Verhängnisvolle-Begegnung: Magdalena-A.Hofmann (Anna), Lilian-Farahani (Kitty), Zurab-Zurabishvili (Wronsky). c-Judith-Schlosser.jpg
Bern: „ANNA KARENINA“ – Oper von Jenö Hubay. 26.11.2017
Eine Inszenierung der Spitzenklasse !
Jenö Hubay wurde am 15. September 1858 in Budapest unter dem Namen Eugen Huber geboren, den der 21-Jährige mit Jenö Hubay ans Ungarische anpasste. Seine Studien begann er beim Vater, einem Violinprofessor am Nationalkonservatorium, und wurde selbst ein gefragter Solist in ganz Europa. Des Reisens als Virtuose müde widmete sich Hubay dem Komponieren und gründete u.a. das Hubay-Popper-Quartett, Lieder und Violinwerke entstammen seiner Feder und 1894 wurde seine Oper „Der Geigenmacher von Cremona“ zur UA welche weltweit an 70 Bühnen Beachtung findet. Hubays „Anna Karenina“ während des Ersten Weltkrieges zwischen 1916-1918 erstanden, erhielt endlich am 10. November 1923 in Budapest ihre Premiere. Zwischen 1932 und 1937 wurde diese Oper auch den deutschen Bühnen gespielt u.a. auch in einer glanzvollen Aufführung an der Wiener Staatsoper von Felix Weingartner geleitet. Sodann verschwand das Werk in den Musikarchiven, wurde erst wieder 2014 in Braunschweig zum Leben erweckt und erhielt nun heute ihre EA in der Schweiz.
Hubays Komposition geprägt von Einflüssen diverser Kollegen beeindruckte mich ganz besonders in ihrer äußerst dramatischen Vielfalt, ihrer unglaublich spannenden Komplexität der melodischen Tonalität, ihrer grandiosen Psycho-Analyse der Textgrundierungen. Momente u.a. dem Monolog der Anna im ersten Bild erinnern an die Tiefland-Marta, orchestrale Ausbrüche an Korngold, Tschaikowskys Onegin schimmert durch, wenige instrumentale Exzesse an Prokofiew etc., Lyrismen an Lehar, ja selbst Orchesterfluten klingen nach Humperdinck und Wagner. Nun, ich persönlich nicht der Fan zeitgenössischer Opern, jener teils totgeborenen „Kinder“, bedaure es sehr, dass musikalisch so kostbare Werke in der Versenkung schlummern. Es wäre sehr zu begrüßen, dass sich weitere Häuser finden welche diese ausgezeichnete lohnenswerte Oper ihrem Spielplan einverleiben?
Doch sei der Schweizer Bühne Konzert Theater Bern zu danken, dass sie sich des Kleinods annahm und natürlich ganz besonders das Werk einer glanzvollen Inszenierung erstehen ließ.
Frei nach der Tolstoi-Roman-Grundlage führte die vortreffliche Regisseurin Adriana Altaras ohne befremdliche Einflüsse die Protagonisten durch das dramatische Geschehen, verstand es vorzüglich die Chormassen zu führen, rückte das tragische Liebespaar empfindsam in ihre leidenschaftliche Verstrickung, blieb komischen auflockernden Momenten nichts schuldig, beleuchtete diskret mit ironischem Unterton die russische Seele sowie die vielen liebevollen Details der vier Szenenbilder.
In Koproduktion mit dem ausgezeichneten Team Christoph Schubiger (Bühne), Nina Lepilina (Kostüme) sowie der großartigen Lichtregie (Jürgen Nase) erstand eine atmosphärische Optik der besonderen Art. Die erste Szene zeigte die Moskauer Gesellschaft beim Eislauf, inmitten der gefrorenen Fläche ein feudaler Pavillon mit Kaminfeuer und einladenden fellbestückten Sitzecken. Baronesse Kitty Schtscherbatzky von den Eltern dem Beau der Gesellschaft Graf Wronsky versprochen fühlt sich unglücklich und sucht Rat bei der befreundeten Anna Karenina, welche vom tödlichen Unglück eines Zwergwüchsigen während einer nächtlichen Zugfahrt traumatisiert, Kitty zwar mit den Worten Du musst auf Dein Herz hören rät, aber ihren Gedanken nachhängt, dem Offizier gedenkt welcher sie unentwegt anstarrte. Die junge Frau stellt Anna den Verlobten vor und ER ist es. Es kommt wie es kommen muss, in zwielichtigen Gefühlen verstrickt weist sie den Drängenden mit den Worten ich liebe Sie nicht, ich hasse Sie, ich verachte Sie und sinkt ihm in die Arme. Kitty wendet sich schließlich ihren verliebten Verehrer Lewin zu.
