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BERN/ Bühnen: ROMÉO ET JULIETTE. Hin und wieder wechseln Regisseure vom Schauspiel zur Oper. Hin und wieder ließen sie das besser bleiben.

18.11.2023 | Oper international

Charles Gounod: Roméo et Juliette • Bühnen Bern • Vorstellung: 17.11.2023

(2. Vorstellung • Premiere am 05.11.2023)

Produktion der Opéra Comique Paris in Koproduktion mit den Bühnen Bern, Opéra de Rouen Normandie, Washington National Opera, Fondazione und dem Teatro Petruzzelli Bari
(Pariser Premiere am 13.12.2021, Opéra Comique)

Von der Hochzeit in der Herrentoilette

Hin und wieder wechseln Regisseure vom Schauspiel zur Oper.

Hin und wieder liessen sie das besser bleiben.

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Foto © Janosch Abel

Éric Ruf (Regie & Bühne; Szenische Einstudierung: Constance Larrieu) hat 2021 Gounods «Romeo et Juliette» für die Opéra comique inszeniert, nachdem er Shakespeares Bearbeitung des Mythos 2015 bereits für die Comédie Française in Szene gesetzt hat. Da Gounod, wie im Programmheft lang und breit erklärt, ohne Shakespeare nicht zu denken sei, nutzt das Kreativteam der Shakespeare-Inszenierung die Basis an Bühnenbildern und Kostümen (Christian Lacroix; Choreograf: Glysleïn Lefever; Licht: Betrand Couderc) jener Inszenierung. Ruf siedelt seine Inszenierung im «Italien der Vendetta» an, einem Italien der Zwischenkriegszeit, ein armes Italien, immer noch sehr fromm und gleichermassen vom Einfluss der Kirche wie irrationalen Ängsten und Aberglauben geprägt. Entsprechend sind die Fassaden, wie in der Seitengasse der Seitengasse, verwittert und zerbröckelt und gelebt, geliebt und geheiratet wird in gekachelten Räumen. Optisch resultiert ein Mix aus «Der Leopard», «Der Pate» und «Cinema Paradiso». Warum der Einheitsraum für die individuellen Handlungen gekachelt und abgewrackt sein muss wie mutmasslich die Herrentoilette im Cinema Paradiso vor dem Abriss, der Altar ein Waschbecken hat und das Ehebett wie aus der letzten Traviata übrig geblieben scheint, bleibt des Regisseurs Geheimnis. Hinzu kommt, dass die Figuren in dieser Umgebung nicht geführt sind: Graf Capulet, der bei seinem ersten Auftritt als einziger Hut trägt, wirkt wie der Alfio der letzten «Cavalleria Rusticana» (die spielt immerhin auf Sizilien). Warum permanent alle Frauen auf der Bühne besser gekleidet sind als Juliette (mehr als ein Unterrock lag offenbar nicht mehr drin) bleibt ein weiteres Geheimnis. Fehler wie der, dass Juliette ihren Todestrank mehrfach auskippt (das Glas entsprechend schief hält), bevor sie ihn zu sich nimmt, fallen dann nicht mehr gross ins Gewicht.

Die musikalischen Probleme des Abends, kaum weniger gewichtig als die Szenischen, liegen darin begründet, dass die musikalische Leitung (Sebastian Schwab) das Stück – so im Programmheft nachzulesen – als «echte Grand Opéra» sieht und als das konzipiert, was sie für Grand Opéra hält. Es scheint grösstes Gewicht auf Lautstärke und musikalische Effekte gelegt worden zu sein und so sind, sobald Blech und Schlagwerk beteiligt, die Streicher, als Lunge des Orchesters, schlicht nicht mehr wahrnehmbar. Das Orchester tönt dann sehr nach «Banda», einer sehr knalligen Banda. Die intimen Szenen lassen das gefühlvolle Musizieren eines «Drame lyrique» (damit haben wir es zu tun) völlig vermissen. Solch grobes Musizieren hat nichts mit Oper zu tun. Einspringer Hans Christoph Bünger kann hier nicht mehr viel richten. Das Berner Symphonieorchester kennt man anders. Besser. Viel besser. Chor und Extrachor der Bühnen Bern sind wie immer von Zsolt Czetner perfekt vorbereitet, fügen sich aber dem Konzept der musikalischen Leitung. Die Idee den Prolog vor dem Vorhang zu geben, ist an sich nicht schlecht. Aber ungeführt ist auch der Chor zu laut. Die Sänger sind letztlich auf sich allein gestellt und müssen schauen, wo sie bleiben. Daraus resultiert ein vermeintlich «dramatisches Singen», von bösen Zungen auch als Brüllen bezeichnet.

Inna Demenkova gibt die Juliette mit einer schneidig-amazonenhaften Stimme, die weniger an ein frisch verliebtes, junges Mädchen, sondern eher an Jahrzehnte Eheleben erinnern. Die Schärfen nehmen den Abend über konstant zu. Ian Matthew Castro muss als Roméo wiederholt an seine Grenzen gehen. Auch wenn er über weite Strecken mit tadelloser Phrasierung, endlosem Atem und einem Grundstock an Emotion für sich einnimmt, sind die Mahnungen der Stimme nicht zu überhören.

Die beiden prächtigen Bässe Christian Valle (Frère Laurent ) und Matheus França (Comte Capulet) sind zwei Grundfesten des Berner Ensembles, die sich problemlos durchsetzen können, denen ein weniger grobes Umfeld aber sicher zum Vorteil gereichen würde. Gleiches gilt für Evgenia Asanova als Stéphano. Jonathan McGovern gibt einen perfekt gestalten Mercutio und muss mit seinem gut tragenden Tenor nur selten «dramatisch singen». Claude Eichenberger ist Gertrude nicht nur für Juliette ein Fels in der Brandung. Michał Prószyński als Tybalt, Gerardo Garciacano als Duc de Vérone, Yurii Strakhov als Pâris und Christoph Engel als Grégorio ergänzen das Ensemble.

Auf die Idee, die Heirat auf der Herrentoilette (dort, wo sich gerade eben noch die Anhänger der Capulets und Montaigus gestritten haben, wer das grössere (Messer) hat) stattfinden zu lassen, muss man erst mal kommen.

Weitere Aufführungen:

Sa. 25.11.2023, 19:30; So. 03.12.2023, 16:00; So. 17.12.2023, 16:00; Di. 19.12.2023, 19:30;

Sa. 23.12.2023, 19:30; Do. 28.12.2023, 19:30; So. 21.01.2024, 18:00; Sa. 27.01.2024, 19:30.

18.11.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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