Giuseppe Verdi, Otello, Konzert Theater Bern, Premiere: 10.10.2020
Mächtig gewaltig
Ansagen durch die Direktion, so Operndirektor Xavier Zuber, hätten meist mit einem Geburtstag oder einer Erkrankung zu tun. An diesem Abend sei beides der Fall. Die Premiere finde, auch wenn es nicht mehr unter uns weile, zu Ehren des Geburtstagskindes statt: am 10. Oktober 1813 wurde in Le Roncole Giuseppe Verdi geboren. Zudem sei Rafael Rojas, der Interpret des Otello, indisponiert und werde nur spielen. Von der Seite aus singe Aldo di Toro die Partie.
Der Abend wurde, szenisch wie musikalisch, vor fast ausverkauftem Haus ein grosser Erfolg.
Sarah Mehnert als Emilia, oben rechts Jordan Shanahan als Jago und Chor Konzert Theater Bern. Foto: © Annette Boutellier
Die Inszenierung von Anja Nicklich beweist eindrücklich, dass auch phantasievoll gearbeitet werden kann, wenn man das Libretto liest und ernst nimmt. Janina Thiel (Bühne) hat ihr dazu ein hallenartiges Halbrund im maurischen Stil geschaffen, in dem die prunkvollen Renaissance-Kostüme von Gesine Völlm grandios zu Geltung kommen. Verschiedene Etagen und die gitterartigen Ziegelsteine erlauben das Geschehen auch ungesehen zu beobachten. Das Ganze wird von Bernhard Bieri eindrucksvoll beleuchtet. Nicklich hält sich eng ans Libretto und so hat der Sturm zu Beginn der Oper Raum zu wirken. Auf der Leinwand in der Mitte sind die Schattenwürfe der venezianischen Handelsschiffe, die gegen den Sturm kämpfen zu sehen. Zudem tritt eine Frau im weissen, blutverschmierten Kleid auf. Desdemona? Emilia? Die Furie der häuslichen Gewalt? Es ist Emilia, die sich gerade gegen ihren Gatten Jago aufgelehnt hat. Die Personen sind hervorragend geführt und so wird im Verlaufe des Abends deutlich, dass Nicklich die Geschichte aus der Perspektive Emilias erzählt. Sie ist diejenige, die Desdemona abgrundtief vergöttert, angedeutet durch das Kostüm mit Diadem, mit Strahlenkranz und Kreuz. Sie ist auch diejenige, die am Schluss die Intrige auflöst. Und hier ist sie diejenige, die am Anfang der Oper, vor der Intrige, bei Desdemona und Otello, gesehen hat, dass die Ehe nicht zwangsweise die Hölle sein muss, sich emanzipiert und dem angesichts der Leichen von Desdemona, Cassio und Otello in irres Gelächter ausbrechenden Jago einen Dolch ins Rückgrat rammt. Eine Inszenierung für visuelle wie intellektuelle Kulinariker!
Evgenia Grekova als Desdemona, im 3. Fenster von rechts Jordan Shanahan, Chor Konzert Theater Bern. Foto: © Annette Boutellier
Unter Leitung von Matthew Toogood schwingt sich das Berner Symphonieorchester auf zu neuen Höhen. An diesem Abend stimmt alles: vom satten Klang über die tadellosen solistischen Passagen bis hin zu den grossen Spannungsbögen und der genau austarierten Lautstärke. Der von Zsolt Czetner vorbereitete Chor Konzert Theater Bern fügt sich nahtlos in die tadellose Leistungsbilanz mit ein und zeigt im Zusammenwirken mit der Statisterie Konzert Theater Bern eine grosse Spielfreude.
Rafael Rojas als Otello, ihm zu Füssen Evgenia Grekova als Desdemona und hinten Sarah Mehnert als Emilia.. Foto: © Annette Boutellier
Evgenia Grekova als Desdemona setzt Nicklichs Konzept, auch musikalisch, überzeugend um. Ihre Desdemona erinnert immer wieder an die Jungfrau Maria und entsprechend rein und unbefleckt, aber nicht leidenschaftslos, klingt ihr Sopran. Sarah Mehnert gibt eine tadellose Emilia. Rafael Rojas kann den Otello am Premierenabend auf Grund seiner angeschlagenen Stimme nur spielen. Aldo di Toro, der die Partie vom Bühnenrand aus singt, nennt einen stimmgewaltigen, recht hellen Heldentenor sein eigen und begeistert mit einer fantastisch differenzierten Interpretation des Titelhelden. Jordan Shanahan kann als Jago ein persönlichen Triumph feiern: von belcantistischen Linien eines Charakter-Baritons bis zur abgrundtiefen Diabolik des Credo gelingt ihm alles mustergültig. Nazariy Sadivskyy als Cassio und Andries Cloete als Roderigo agierten mit intensivem Spiel absolut auf Augenhöhe. Young Kwon als Lodovico, Philipp Mayer als Montano und Louis Morvan als Herold ergänzten das Ensemble.
Ein absolut überzeugender Abend!
Weitere Aufführungen:
Sa, 24. Oktober 2020, 19:30 – 22:10; Sa, 14. November 2020, 19:30 – 22:10;
Mi, 18. November 2020, 19:30 – 22:10; So, 29. November 2020, 18:00 – 20:40;
So, 13. Dezember 2020, 18:00 – 20:40; Di, 22. Dezember 2020, 19:30 – 22:10;
Mi, 06. Januar 2021, 19:30 – 22:10; So, 24. Januar 2021, 18:00 – 20:40;
Sa, 13. März 2021, 19:30 – 22:10; So, 18. April 2021, 16:00 – 18:40;
Fr, 30. April 2021, 19:30 – 22:10; Mi, 02. Juni 2021, 19:30 – 22:10.
11.10.2020, Jan Krobot/Zürich