Zum zweiten Bild befinden wir uns auf einem Parcours während des Frühlings, die Tribüne vortrefflich in Szene gesetzt, die Zuschauer herrlich duftig kostümiert, das Paar begegnet sich wieder. Wronsky der Favorit verunglückt, Karenin wird die Affaire seiner Frau offenbar und warnt Anna vor dem Skandal, sie verlässt die Familie dennoch und bekennt sich zu ihrer Liebe.
Liebesglück in Venedig: CARLOS-NOGUEIRA (Muschik), MAGDALENA A. HOFMANN (Anna), ZURAB-ZURABISVILI (Wronsky). Copyright-Judith-Schlosser.jpg
Die Liebenden flohen nach Venedig wohnen idyllisch mit Blick auf einen Palazzo und Canale Grande. Wronsky portraitiert Anna, man liebt sich, der Liebhaber von ewigen Schwüren überfordert erhält Besuch aus der Heimat mit Ermahnungen an Pflicht und Karriere, Anna belauscht das Gespräch, willigt der Heimkehr zu von Todesahnungen erfüllt.
Das düstere Finalbild zeigt eine Terrasse mit rustikalen Bänken beim inzwischen verheirateten Paar Kitty/Lewis bei welchem Anna Unterschlupf fand. Nach letzter Aussprache mit Wronsky und Eifersüchteleien wählt die vermeintlich Verlassene den Freitod und wirft sich vor den Zug. Eine imposante Glanzleistung des Lichtdesigners.
Man sollte diese phantastische Produktion an interessierte Opernhäuser ausleihen oder verkaufen, wie zuvor die märchenhafte Berner Inszenierung „La Cenerentola“ nach Lübeck und Mannheim !
Zur wahrhaft genialen Optik gesellten sich zudem die ausgezeichnet musikalischen Komponenten. Magdalena Anna Hofmann als Anna Karenina überzeugt mit ihrem facettenreichen Sopran gleichwohl im Mittelbereich ihrer tragfähigen Stimme während der erzählenden Monologe und ebenso den dramatischen Höhenattacken. Ihr dunkles Timbre spiegelt in dynamischen Differenzierungen die grüblerische Konstitution der konsequent Liebenden und erfüllte zudem in darstellerisch beklemmender Intensität ein schicksalhaftes Frauenportrait.
Die Trennung: Magdalena A. Hofmann (Anna), Zurab Zurabishvili (Wronsky). Copyright: Judith Schlosser
Überzeugend verkörperte der georgische Tenor Zurab Zurabishvili den Beau der russischen Aristokratie, den verliebten Verführer sowie den letztlich überforderten Amant und ließ während der baritonal geführten Mittellage in tiefgründiger Bedeutung erkennen, dass er nicht allein der Schuldige am Scheitern der Beziehung war. Respektabel verstand es Zurabishvili, sein prächtig fokussiertes Material facettenreich einzusetzen, lyrisch nuanciert erklang das wohltimbrierte Tenor-Potenzial in allen Bereichen, krönte seinen Vortrag mit glanzvollem Höhenstrahl und schenkte der Partie zunehmend belcanteske Züge.
Als sympathisches Buffo-Liebespaar im dramatischen Geschehen glänzte der leichtgewichtige schöne Sopran von Lilian Farahani (Kitty) sowie der lyrische Tenor Andries Cloete (Lewis). Mit ansprechendem Bariton bewegte Serpukowsky (Iyad Dwaier) den Freund zur Heimkehr.
Mit sprödem Bass verkörperte Young Kwon Annas Ehemann Graf Karenin. Rollendeckend fügten sich die Stimmen der kleinen Partien Jinsook Lee (Dolly), Franka Friebel, David Park (Fürstenpaar) sowie Todd Boyce, Nazariy Sadivskyy, Samuel Thompson, Ulrike Schneider, Bareon Hong und Lorin Meinen (Singschule Köniz) als der kleine Serjoscha ins Geschehen. Agil kommentierte der Theater Chor (Zsolt Czetner) das Parcour-Geschehen.
Jochem Hochstenbach leitete das bestens disponierte Berner Symphonieorchester über die klippenreiche Partitur, verlieh den Leitmotiven, den lyrischen Serenaden, den brillanten orchestralen Akkorden sehr ansprechende Instrumentationen. Operettenhaften Sequenzen, Unisono-Melodien, den Duetten schenkte Hochstenbach beherzte Momente ebenso wie den überwältigend-spannenden Orchesterfluten während des Parcours oder den ratternden Zugmotiven.
Das Publikum teilte meine Begeisterung, feierte alle Mitwirkenden einschließlich des Produktionsteams mit Bravorufen und acht Minuten prasselndem Applaus. Das Finale einer beglückend-lohnenswerten Reise nach Bern und ich würde sie jedem Raritäten-Opernfreund sehr empfehlen.
Gerhard Hoffmann