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BERN/ Bühnen: ARABELLA von Richard Strauss

09.12.2024 | Oper international

BÜHNEN BERN: ARABELLA von R.STRAUSS (fünfte Vorstellung)

  1. Dezember 2024

„Und du wirst mein Gebieter sein, und ich dir untertan“ …

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Dieses Textzitat von Hofmannsthal, das Feministinnen, ihren männlichen Verstehern und den im deutschen Sprachraum mehrheitlich linkslastigen Intendanten die Schnürsenkel senkrecht aufstellt, ist dafür verantwortlich, dass ARABELLA heutzutage nicht mehr allzu oft aufgeführt wird.

Es stellt sich die Frage, wie man dieses zeitlich wie örtlich klar in Wien 1865 situierte Werk auf die Bühne bringt, ohne einen Shitstorm bei den Gutmenschen zu entfachen. Zugegeben, der Inhalt wirkt heute total aus der Zeit gefallen, der Plot kompliziert … und dann geht’s vermeintlich auch noch gut aus, mit Happy End …, also ein „No-go“?

Die kleine Verwandte des erfolgreicheren Rosenkavaliers bietet jedoch derart herrliche Melodien an, dass das Werk mit drei dankbaren Partien von Dramaturgen dann doch nicht in die Schublade „der dem Publikum nicht mehr zumutbaren Werke“ abgelegt werden kann.

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Robin Adams/Mandryka, Kiandra Howarth/Arabella, Patricia Westley/Zdenka,, Claude Eichenberger/Adelaide und Graf Waldner/Sami Luttinen. Foto Tanja Dorendorf

Regisseur Marco Storman hat das Werk als Kunstmärchen inszeniert. Merkmale:

Kunstmärchen zeichnen sich im Gegensatz zu überlieferten Volksmärchen (Gebr.Grimm), die vom Gegensatz gut-böse, arm-reich etc. leben, also plakativ mit schwarz-weiss gemalten Typen arbeiten, durch vielschichtig-differenziert gezeichnete Charaktere aus. Kunstmärchen haben eine mehrsträngige Handlung und deren Autoren sind bekannt (Bsp: „Das hässliche Entlein/Die Prinzessin auf der Erbse“ von Hans Christian Andersen, „Der Sandmann/Der goldene Topf“ von E.T.A.Hoffmann, „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry, „Die unendliche Geschichte/Jim Knopf“ von Michael Ende u.a. mehr).

Weitere Merkmale sind: bildreiche Sprache, konkrete Orts- und Zeitangaben, vielfältiges Weltbild, manchmal zeitliche Rückblenden oder Vorausdeutungen. 

Die Oper Arabella erfüllt die Vorgaben eines Kunstmärchens: Die dramatis personae sind von Hofmannsthal bis auf die Fiakermilli erfunden, die Titelfigur steht in einem inneren Konflikt mit ihren Träumen („Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich …“) und der Realität (sie muss durch ihre Heirat die Familie vor dem Ruin bewahren). Neben dieser Pflicht muss sie wie in jeder Märchen-Gattung eine Aufgabe lösen (Matteo und die drei Grafen als Freier loswerden), um ihren Richtigen zu bekommen. Stimmig kommt hinzu, dass es einen zweiten, wichtigen Handelstrang mit Zdenko-Zdenka/Matteo gibt, der indirekt mit Arabella verknüpft ist und damit den Knatsch am Ende des zweiten und dritten Akts heraufbeschwört. Und schliesslich erscheint, sozusagen aus dem märchenhaften Nichts, der „Retter“ Mandryka (es sei erlaubt, von fern an Lohengrin zu denken).

Regisseur Storman hat eine lebendige, interaktive Komödie geschaffen. Den drei Grafen wurde ein Schuss Commedia dell’arte à la Ariadne-Komödianten eingeimpft; das Häuschen mit Fenster und Türen erinnerte leicht an die Beisl-Szene des Rosenkavaliers. Und endlich, es ist selten genug im Zeitalter des wuchernden Regietheaters, ein musikalischer Spielleiter, der an den grossen Stellen keinen Firlefanz hinzu erfindet, sondern der Musik vertraut, den tief empfundenen Gefühlen der Hauptrollenträger nur mit Mimik und kleinen Gesten zu grösster Wirkung verhilft. 

Die Bühne von Marton Agh mit der Lichtgestaltung von Christian Aufderstroht geben dem Märchen einen naturnahen, stimmungsvollen Rahmen, der Assoziationen zu Werken wie Undine oder Rusalka erlaubt, gelegentlich durch die Personenführung ironisiert wird.

Die Kostüme von Axel Aust sind moderat-modern, reichen vom unauffälligen Hosenanzug für Zdenko bis zum Smoking der Freier. Allerdings fand ich es wenig logisch, dass auch Arabella einen Hosenanzug trägt, weil die jüngere Tochter gemäss der Handlung als Bub durchgehen muss.

