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BERLIN/Statsoper/Werkstatt: TARQUIN von Ernst Krenek

26.04.2015 | Oper

Opernrarität in Berlin: „Tarquin“ von Ernst Krenek (Vorstellung: 25. 4. 2015)

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Jonathan Winell als des Diktators Gefolgsmann Bruno (Foto: Vincent Stefan)

 Die Berliner Staatsoper, immer noch im Schillertheater beheimatet, brachte auf der Werkstatt-Bühne wieder eine der in Vergessenheit geratenen Opern zur Aufführung: „Tarquin“ von Ernst Krenek. Die 1940 komponierte Kammeroper in zwei Teilen, die als Satire auf Adolf Hitler gemeint war, hatte ihre szenische Uraufführung 1950 in Köln und wurde danach nur noch einmal in Linz aufgeführt.

 Ernst Krenek (1900 in Wien geboren, 1991 in Palm Springs gestorben) begann mit 16 Jahren in Wien bei Franz Schreker zu studieren und folgte diesem 1920 nach Berlin. Mit seiner Oper Johnny spielt auf, die 1927 in Leipzig uraufgeführt wurde, hatte er seinen größten Erfolg, doch wurden seine Werke nach 1933 von den Nationalsozialisten verboten. 1938 emigrierte er in die USA, wo er ab 1939 an verschiedenen Universitäten lehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er des Öfteren nach Europa zurück, um seine eigenen Werke zu dirigieren. Ein Jahr vor seinem Tod kam in Wien noch Kehraus um St. Stephan zur Uraufführung (dieses Werk wurde 2008 auch bei den Bregenzer Festspielen mit Sebastian Holecek im Theater am Kornmarkt gespielt).

 Die Handlung der Kammeroper „Tarquin“, deren Libretto Kreneks amerikanischer Freund Emmet Lavery verfasste, in Kurzform: Zwei junge Burschen konkurrieren um die Liebe eines Mädchens und um den Rang des Klassenbesten in der Schule. Marius unterliegt gegen Cleon, zieht in die weite Welt hinaus und wird Diktator eines Landes. Er verdrängt seine alte Identität und nennt sich fortan Tarquin. Als Diktator entfesselt er einen Krieg und etabliert ein Terrorsystem. – Sein Jugendkamerad Cleon wird Wissenschaftler. Als Folge eines missglückten Experiments ist er körperlich versehrt. Das Mädchen Corinna wird Ärztin. Das Land, in dem sie leben, befindet sich im Bürgerkrieg – Cleon betreibt einen geheimen Radiosender, während sich Corinna um die Verletzten beider Seiten kümmert. Sie wird vom Volk als Heilige verehrt. – Als sich die drei Jugendfreunde erneut begegnen, erwacht in Marius die verdrängte menschliche Seite. Tarquin verliert zunehmend die Kontrolle, sein System hat sich aber längst verselbstständigt.

 In einem im Programmheft veröffentlichten Beitrag von Gerhard Herfeldt über Ernst Kreneks Oper heißt es: „Trotz der Versicherung, seine Oper solle zeitlos sein, bedient Krenek erneut das Genre der Zeitoper. Die politischen Dimensionen, die Komponist und Librettist dem Werk zugrunde legen, beziehen sich deutlich auf die Situation in Deutschland, andere Figuren tragen in ihrem Handeln die Züge österreichischer Politiker und Kirchenvertreter.“  

 Mascha Pörzgen, die zurzeit am Mozarteum Salzburg lehrt, verlegte die Handlung in ein psychiatrisches Versuchslabor mit internationalem Expertenteam (das Publikum bekam grasgrüne Mäntel ausgehändigt, um eine sterile Umgebung herzustellen), wobei die Laborleiterin im zweiten Teil hilflos erkennen muss, dass die Situation im Labor aus den Fugen geraten ist. Die kühle und karge Ausstattung besorgte Johannes Gramm – mit Unterstützung von Isabel Theißen bei den Kostümen, die zwischen militärischem und laborartigem Charakter wechselten. Für die Lichteffekte sorgte Georgi Krüger.

 Große stimmliche Anforderungen wurden an das Sängerensemble gestellt, das dem Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden angehört.  So schrieb der „Spiegel“ anlässlich der Uraufführung in Köln: „Kreneks Gesangspartien sind von heutigen Sängern nur unter Strapazen zu bewältigen.“ Ein Satz, der auch nach 65 Jahren noch seine Gültigkeit hat. Umso bewundernswerter die Leistungen der jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios.

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Maximilian Krummen als Tarquin und Sónia Grané als Ärztin Corinna (Foto; Vincent Stefan)

 In der Titelrolle überzeugte der Bariton Maximilian Krummen sowohl stimmlich wie auch darstellerisch. Seine Posen als Diktator zeigte er bereits als Marius, für den es als junger Bursche eine Katastrophe bedeutete, nur Zweiter zu sein. Dass er des Öfteren seine Stimme zu sehr forcierte, war in dem kleinen Raum ein Problem. Allerdings war er nicht der einzige des Ensembles, der zu laut sang. Ihm ebenbürtig war die zarte portugiesische Sopranistin Sónia Grané als Corinna. Sie überzeugte in jeder Szene, ob als Schülerin, ob als Ärztin oder als mutige Frau des Widerstands. Hut ab, dass sie auch die extremen Höhen ihrer Partie bewältigte!

 Der aus Neuseeland stammende Tenor Stephen Chambers war sowohl als sympathischer Knabe Cleon wie auch als Offizier ein idealer Widerpart zur Titelfigur. Exzellent auch der russische Bass Grigory Shkarupa, der besonders als Erzbischof stimmlich wie darstellerisch exzellent war und in dieser Rolle an den Wiener Erzbischof Innitzer erinnerte. Der amerikanische Tenor Jonathan Winell bot als Major Bruno, der mit vorauseilendem Gehorsam den Diktator unterstützte, gleichfalls eine großartige Leistung, die den Zuschauern  kalte Schauer über den Rücken laufen ließ.

 Rollengerecht agierte auch die Mezzosopranistin Annika Schlicht als Laborleiterin und Reporterin. Sie rezitierte auch drei Lieder aus Kreneks Zyklus Gesänge des späten Jahres, die anstelle eines gesprochenen Kommentars eingebaut wurden.

 Über seine Arbeit an der Kammeroper schrieb Krenek in seinem Tagebuch: „Zu meiner Überraschung bin ich in meiner Opernarbeit wieder zur ‚klassischen‘ Zwölftonmusik zurückgekehrt, d. h. zur konstanten Verwendung ganzer Reihenformen, und zwar, wie mir klar wurde, gerade weil ich in einer Oper freier sein will als in einem absoluten Musikstück.“

 Das sechs Musiker umfassende Kammerorchester – zwei Pianisten und je ein Schlagzeuger, Geiger, Trompeter und Klarinettist – bestand aus Mitgliedern der Staatskapelle Berlin und deren Orchesterakademie und wurde von Max Renne geleitet. Ihnen gelang es, die expressive und stimmungsbildende Partitur des Komponisten anschaulich wiederzugeben.  

 Das Publikum belohnte alle Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus, der teils in Fußgetrampel ausartete. Jubel gab es für Sónia Grané und Maximilian Krummen.

 Udo Pacolt

 

 

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