Giacomo Puccini: Manon Lescaut • Bühnen Bern • Premiere: 20.09.2025
Vergogna!
Selten, ganz selten, kann nur eine drastische Wortwahl den Gehalt dessen, was zu erleben war, treffen. Es ist eine Schande (ital.: «vergogna»), Puccinis «Manon Lescaut» so zuzurichten, wie dies an den Bühnen Bern geschehen ist. Zu Regietheater allerübelster Sorte kommt eine schmerzhafte laute, unsensible musikalische Umsetzung.
Foto © Florian Spring
Anna Bergmanns (Regie) Arbeit ist Regietheater pur. Das beginnt schon damit, wie im Regietheater die Regel, dass das Gebotene philologisch ungenau als «Dramma lirico in vier Akten von Giacomo Puccini» angekündigt wird. Dabei sollte es bestenfalls «nach Giacomo Puccini» heissen. Hier wird aber so unverblümt Margaret Atwoods «Der Report der Magd» brachial der Handlung übergestülpt (einziger Hinweis darauf ein Zitat im Programmheft), dass böse Zungen die Frage nach der Eigenständigkeit stellen würden. Aber, man soll ja immer das Positive sehen, vielleicht dachte sich Bergmann, dass sie die Oper ja nicht so zeigen muss, wie man sie eh schon kennt, und war bestrebt dem Publikum eine neue Sicht zu verschaffen. Nun, wer «Manon Lescaut» nicht kennt, bekommt im Programmheft gleich die angepasste Inhaltsangabe (es muss nicht erwähnt werden, dass dies ohne den entsprechenden Hinweis erfolgt). Wer «Manon Lescaut» kennt, wird hellhörig und legt sich im Kopf schonmal eine Konkordanz an. So wird im ersten Akt aus dem Treiben an der Poststation in Amiens ein Gottesdienst, aus den Studenten werden Soldaten, aus den Mädchen streng gezüchtigte Mägde, aus dem Schankwirt ein Klosterwart und aus dem von Geronte bestochenen Lescaut ein rückgratloser «Aufsteiger». Dazu kommen eine Bücherverbrennung und ein mehr als rüder Umgang mit den Mägden, die nach Belieben brutal auf den Boden geworfen werden. Im zweiten Akt wird Manon dann im Hause Gerontes als «Gebärmaschine» gefangen gehalten. Statt mit Schmuck überhäuft macht ihr Geronte (mindestens) ein Kind und das muss natürlich in einer detaillierten, ausführlichen Vergewaltigungsszene gezeigt werden. Vor der versuchten Flucht haben Manon und Des Grieux noch genug Zeit für ein leidenschaftliches Geplanschte in der im Boden eingelassenen Badewanne. Das ist aber noch lange nicht alles: der dritte Akt hat drei Morde zu bieten: Am Schluss werden nicht nur Manon und Des Grieux kaltblütig erschossen, sondern schon vorher wird, wieder detailliert gezeigt, eines der verbannten Mädchen vom Henker, der eigentlich der Laternenwärter ist, am Hafenkran erhängt. Im vierten und letzten Akt kommt es dann zum inszenatorischen Höhepunkt des Abends: der Auferstehung der Toten. Wenn Manon und Des Grieux in der Wüste Abschied nehmen, entwickelt sich ein Schneesturm. Gute Idee, so ist der Klimawandel auch noch thematisiert. Kurz und gut: Die Inszenierung hat mit der angekündigten Oper so gar nichts zu tun und das wird hier so klar, wie es selbst im Regietheater nur selten zu erleben ist. Wer mit dem Stück nichts anfangen kann, möge doch die Finger davonlassen! Die Bühne von Nadja Eller gibt den idealen Rahmen für das Geschehen ab, die Kostüme von Lane Schäfer unterstützen das Abstruse Moment des Abends. Die Videos von Sebastian Pircher überfluten den Zuschauer im ersten Akt mit fundamentalen Parolen und dienen im zweiten Akt dazu nicht ohne Weiteres erkennbare Momente der Handlung in Grossaufnahme zu zeigen.
Im Programmheft erklärt die neue Chefdirigentin der Oper Bern, Alvetina Ioffe, «Manon Lescaut» sei unter allen Opern Puccinis für sie die Innigste. Solch feine Nuancen habe nur ein Mensch von aussergewöhnlicher Sensibilität niederschreiben können. Von Puccinis «passione disperata» mit der er «Manon Lescaut» fühlte, von der erwähnten Innigkeit ist in Ioffes Dirigat kaum etwas auszumachen. Vielmehr pflügt sie mit dem Berner Symphonieorchester mit so brachialer, emotionsloser Lautstärke durch die Partitur, als wolle sie «con disperazione passionata», mit leidenschaftlicher Verzweiflung, das unsägliche Bühnengeschehen vergessen machen. Dies führt im Endeffekt dazu, dass die Sänger schlicht nach Leibeskräften brüllen müssen und selbst der sonst so hervorragende Chor und Extrachor der Bühnen Bern (Chor: Zsolt Czetner) sang- und klanglos im Tsunami der Orchesterwogen untergeht. Wenn es nach dem Intermezzo keinen Applaus gibt, muss das den Verantwortlichen zu denken geben!
Kiandra Howarth kann an diesem Abend als Manon Lescaut nicht überzeugen. Es fehlen die spürbaren Emotionen und im akustischen «Überlebenskampf» verhärtet die Stimme rasch und wird unangenehm scharf. Jonathan McGovern kommt als Lescaut mit den Umständen besser zurecht, wird letztlich aber ebenfalls daran gehindert sein gewohntes Niveau zu erreichen. Andeka Gorrotxategi gibt den Des Grieux mit auf die Dauer ermüdender, weil gleichförmig farbloser Stentorstimme. Nach «Donna non vidi mai» bleibt das Auditorium praktisch ruhig. Christian Valle ist als Geronte di Ravoir der Lichtblick des Abends. Auch das übrige Ensemble tat sein Bestes und ging «mit wehenden Fahnen» im Tsunami aus dem Graben unter.
Und diese Produktion will man allen Ernstes an Silvester zeigen???
Weitere Aufführungen: Sa. 27.09.2025, 19:30; Mi. 01.10.2025, 19:30; Sa. 04.10.2025, 19:30; So. 12.10.2025, 16:00;
So. 02.11.2025, 18:00; Fr. 21.11.2025, 19:30; So. 30.11.2025, 16:00; So. 14.12.2025, 18:00;
Di. 16.12.2025, 19:30; Mi. 31.12.2025, 18:00.
21.09.2025, Jan Krobot/Zürich