Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERN/ Konzert Theater: CARMEN. Wiederaufnahme

Die Blume ist ein Handschuh

31.08.2019 | Oper

Georges Bizet: Carmen, Konzert Theater Bern, Wiederaufnahme: 30.08.2019

 

Die Blume ist ein Handschuh

 «Carmen» gehört zu den populärsten Opern überhaupt und so wird Bizets Opus ultimum als Erfolgsproduktion der Saison 2017/2018 nun von Konzert Theater Bern zur Eröffnung der neuen Saison wiederaufgenommen.

Bildergebnis für konzert theater bern carmen

In der Wiederaufnahme ist nun praktisch zu erleben, warum das so ist. Mario Venzago dirigiert ein hervorragend disponiertes Berner Symphonieorchester: im Graben glühen die Leidenschaften und auch wenn mit der grossen Kelle angerichtet wird, ist der Klang nie breiig. Mit klug gewählten Tempi gelingt es Venzago die Spannung vom Anfang bis zum Ende aufrechtzuerhalten und die Farben der Partitur zum Leuchten zu bringen.

Claude Eichenberger als Carmen ist massgeblich mitverantwortlich für den Erfolg der Produktion und kann, trotz einer Indisposition nach einer überstandenen Bronchitis, auch an diesem Abend voll und ganz überzeugen. Mit grosser Bühnenpräsenz und dem Farbenreichtum ihrer nicht wirklich eingeschränkt scheinenden Stimme macht sie Carmen zur wirklichen Femme fatale. Xavier Moreno als Don José ist ihren Reizen sofort und vollumfänglich mit seinem strahlenden Tenor erlegen. Jordan Shanahan singt den Escamillo mit kraftvollem Bariton und virilen Farben, so dass man ihm den Toreador glaubhaft abnimmt.  Todd Boyce ist ein herrlicher Moralès und Young Kwon gibt Zuniga. Nazariy Sadivskyy und Andris Cloete führen als Dancairo und Remendado die Geschäfte der Schmuggler. Oriane Pons als Micaela erledigt ihre Aufgabe tadellos, ist aber leider keine wirklich ideale Besetzung: die Stimme ist viel zu dramatisch. Orsolya Nyakas und Eleonora Vacchi sind Carmens Freundinnen Frasquita und Mercedes und können gerade in der Karten-Szene des dritten Aktes überzeugen.

Mit sommerlicher Frische überzeugen bestens verständlich die Chöre: Chor und Extrachor Konzert Theater Bern (einstudiert von Zsolt Czetener)sowie der Kinderchor Singschule Köniz. Mit grosser Spielfreude im Einsatz ist die Statisterie Konzert Theater Bern.

Bildergebnis für bern konzert theater carmen

Philipp Fürhofer (Bühne und Kostüme) hat für die von Alexander Kreuselberg wiedereinstudierte Inszenierung von Stephan Märki einen bildmächtigen Rahmen geschaffen. Dabei unterstützen ihn die Videos von Fabian Chiquet und die Lichtgestaltung von Bernd Purkrabek. Zu Beginn und zum Schluss spiegelt eine portalfüllende Spiegelwand den Zuschauerraum und das Publikum. Im Verlauf der Oper bekommt diese Spiegelwand Risse oder einzelne Segmente werden zur Seite geschoben und geben den Blick auf eine leere Werbetafel, wie sie neben einer Autobahn stehen könnte, frei.

Bereits in der Ouvertüre wird These des Stücks exponiert: Carmen als von Anfang an gefährdete Frau. Nach durchgemachter Nacht steht sie, die in ihrem kurzen Leben alles erlebt hat, auf der Brücke, verweigert dem (vom Regieteam hinzuerfundenen) Todesjoker (Vittorio Bertolli, Tänzer) den Kuss. Im Schnelldurchlauf führt er Carmen, bevor sie am Schluss, praktisch gleiche Situation wie während der Ouvertüre, den Kuss dann doch gibt, die Stationen ihres Lebens nocheinmal vor Augen. So auch den Moment, als sie Jose statt einer Blume einen roten Handschuh vor die Füsse wirft.

Die Zuschauer sind nicht nur durch die Spiegelwand ins Geschehen miteinbezogen, sondern auch durch den im Zuschauerraum befindlichen Chor, die Auftritte der männlichen Figuren aus dem Zuschauerraum und den Steg, der um den Graben herumführt.

Bildergebnis für bern konzert theater carmen

Von der Praxisseite her gesehen, ein absolut überzeugender Abend!

Leider weit weniger überzeugend ist die theoretische Seite. Bei Carmen stellt sich mit jeder Produktion die Frage nach der Fassung: Wählt man die noch zu Lebzeiten des Komponisten entstandene Dialog-Fassung der Premiere oder die von Bizets Studienkollegen ergänzte Rezitativ-Fassung der Wiener Erstaufführung?

Das Leading Team hat sich entschlossen für die Berner Produktion eine eigene Fassung zu erstellen. Der Entscheid, die Wahl der Rezitativfassung mit der „Wahrung des hohen Operntons“ und dann die Streichung der Rezitative dann mit gesteigerter psychologischer Stringenz zu rechtfertigen, zeugt dann doch von im positiven Falle willentlicher Ausblendung der Erkenntnisse der Musikgeschichte. Ebenso die Integration „bisher nicht veröffentlichter Stücke“.

Im Falle der „Carmen“ läge es nahe, sich für die Dialogfassung der Uraufführung zu entscheiden, denn diese Fassung ist die vom Komponisten autorisierte und vollendete. Die Dialogfassung „Carmen“ steht ohne Frage in der Tradition der französischen Opéra. Wenn das Programmheft behauptet, das Werk stehe sicher weniger in der Tradition der französischen Opéra comique im Stil von Offenbach mit seinen Verwechslungen und Verballhornungen, als eher in der Nachfolge von Mozarts Dramma giocoso, stimmt dies einerseits, zeugt die Verkürzung der Opéra comique auf Offenbach andererseits von einem erschreckend geringen Wissen um die Geschichte der französischen Oper.

 

Weitere Aufführungen: So, 01. September 2019, 18:00, Stadttheater; Fr, 06. September 2019, 19:30, Stadttheater; Mi, 11. September 2019, 19:30, Stadttheater; Sa, 14. September 2019, 19:30, Stadttheater; Di, 17. September 2019, 19:30, Stadttheater.

 

07.09.2019, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken