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BERN/ Bühnen: SAMSON von Joachim Raff. Schweizer Erstaufführung

09.09.2023 | Oper international

Joachim Raff: Samson • Bühnen Bern • Konzertante Aufführung: 08.09.2023

Schweizer Erstaufführung

Ein höchst interessanter Abend: die Einspielung darf mit Spannung erwartet werden

Ein weiterer Höhepunkt der noch jungen Saison der Oper Bern (vor dem offiziellen Auftakt von Bühnen Bern in die neue Opern-Saison am Sonntag, den 15. Oktober 2023, mit der Premiere von «Tosca») ist die konzertante Aufführung von Joachim Raffs (1822-1882) musikalischem Trauerspiel «Samson». Komponiert in Weimar in den 1850er-Jahren, ebendort aber erst 2022 uraufgeführt, ist ein ausgesprochen interessantes Werk zu entdecken, das in Bern nun vom Label «Schweizer Fonogramm» eingespielt wurde.

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Foto © Dieses Bild stammt aus der Digitalen Bibliothek Gallica und ist verfügbar unter der ID btv1b8423860k, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1359801

Joachim Raff, Sohn eines vor einer württembergischen Zwangsrekrutierung und den napoleonischen Kriegen in die Schweiz geflohenen Schulmeisters und einer Wirtstochter, zeigte schon früh mit Geigen-, Klavier- und Orgelspiel musikalisches Talent. Entscheidende Förderer seiner Karriere waren Felix Mendelssohn Bartholdy, der Breitkopf & Härtel erfolgreich mehrere Klavierkompositionen Raffs zur Veröffentlichung empfahl, und Franz Liszt, der ihn nach Weimar holte und zu seinem Assistenten machte. Als Liszt im Sommer 1845 in Basel konzertierte, lief der junge Volksschullehrer zu Fuss nach Basel, um sein Idol zu hören. Die Überlieferung berichtet, er sei dort zu spät angekommen, doch noch eingelassen worden und Liszt habe ich neben sich ans Klavier gesetzt. Raff lehnte Liszts Angebot  sein Assistent zu werden ab: Liszt möge ihn doch bitte an Verlagshäuser vermitteln, damit er sich als Komponist autodidaktisch weiterbilden könne. 1850 gab er Liszts Drängen dann nach und ging nach Weimar, wo er für sechs Jahre dessen Assistent war. Dort erlebte er hautnah die Uraufführung von Wagners «Lohengrin» mit, die er in seiner Schrift «Die Wagnerfrage» verarbeitete. Während Raff Liszts Werke instrumentierte, sorgte dieser dafür, dass Raffs Werke aufgeführt wurden. So wurde die Uraufführung seines Opern-Erstlings, der grossen heroischen Oper «König Alfred» ein voller Erfolg, der Raff sofort motivierte sich mit einer neuen Oper, «Samson» zu beschäftigen. Als das Verhältnis zu Liszt immer schlechter wurde, ging Raff 1856 zu seiner Verlobten Doris Genast nach Wiesbaden. Als freischaffender Komponist und vielbeschäftigter Lehrer in Wiesbaden und erster Direktor des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main (wo er mit Clara Schumann die erste Professorin in Deutschland berief) hatte Raff nun eine gesicherte Existenz und mit dem Gewinn eines Preisausschreibens der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde (1863) internationalen Erfolg. Ein schwaches Herz überschattete die letzten Lebensjahre Raffs, der am 24. Juni 1882 in Frankfurt/M starb. Raff, ein enorm vielseitiger und produktiver Künstler, galt zu Lebzeiten als einer der gefragtesten Komponisten des deutschen Kulturraums und wurde von Zeitgenossen wie Hans von Bülow, Pjotr Tschaikowski oder Richard Strauss in eine Reihe mit Wagner und Brahms gestellt. Wurden seine Werke zu seinen Lebzeiten häufig gespielt, geriet er nach seinem Tod rasch in Vergessenheit. So rasch die Beileidsbezeugungen zu seinem Tod eintrafen, so rasch geriet er in Vergessenheit.

Die aktuelle Raff-Renaissance ist das Verdienst der zum 150. Geburtstag des Komponisten gegründeten Joachim-Raff-Gesellschaft in Lachen SZ (https://joachim-raff.ch/gesellschaft/). Mit der Organisation von Konzerten, Publikationen über Leben und Werk, Editionen von Werken in Zusammenarbeit mit verschiedenen Verlagen, Betrieb und Unterhalt eines öffentlichen, physischen und digitalen wissenschaftlich geführten Archivs mit aktueller Website im Geburtshaus von Joachim Raff in Lachen, Regelmässigen Ausstellungen und Symposien, Herausgabe und Unterstützung von digitalen Aufnahmen (Filme, Podcast, CD), der Zusammenarbeit mit Medien und Lobbying und Netzwerkarbeit ist ihr Wirken nicht hoch genug einzuschätzen.

