Georg Friedrich Händel: Lotario, Konzert Theater Bern, 05.03.2019
(3. Vorstellung seit der Premiere am 24.02.2019)
(Koproduktion mit Internationale Händel Festspiele Göttingen)
Einer mag es langsam. Viel zu langsam.
Konzert Theater Bern ist zum Mut zu gratulieren, nach Schuberts »Fierrabras» in der laufenden Saison eine zweite Rarität, Händels «Lotario», auf den Spielplan zu setzen. Gerade auch angesichts der Tatsache, dass Barock-Oper hier keine Tradition hat, was sich entsprechend in der Auslastung niederschlägt (in der besuchten Vorstellung etwa 30%).
Regisseur Carlos Wagner lässt die Geschichte im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic in einem palastartigen Innenraum spielen. Unklar ist dessen Bestimmung. Gemäldegalerie (Historiengemälde) in Restauration (Gerüste und Farbeimer)? Haustheater (Bühne mit Vorhang)? Auf jeden Fall ist der Raum arg heruntergekommen und hat mal einen grösseren Wasserschaden kassiert. Die eklektizistischen Kostüme von Ariane Isabell Unfried tragen wenig zur räumlichen und zeitlichen Verortung bei. Das dürftige Programmheft (Dramaturgie: Xavier Zuber, Tobias Wolff) bringt leider auch keine Klarheit: Inhalt, Figurenportraits, Zeittafel und zwei kurze Texte (aus Odilo von Clunys Vita der Kaiserin Adelheid und dem Londoner Libretto von 1729. Mehr nicht.
© Christian Kleiner
Bereits die Ouvertüre ist inszeniert und zeigt, wie Idelberto den Gatten der Königin Adelaide vergiftet. Hier wird schon ein erstes Problem der Inszenierung deutlich: Zweifelsohne hat Berengarios Gattin Matilde „die Hosen an“, erinnert immer wieder an Lady Macbeth („Wenn auf unserem Haupt die Krone ruhen soll“) und beherrscht Berengario und Idelberto vollkommen. Die Umsetzung des Abhängigkeitsverhältnis ist aber völlig übertrieben: Warum kann sich Berengario ihr nur kriechend nähern und wenn er es schafft zu gehen, warum muss er dann alle drei Schritte umfallen? Warum kann Idelberto nur im Nachthemd und mit schwerster psychischer Schädigung auftreten? Diese Zeichnung widerspricht der Figur gleich doppelt: Wer käme auf die Idee ihm die Krone zu verschaffen, wenn er ihn letztlich doch nicht wirklich kontrollieren kann, denn gerade Idelberto ist ja derjenige, der die ganze Oper über ehrlich bleibt und zum Schluss zu Gunsten von Lotario auf Adelaide verzichtet? Wagner arbeitet weiter mit plakativen Bildern, die vielleicht eindrücklich anzusehen sind, aber nicht wirklich passen. Wiederholt wird grosszügig gefesselt, Leichen wie Scarpia in der Tosca drapiert oder die Haltung des toten Christus eingenommen. Die Bühnentechnik bleibt auch nicht ungenutzt, sei es die Bühne, die von der linken Seite hereingeschoben wird, oder die Rückwand der Dekoration, die zur Rampe vor- und wieder zurückgeschoben wird.
Einer mag es langsam. Viel zu langsam. Das Dirigat Christian Curnyns kennt mit wenigen Ausnahmen nur ein Tempo und eine Lautstärke. Da kann das Berner Symphonieorchester noch so gut spielen, bei dieser Gleichmässigkeit wirkt die Oper so lebendig wie die Historienschinken an den Wänden auf der Bühne. Die Affekte, die ja gerade in der Barock-Oper entscheidend sind, werden weder instrumental noch vokal umgesetzt.
Andries Cloete, Kangmin Justin Kim. © Christian Kleiner
Die Entdeckung des Abends ist der koreanische Counter-Tenor Kangmin Justin Kim als Idelberto. Ein wunderbar, frische Stimme voll jugendlicher Kraft. Sie ist nicht direkt als Counter zu erkennen, das sofortige Wissen, hier singt ein Mann in Frauenlage fehlt, wofür dann aber der Reiz der Unsicherheit, wer jetzt im Kostüm steckt, Männlein oder Weiblein, die Spannung wahrt. Stimme und Personenführung als vom elterlichen Missbrauch psychisch schwer geschädigt, passen so überhaupt nicht zusammen. Technisch hervorragend ausgebildet, freut man sich von dieser Stimme mehr zu hören. Völlig übertrieben gezeichnet ist die Figur des Berengario, Vater des Idelberto und Gatte der Matilde. Andries Cloete hat die unsinnigen Anforderungen des kriechenden Fortbewegens und ewigen Umfallens schauspielerisch gut umgesetzt, was aber nichts an der unsinnigen Personenführung ändert. Ein sehr heller Tenor, wie Andries Cloete ihn hat, rückt den Berengario aber in der Hierarchie zu nahe an die Helden Lotario und Idelberto. Ursula Hesse von den Steinen sang die in der Oper alle Strippen ziehende Matilde. Von der Regie und dem Kostüm her als Hexe angelegt, erfüllte sie ihren Part mit für Händel grosser, fast zu grosser Dramatik. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen, denn im Verlauf des Abends wurde die Stimme immer härter und schärfer. Marie Lys wäre von der Anlage der Oper her eigentlich einer der Contraparts der Matilde, blieb an diesem Abend aber leider sehr blass und kaum greifbar. Das schüchterne, junge Fräulein wäre als Königin von Italien und Kaiserin kaum vorstellbar. Sophie Rennert hat die Hosenrolle des Lotario stimmlich perfekt gemeistert und konnte sogar etwas Bühnenpräsenz aufbauen. Dadurch wirkte sie allerdings schon fast wie ein Fremdkörper im Ensemble. Todd Boyce verkörperte mit sonorem Bariton Berengarios Heerführer Clodomiro. Weshalb Regisseur Carlos Wagner den „Handlanger des Bösen“ als Mann der Kirche zeigt, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Wenn schon Kirchenkritik, dann begründet!
Bleibt zu hoffen, dass die nächste Premiere, die Produktion von „Tristan und Isolde“, trotz der Auseinandersetzungen um den im vergangenen Sommer zurückgetretenen Intendanten Stephan Märki, ein Erfolg werde!
Weitere Aufführungen:
Sa, 09. März 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
Do, 14. März 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
Di, 16. April 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
Mi, 01. Mai 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
Sa, 15. Juni 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
Di, 18. Juni 2019, 19:30 – 22:40, Stadttheater
06.03.2019, Jan Krobot/Zürich