Zum Musikalischen: Nicholas Carter und das Berner Symphonieorchester geben Strauss was Strauss gebührt, klangschöner Ausdruck, sauber ausmusizierte Kantilenen und Aufschwünge. Allerdings gingen dem Chefdirigenten im kleinen Berner Haus die im Werk erwähnten Kutschpferde öfter mal durch … weniger an Phonstärke hätte voll genügt. Trotz meinem Einwand eine vorzügliche Leistung. Allerdings brachte der satte Klang den Nachteil mit sich, dass dadurch der Wiener Konversationston des Werks etwas unterbelichtet blieb.

Der Chor der Bühnen Bern unter Zsolt Czetner ist wie immer eine sichere Bank.

Kiandra Howarth hörte ich erstmals im Mai 2022 als Freia im Zürcher Rheingold: Sie beeindruckte durch unforcierte, blendende Höhen. Mittlerweile hat sie Fiordiligi, Contessa, Rusalka, Mimi und Desdemona in Hannover und erneut Freia (Covent Garden) gesungen. Nun also das Arabella-Debut in Bern: der positive Eindruck von damals hat sich mehr als bestätigt. Ihr Sopran hat resonanzreiche Rundung, alle Höhen kommen präzise und unangestrengt. Zudem erlaubt ihr ein weiter Atem die berühmten Stellen der Partie geradezu zu geniessen und damit das Publikum zu begeistern, eine erstklassige Leistung, die weit über Bern hinaus auf eine grosse, zukünftige Karriere hinweist.

Ihre jüngere Schwester Zdenka/“Zdenko“ war mit Patricia Westley besetzt. Zdenka ist hilfsbereit, will es allen recht machen: einerseits den Eltern, andererseits möchte sie in ihrer pubertären Gefühlsverwirrtheit auch das Allerbeste für ihre grosse Schwester und Matteo. Merkt sie wirklich nicht, was sie mit den im Namen ihrer Schwester geschriebenen Briefen und der Schlüsselübergabe an Matteo in Akt 3 anrichtet. Dass sie selbst in Matteo verliebt ist, scheint ihr erst beim Eingeständnis ihres Tuns zu dämmern. Den nicht leichten Spagat, all diese Regungen in ein glaubhaftes Porträt zu formen, ist der Künstlerin gelungen. Stimmlich verfügt sie über einen lyrischen, hellen Sopran mit treffsicherer, unangestrengter Höhe.

Das Elternpaar, Graf Waldner und Gattin Adelaide, sind mit dem finnischen Bassisten Sami Luttinen und dem Schweizer Mezzo Claude Eichenberger luxuriös besetzt: beide liefern herrliche Charakterportraits ab; er mit samtenen Bass den Spieler, sie die exaltierte, ums Familienwohl besorgte Mutter.

Robin Adams‘ Bariton ist enorm gereift, der international gefragte Künstler steht mit dem Mandryka und dem geplanten Alberich an der Schwelle zum Heldenbariton. Die kernige, zu grosser Expansion fähige Stimme setzt er als Fremdling bei seinem Auftritt bereits rollendeckend dominant ein. Sein Spiel deckt brillant alle Facetten des Mandryka ab: er vermag sowohl mit der Erzählung über die verstorbene Frau zu berühren und man nimmt ihm seine masslose Enttäuschung und Wut ab, als alle Anzeichen auf schamlosen Betrug durch Arabella hindeuten. 

Zu den 1 + 3 Freiern Arabellas:

Matteo ist Michal Proszynski anvertraut: er beklagt sich mit Attacke bei seinem Freund Zdenko über die Distanziertheit Arabellas, die so gar nicht zu den Briefen der Angebeteten passen. Verliebt kann er nicht ahnen, wie übel ihm mitgespielt wird. Es gelingt ihm, seine Stimmungen von Frust, Zorn, Eifersucht und Enttäuschung mit seinem hellen Tenor zu vermitteln, ab und an nur mit forcierter Anstrengung.

Ian Matthew Castro, Iyad Dwaier und Christian Valle sind die chancenlosen Grafen: Im Prinzip undankbare Partien, die es generell ihren Interpreten schwer machen, sich stimmlich zu profilieren. Alle drei haben zuverlässig geliefert, am besten gefiel mir der Dritte, der scheue Graf Lamoral.

Regisseur Storman hat die Nebenrolle der Kartenaufschlägerin aufgewertet, Kate McNamara fungiert als übersinnliche Kunstfigur mit Glaskugel. Die Chor-Altistin der Bühnen Bern engagiert sich spielfreudig, wirkt auf den Zuschauer als Mix von Strippenzieherin und guter Fee.

Und schliesslich ist Hye-Young Moon zu erwähnen, die den Fiakermilli-„Jodel“ zwar mit „geläufiger Gurgel“ ordentlich, jedoch nur schwach hörbar abliefert.

Atanas Ouroumov als Welko, Vesselin Ouroumov als Djura und Carlos Nogueira als Zimmerkellner, alle drei Tenor-Chor-Mitglieder der Bühnen Bern, komplettierten das Ensemble.

Fazit: eine herrlich-gelungene Aufführung abseits der Tradition in einem schönen Bühnenbild … Herz, was willst Du mehr!

Alex Eisinger

 

 

 

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