BERN: Götterdämmerung (Bühne Bern) 2.5.2025
Nach Zürich und Basel hat nun auch Bern seinen Ring des Nibelungen fertig geschmiedet. Eine frische, unkonventionelle Interpretation ist das Finale der Tetralogie geworden. Ohne Speer, Tarnhelm und Schwert nimmt sich die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak der Sache an. Wagners Ring ist überhaupt ihre erste Regiearbeit für das Musiktheater. Man merkt die Erfahrung für das Schauspiel, die eine neue Lesart in die Mythologie bringt. Sie hat dem Sängerensemble fünf Tänzerinnen und Tänzer beigegeben. Auch wenn manchmal weniger an Bewegungschoreografie hilfreich wäre, weil es zu sehr vom Geschehen ablenkt. So sind einzelne Charaktere wie das Pferd Grane überhaupt noch nie so liebevoll und spannend in allen Szenen als tanzende Figur zu erleben. Dass ein Tänzer den Trauermarsch szenisch eindrucksvoll gestaltet, wird vielen Wagnerverehrern sicherlich zu viel gewesen sein, stimmig ist es allemal.
Statt einem Vergessenstrank reicht Alkohol zur Verdrängung früherer Geschehnisse, die Blutsbrüderschaft wird mit einem grösseren Küchenmesser blutig in Szene gesetzt. Und statt in der Szene mit dem Tarnhelm treten drei gleichgekleidete Cowboys (Siegfried, Gunther und Grane) auf und bieten eine geniale Machoszene für die gewaltsame Entführung Brünnhildens. Gutrune und Gunther, ein Geschwisterpaar in den Zwanzigern, orientierungslos und von Hagen leicht manipulierbar. Der unerschrockenen Art Siegfrieds mit seinem direkten Aktionismus verfallen sie auf der Stelle. Noch nie habe ich eine so heutige Personenregie für dieses mittelalterliche Epos erlebt. Gutrune, tussihaft und nur auf ihr Aussehen bedacht, Gunter mit einer Art Zwangsneurose, sich ständig als Underdog gebend. Hagen durchaus schlau, aber auch mit Schwachpunkten – einfach spannendes Theater, dass die Musik herrlich kommentiert. Dass es dabei auch kein herkömmliches Finale geben kann, ist fast zu erwarten. Brünnhilde wählt den Freitod mit Medikamenten, Gutrune als einzig Überlebende wird den Ring nicht mal bei den Rheintöchtern los. Ist sie die Nächste, die den Fluch weiterträgt oder hat sie durch ihr Erlebtes einen Ausweg in Sicht? Das düstere Bühnenbild von Mirek Kaczmarek und die meist dunklen Kostüme, mit Ausnahme der weißen Rheintöchter, von Julia Kornacka lenken nicht ab, sondern fokussieren das Geschehen auf die Protagonisten.
Brünnhilde, die Vielleserin, immer mit Stapeln von Büchern umgeben, ist eine selbstbewusste, wissende Frau, gesungen von Claude Eichenberger. Viele ihrer früheren Rollen im Mezzofach erlauben ihr eine schöne Tiefe und Wortdeutlichkeit, doch kommt sie auch mit den Spitzentönen perfekt zurecht und ist auch darstellerisch eine Idealbesetzung. James Kee als Siegfried ist nicht der ungehobelte Naturbursche, sondern weiss sehr wohl mit dem weiblichen Geschlecht zu flirten, wie zum Beispiel in der Szene mit den Rheintöchtern. Auch wenn er sich im 2. Akt eine Spur schont, triumphiert er im dritten Akt mit Kraft und Sicherheit. Als Hagen ist Christian Valle, sowie auch Eichenberger als Ensemblemitglied klar Publikumsliebling. Seine Figur ist nicht der stimmlich dunkle Bassbariton, eher ein in manchen Stellen auch unsicherer Ehrgeizling. Cassandra Wright und Jonathan McGovern als Geschwisterpaar könnten jederzeit im Schauspiel als glaubwürdige Figuren auftreten. Dass sowohl die Nornen, als auch die Rheintöchter stimmlich perfekt waren, hätte manchem anderen Haus zur Ehre gereicht. Besonders erwähnt sei noch Susanne Gritschneder als Waltraute und erste Norn.
Das Orchester unter der Leitung von Nicholas Carter – Götterdämmerung ist seine letzte Produktion als GMD am Haus – kann als solide und stimmig gesehen werden. Manchen Stellen hätten ein wenig mehr Schwung gut getan, andere wiederum waren sehr einfühlsam gesetzt. Insgesamt eine großartige Leistung vom Berner Symphonieorchester und dem Chor der Bühnen Bern, letzterer braucht den Vergleich mit großen Häusern nicht zu scheuen.
Otto Grubauer