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BERLIN/Staatsoper im Schillertheater: AMOR VIEN DAL DESTINO von Agostino Steffani. Premiere

24.04.2016 | Oper

BERLIN / Staatsoper im Schillertheater: AMOR VIEN DAL DESTINO, Premiere, 23.4.2016

Manchmal fallen die Liebe und auch – plop – eine Oper vom Himmel!

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 Olivia Vermeulen als Turno, Robin Johannson als Giuturna. Copyright: Thomas M. Jauk

Der 400. Todestag von William Shakespeare und 125. Geburtstag von Sergej Prokofiev an einem Tag. Ja dieser 23. April hat es in sich. Auch an der Staatsoper im Schillertheater ist man nicht faul und sucht das Außergewöhnliche. Wer kann schon behaupten, bei der ersten öffentlichen Aufführung einer Oper, die über 300 Jahre nirgendwo auf dem Spielplan stand, dabei gewesen zu sein?

Was Entdeckungsmut und Risikofreude anlangt, ist die Staatsoper in Berlin wohl eines der innovativsten Opernhäuser in Deutschland. Welches große Opernhaus wagt es schon, eine völlig unbekannte Barockoper des zuletzt durch Cecilia Bartoli oder Donna Leon (Steffani Krimi „Himmlische Juwelen“) ein wenig bekannter gewordenen Italieners Agostino Steffani nicht nur konzertant, sondern als szenische Premiere mit illustren Namen in den Spielplan zu nehmen? Dem Produktionsteam um Ingo Kerkhof (Bühnenbild Dirk Becker) unter der musikalischen Leitung von René Jacobs ist nun (erstmals) über 300 Jahre nach der Uraufführung am Düsseldorfer Hof des Kurfürsten von der Pfalz, Johann Wilhelm, ein großer Coup gelungen. Trotz der über 3 Stunden Aufführungsdauer ist der Abend auch dank der vorzüglich und sinnlich-tänzerisch aufspielenden Akademie für Alte Musik Berlin eine Delikatesse für Feingeister geworden.

Die Szenerie stellt einen zeitlosen Ort, vielleicht am Mittelmeer, dar. In einfachen, praktikablen Bühnenbildern – es genügt ein stilisierter gülden-roter Vorhang, ein Tisch, eine Bank und viel Schilf, einige ausgestopfte „Liebesfüchse“ und ein Laufsteg rund um das Orchester, um die rund 100 Nummern (13 Szenen) dieser doch recht ausladenden Oper klar, witzig und modern mit barockem Augenzwinkern und dem üblichen qui pro quo zu inszenieren. Die elf Rollen werden von acht vorzüglichen Sängerinnen und Sängern stilsicher, koloratur- und verzierungsreich mit viel Sentiment und Hingabe gesungen. Ein vom Regisseur geschickt hinzugefügter Amor à la Puck im Sommernachtstraum (pantomimisch allerköstlichst Konstantin Bühler) darf als rotschopfiger schlaksiger Gärtner Schilf anpflanzen, in dem sich schlussendlich alle verwirren, bevor die Götter doch noch darauf schauen, dass zusammenkommt, was doch im Himmel gefügt wurde.

Das komische Element dieses letztlich in endlosen Verkennungs- Traum- und seelischen Verwechslungssequenzen manchmal allzu statischen Librettos rund um die Spielarten von Liebe, den Naturgewalten der Anziehung versus die gesellschaftlichen Regeln folgende Ehe, ist der Kitt, der alles dramaturgisch zusammenhält. Drei Liebeskonstellationen, eine hehre (Lavinia-Enea), eine dreist-körperliche-verführerische des Dienerpaars (Nicea-Corebo) sowie eine erkämpfte (Giuturno-Turno) bilden nebst den Göttern Venus (Robin Johannson) und Jupiter (mit schönen Countertenor Rupert Enticknap) die Stränge, aus denen der Humus der Verstrickungen bis zum Happy End erwächst.

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Schlussbild Ensemble. Copyright: Thomas M. Jauk

Musikalisch ist wie fast immer bei barocken Ausgrabungen in der Staatsoper René Jacobs der spiritus rector der umjubelten Aufführung. Als einer der besten Dirigenten Alter Musik hat er mit seinem vorzüglichen Orchester einen weiteren Meilenstein in der Rezeption des Agostino Steffani gesetzt. Steffani gehörte zu den berühmtesten Komponisten seiner Zeit. Er hatte einen maßgeblichen Einfluss auf den jungen Georg Friedrich Händel und wurde auch von Johann Sebastian Bach bewundert. Zugleich machte Steffani als geschickter Diplomat Karriere und missionierte später als Apostolischer Vikar in Ober- und Niedersachsen. Neben zahlreichen Kammerduetten komponierte er 17 Opern, in denen er sowohl italienische, französische und deutsche Stilelemente miteinander verband. Das klingt dann auch eher nach Cavalli und Monteverdi als nach Händel oder Hasse. Es gibt keine da capo Arien, die Musik orientiert sich stark am Text, die Verzierungen sind Ausdruck der Affekte und nicht Vehikel für Diven.

Eigenartig, dass mein subjektives Urteilsempfinden, was Qualität der Stimmen, Ausdruck und dramatische Intensität betrifft, beinahe immer mit der Phonstärke des Applauses in Berlin übereinstimmt. Ich möchte daher von den Solisten besonders und an erster Stelle die großartige Olivia Vermeulen in der Hosenrolle des Turno vor den Vorhang bitten. Sowohl die elegischen Arien mit Endloslegato als auch jede affenflinke Koloratur gelingen mit rundem Luxuston, die Stimme ist auch in extremis nie gestresst. Am Ende bekommt „er“ Giuturna, für die sich Robin Johannson mit allen vokalen Finten ins Korn wirft. Gleich danach kommt für mich das Dienerpaar. Nicea wird vom Bariton Mark Milhofer mit schwarzer Lockenperücke entzückend gurrend, erdig-handfest und die Erotik geschickt travestierend verkörpert. Als ihr eifersüchtiger Verehrer darf Gyula Orendt maskulin-markant alle Register der Intrige ziehen und ist gleichzeitig als Figur ein Vorbote des Figaro. Das edle Hauptpaar Lavinia und Enea wird von Katarina Bradic mit schönem, aber kleindimensionierten Alt und Jeremy Ovenden mit technisch sicherem, aber weiß timbrierten Tenor gesungen. Der Vater der in Liebesdingen unentschlossenen Frauen, König Latino, ist beim Bass Markus Fink gut aufgehoben.

Köstlich die Schlussszene, wo Jupiter dem Amor die Augen verbindet und ihn dann in eine Spiegel schauen lässt. Der küsst in narzisstisch Überwältigung sein Ebenbild, bevor ihm auch das rasch langweilig wird und er lieber wie ein Kind mit einem Papierschifferl spielt. Ja, ja die Liebe….

Die Aufführung insgesamt ist ein wahres Gustostückerl für Liebhaber von Barockmusik und alle neugierig Gebliebenen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

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