Gehen einzelne Werke oder gar ganze Biographien vergessen, ist, gerade wenn sie zu Lebzeiten bedeutenden Erfolge hatten, die interessante Frage die nach dem Grund des Vergessen. Allgemein gilt anzumerken, dass die Gründe sowohl bei Komponisten wie auch bei den Zeitumständen liegen können. Zu bedenken ist aber vor allem, dass die Aufführungspraxis damals noch kaum historisiert war, es immer wieder neue Musik kam, die die aktuelle verdrängte. Die Musik kam aus der Mode und wenn es dann Zeitgenossen oder Nachfolger gab, die sich und ihr Schaffen besser vermarkten konnten, war es um das einzelne Werk oder das ganze Schaffen geschehen.

Im Falle von Raffs Samson kommt hinzu, dass es sich dabei um die musikgewordene Ausgabe seiner Streitschrift «Die Wagnerfrage» handelt. Raff, der nicht wirklich Position zwischen der Neudeutschen Schule und den Traditionalisten beziehen wollte, versucht in «Samson» Wagners Musikdrama mit Meyerbeers Grand opéra zu kombinieren. Wahrscheinlich unbewusst wollte er zeigen, was er im Laufe seiner Wanderjahre gelernt hatte, und so ist ein Werk entstanden, dass nicht nur Wagner und Meyerbeer versöhnen wollte (und so für seine Zeit schon zu modern war; 1. und 2. Akt), sondern auch noch längere italienische Passagen (3. Akt) und Passagen, die an französische Musik von Offenbach bis Massenet erinnern (4.Akt) enthält. Das Ballett im 5. Akt klingt für den Zuhörer der Gegenwart wie eine Hommage an das klassische russische Ballett. Mit dem Weggang aus Weimar hatten Raff und «Samson» ihren wichtigsten Protegée verloren. Zudem steht zu vermuten, dass Raff mit der Zeit mit seinem Werk nicht mehr zufrieden war und deshalb wiederholt Aufführungsgebote ablehnte. Mit der Uraufführung von Camille Saint-Saëns «Samson et Dalilah» in Weimar (1877) war das Kapitel «Samson» für Raff dann erst einmal abgeschlossen. Die weitgefasste Synthese ist Raff mit seinem «Samson» auf jeden Fall gelungen. Genau so wahrscheinlich wäre das Werk für die grosse Mehrheit seiner Zeitgenossen zu modern gewesen.

Hier gilt es nun einen Mangel der Aufführung anzuführen: Das Fehlen von Über-/Untertiteln. Bei einem Werk, das für den Grossteil der Zuhörer komplett neu ist, trägt der Text enorm zum Verständnis bei. Sein Fehlen, ob als Übertitel oder in gedruckter Form, entwertet die grossartige Leistung dieses Werk auf die Bühne zu bringen.

Philippe Bach (Musikalische Leitung) hat das Geschehen fest, manchmal etwas zu laut, im Griff und streicht die vielen verschiedenen Komponenten eindrücklich und mit viel Gefühl heraus. Das Berner Symphonieorchester folgt ihm dabei bestens disponiert und brilliert einmal mehr. Zsolt Czetner hat den Chor der Bühnen Bern einstudiert. Hinter den Solisten und dem Orchester auf der Bühne plaziert vermag er nicht ganz so souverän wie gewohnt zu klingen.

Magnus Vigilius gibt mit seinem hellen, höhensicheren Heldentenor und schier endlosem Atem einen eindrücklichen Samson. Olena Tokar als Delilah scheint nicht ihren besten Abend erwischt zu haben: Tönt die Stimme anfänglich noch voll und rund, verliert sie nach der Pause an Form und wird zunehmend scharf. Sehr viel Luft nach oben bleibt in Sachen Textverständlichkeit. Bass-Bariton Christian Immler gibt den Oberpriester mit perfekt sitzender, jugendlicher Stimme. Die Partie des Micha, hier gesungen von Michael Weinius, ist die zweite grosse, höchst anspruchsvolle Tenor-Partie des Werks. Weinius Tenor ist dunkler gefärbt (er begann seine Karriere als Bariton) als der von Vigilius und bietet so einen guten Kontrast. Wie den anderen Herren auch ist ihm eine makellose Interpretation mit mustergültiger Textverständlichkeit zu bescheinigen. Der Berner Publikumsliebling Robin Adams ist eine Idealbesetzung des Abimelech. Mit den wunderbaren Farben seines balsamischen Baritons ist er ein glaubwürdiger Vater Delilahs. Mirjam Fässler als Oberpriesterin, Christian Valle als Seran von Askalon, Bareon Hong als Gefängniswärter und Katharina Willi als Frau aus dem Volke ergänzen das vom Publikum gefeierte Ensemble.

Ein höchst interessanter Abend: die Einspielung darf mit Spannung erwartet werden.

Keine weitere Aufführung.

09.09.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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