Winston Ricardo Arnon als Joker, Jordan Shanahan als Escamillo, Claude Eichenberger als Carmen, Chor. Fotocredit Tanja Dorendorf / T+T Fotografie (Probenfotos)
Carmen Oper Bern; besuchte Vorstellung vom 24.04.2018
Das bekannteste Werk von Bizet gehört zu den meist gespielten Opern überhaupt. Es gibt wohl kaum ein Opernhaus oder ein Sommerfestspiel im freien welche die verführerische Carmen nicht einmal auf dem Spielplan hatte, oder eher; wann ist das Werk nicht auf dem Spielplan! Die Anziehungskraft einer emanzipierten Zigeunerin, die ihre Freiheit liebt, und ihre Männer ebenso. Einen Satz den sie knapp vor ihrem Bühnentod sagt, ist; „Ich bin in Freiheit geboren und ich sterbe in Freiheit“. Aus pathologisch psychologischer Sicht könnte man ihr, wohl problemlos, eine Persönlichkeitsstörung attestieren und somit hat man genügend Potenzial eine psychologisch durchdachte Aufführung zu konzipieren. So geschehen in Bern.
Ganz diesem Grundsatz verschrieben, rebellisch zu bleiben und sich selber nie untreu zu werden, ist das Werk welches vom Intendanten des Hauses Stephan Märki und gleichzeitig Regisseur erarbeitet wurde, aufgebaut worden. Für das Bühnenbild war Philipp Fürhofer zuständig, der als bildender Künstler und Bühnenbildner momentan für internationales Aufsehen sorgt, jüngst mit der hochgelobten Ausstellung „Du bist Faust“ in der Kunsthalle München.
In dieser Lesart sucht Carmen hoffnungslos die wahre Liebe, die sie nur als Ware oder als Verliebtsein kennt, weil ihr die Fähigkeit, sich wirklich einzulassen, fehlt. Sie hat alles an Lebenskitzel, Droge und Ekstase in ihrem kurzen Leben erlebt und ist doch nie satt geworden, immer auf der Flucht, eine Suchende, eine an beiden Enden brennende Kerze. Deshalb steht sie schon in der Ouvertüre nach durchgemachter Nacht «auf der Brücke», bis sie dem Todesjoker den Kuss doch verweigert und dieser ihr nochmals exemplarisch, im Schnelldurchlauf, verschiedene Prototypen ihres Lebens vorstellt.
Gespielt wurde nicht nur auf der Bühne, sondern vor dem Orchestergraben auf einer breiten Rampe oder im Zuschauerraum. Gerade in diesem kleinen Berner Theater kommt diese Nähe zum Publikum unmittelbar zur Geltung. Der Bühnenbildner hatte ein riesiges Spiegelbild gezaubert gleichermassen als Spiegel, sowohl für Carmen, ihre Todessehnsucht und ihre Innenwelten, wie auch als Spiegel für uns Zuschauer. Der Männerchor und alle männlichen Figuren entsprangen dem Publikum, alle weiblichen Figuren waren Erinnerungen, Spiegelbilder, Aspekte und Gegenbilder von Carmen. Damit versuchte der Bühnenbildner die Kontraste zwischen dem Innen und Aussen, die aus der Musik kommen, hervorzuheben und zu interpretieren. Der Zuschauer war viel stärker im Geschehen drin. Und der Tod, dieser verflixte Joker stets allgegenwärtig.
Stephan Märki und Chefdirigent Mario Venzago haben unter der Berücksichtigung der Urfassung eine Berner Fassung der Carmen eingerichtet und wollten damit einen durchgängig hohen Opernton erhalten und liessen die Rezitative weg. Dadurch verknappte sich das Werk radikal. Eine stringente atemlose Geschichte ist entstanden die mehr als nur überzeugte, denn damit wurde knisternde Spannung aufgebaut welche das Publikum in den Bann zog.
Musikalisch war der Abend ein akustischer Erfolg, Bis in die kleinsten Nebenrollen wurde brillant besetzt. Nicht nur der Stierkämpfer Escamillo konnte sich hören lassen, der hier perfekt durch Jordan Shanahan vertreten war, sondern auch Young Kwon als Zuniga oder Marielle Murphy als Frasquita und Eleonora Vacchi als Mercédès. Freude bereiteten auch Carl Rumstadt als Moralès, Nazariy Sadivskyy als Dancairo und Andries Cloete als Remendado. Eine Carmen mit hoher Ensemblequalität.
Und die glamouröse Hauptfigur, das war die Schweizerin Claude Eichenberger, eine stimmlich starke, sinnliche Carmen die auch schauspielerisch beeindruckte. Als Micaëla, die verschmähte Partnerin des Don José fand Elissa Huber ebenso nachdenkliche wie leidenschaftliche Töne. Ihre unschuldige Naivität ist nicht zu übersehen und ihre Stimme genial und wunderschön fokussiert. Xavier Moreno als Don José verspürte man, dass das eine der Leib- und Magenpartien dieses Tenors ist. Hier fühlte er sich zu Hause, elegant und süffisant kam sein schöner Tenor daher. Ein mit Feuer und Sentiment versehene sehr schöne Stimme.
Der aus Surinam stammende Tänzer Winston Rivardo Arnon verkörperte den Joker. Tänzerisch perfekt schlängelte er sich mit seinem athletischen sehr agilen Körper um die Hauptdarstellerin. Stets in der Nähe und doch nie fassbar mit filigranen Bewegungen. Und glaubt man ihn verschwunden, so räkelt er sich in den Publikumsreihen und hat die Augen stets konzentriert auf sein Opfer. Er bezauberte durch seine Tanzkunst und ist eine gelungene Sichtweise zur herkömmlichen Aufführungsmethodik.
Der Chefdirigent des Hauses Mario Venzago hatte das Symphonie Orchester Bern in einen verblüffend temperamentvollen Klangkörper verwandelt.
Viel Beifall gab es zum Schluss für Solisten, für den ebenfalls hervorragend einstudierten Chor und das bestens disponierte Orchester, welche hervorragendes geleistet hatten.
Marcel Burkhardt