arie, die das bereits erwähnte Defizit des Bariton-Figaro noch akzentuierte. Stimmlich eine insgesamt gute Ensembleleistung, die beiden Stimmen von Graf und Figaro zu ähnlich im Timbre.
Schlusswort: Für mich als Kritiker ein zwiespältiger Abend, da ich allen Künstlern seriös gerecht werden möchte, die stark eingeschränkte Sicht dies schlicht nicht zuliess und folglich kein Gesamteindruck entstehen konnte.
Alex Eisinger