Musiktheater Bern; La Bohème, Giacomo Puccini vom 30.11.2018 (Premiere war am 24.11.2018)
Giacomo Puccini ist mit seiner Oper über vier Bohemiens, die künstlerisch erfolgreich sind, von der grossen Liebe träumen und in einer Epoche Leben, die zu den malerischsten Zeiten Paris gehören, eines der berühmtesten Werke der Opernliteratur überhaupt gelungen.
Der Regisseur Matthew Wild entgegnet dem Werk mit einer modernen Sichtweise, in dem er die Geschichte entzaubert, eine neue Geschichte hineininterpretiert die es nach Puccini gar nicht gibt und die Musik mit fremden Einlagen faktisch demontiert.
Im ersten Bild sieht man den alternden Marcello, angeblich ein berühmter Künstler geworden, in einer Kunstgalerie. Für die Eröffnung seiner Retrospektive sind die Vorbereitungen in vollem Gange, er im Rollstuhl und seine Musetta mit dem Enkelkind ebenfalls im Saal, erinnert er sich an sein langjähriges Künstlerleben. Der träumende alte und kranke Marcello ist im anschliessenden Geschehen der Boheme allgegenwärtig und übernimmt die Rollen des Vermieters Benoit, der die Miete eintreiben will und verkörpert in den weiteren Bildern auch Parpignal und Alcindoro.
Eine psychologische interessante Sichtweise, die eine gewisse Durchschlagskraft besitzt und durch die ganze Aufführung konsequent durchgezogen wird, die aber dem Werk die traditionelle Faszination und musikalische Durchgängigkeit vollkommen entzieht. Der Regisseur stilisiert das Werk zu einem psychologischen Konzept hoch und vergibt sich damit alles. Die Aufführung ist blass, die Hauptdarsteller werden auf belanglose Statisten reduziert und die neugedeutete Abhandlung ist schlicht und einfach spannungslos.
Die Bühnenbilder (Kathrin Frosch) und Kostüme (Ingo Krügler) untermalen eine kalte und entfremdende Bildsprache. Der Kinderchor der Singschule Köniz tragen alle das gleiche schwarze Batman Kostüm. Der ganze schlechte Geschmack und die Stillosigkeit der siebziger bis zu den neunziger Jahren hatte ein Schaulaufen auf der Berner Bühne im zweiten Akt. Gelangweilt, konnte man die stereotypen Persönlichkeiten der damaligen Filmszene betrachten, darunter Barbarella, Divine, Priscilla und viele mehr.
Würde man die Geschichte nicht kennen, verstände man die Darsteller und die Handlung nicht die auf der Bühneagierten. Wer ist jetzt Marcello, aus welchem Grund hat Musettaplötzlich schmerzen im Fuss und was soll der alte Mann im Rollstuhl?
Musikalisch hätte man von Dirigenten Ivo Henschel mehr Differenziertheit erwartet. Mehr Temperament beim Auftritt der Musetta, etwas mehr pepp in zweiten Akt, wenn es um das Feiern geht und mehr Differenziertheit bei den einzelnen Charakteren auf der Bühne. Leider deswegenführt das gut vorbereitete Berner Symphonieorchester undifferenziert durch den Abend und gestaltet eine monotone Interpretationsweise, die durch die nicht dazugehörende, eingeschobene Zwischenmusik, verstörend untermauert wird.
Nun das letzte Bild, welches nicht zu berühren vermag;der fortschreitenden Umnachtung des dementen alten Marcello (John Uhlenhopp) entspringen weitere Erinnerungsmomente. Marcello (Jordan Shanahan mit der stimmlich besten Leistung des Abends) und Rodolfo (Peter Lodahl der mit seiner glanzlosen Stimme und keinerlei Höhe enttäuscht) hängen den glücklichen Tagen mit Musetta und Mimi nach. Als Schaunard (Michael Marhold) und Colline (Young Kwon) hinzukommen, inszenieren sie gemeinsam eine Party. Mitten im Trubel des Künstlerkollektives taucht die totkranke Mimi in Begleitung von Musetta(die farblose kleinstimmige OrsolyaNyakas) auf. Die vier Freunde überlegen gemeinsam mit Musetta, wie sie die Medikamente beschaffen können, um Mimi (mit einer soliden lyrischen Stimme Evgenia Krekova) zu retten. Rodolfo kann es kaum ertragen, dass es ihm nicht gelang, für seine Freunde ausreichend gesorgt zu haben. Mit dem Tod Mimis lösen sich die Erinnerungen auf und der alte Marcello ist bereit, nun selbst seine letzte Reise anzutreten.
Fazit; Diesem Regieteam reichen die Geschichte und die Musik, wie sie Puccini geschrieben hat, nicht aus. Sie setzen eine weitere Geschichte in die Bestehende, indem sie den alten Marcello in die Geschichte miteinpacken und dabei stirb der er mit der jungen Mimi. Mimi verliert ihre Haare, weil sie sich einer Chemotherapie unterzogen hat, die angeblich gegen die Tuberkulose angewendet wird.
Die Regie wird sich selber gerecht, indem sie dieunromantische der romantischen Interpretation vorzieht, dem Ursprungswerk nicht vertraut und schwierige Themen stärker gewichtet und rüd ins Konzept mit einbezieht,wie Armut, Künstlertum, Krankheit oder Tod.
Marcel Burkhardt