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BERLIN/Philharmonie: SILVESTERKONZERT / Simon Rattle/ Anne-Sophie Mutter

30.12.2015 | Konzert/Liederabende

Berlin/ Philharmonie: SILVESTERKONZERT mit Simon Rattle und Anne-Sophie Mutter, 29.12.2015

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Anne Sophie Mutter und die Berliner Philharmoniker. Copyright: Holger Kettner

Es muss nicht immer Beethovens Neunte zum Jahresausklang sein, bei Simon Rattle sowie nicht. Der schwenkt diesmal hinüber nach Frankreich und bringt eine Assemblage von Ausschnitten und kleinen Stücken, das längste nur rd. 16 Minuten. Ein Leicht-Kost-Sammelsurium? Nein, das nun doch nicht, dazu wären sich die Berliner Philharmoniker zu schade und Stargast Anne-Sophie Mutter ebenso.

Das erste Stück, die „Ouvertüre zur Oper L’Étoile” von Emmanuel Chabrier wirkt allerdings, obwohl voller Schwung musiziert, erkennbar ambitioniert. Der Komponist, ein Jurist und Beamter unter Kaiser Napoleon III, wollte wohl alles herzeigen, was er sich weitgehend autodidaktisch erarbeitet hatte. Hut ab, aber es fehlt dieser Musik doch einiges an  Laissez-faire.

Bei der „Introduction et Rondo capriccioso” für Violine und Orchester a-Moll op. 28 von Camille Saint-Saëns steigt der Konzentrationspegel im ausverkauften Saal deutlich. Anne-Sophie Mutter im schulterfreien lachsfarbenen Outfit bannt gleichermaßen Augen und Ohren. Duftig und zärtlich leise beginnt sie das Andante, schwebt mit lang gezogenen Legati über dem Orchester, um dann beim Allegro ma non troppo ins kapriziös „Zigeunerische“ zu schwenken. Für viele Franzosen im 19. Jahrhundert war Spanien mit seiner „Zigeunermusik“ ein Sehnsuchtsland.

Selbst Maurice Ravel unterlag noch in den 1920’er Jahren dem Zauber dieser fremdartigen Klänge, nachdem ihm in London die ungarisch-britische Geigerin Jelly d’Arányl – wie im Programmheft zu lesen – eine ganze Nacht lang Zigeunerweisen vorgespielt hatte. Für sie komponierte er „Tzigane” nach dem Vorbild der Ungarischen Rhapsodien von Franz Liszt.

Die Meistergeigerin in diesem Silvesterkonzert heißt Ann-Sophie Mutter. Sie bringt diese Rhapsodie für Violine und Orchester, ein über die Maßen anspruchsvolles Werk, mit höchster Perfektion. Hoch aufgerichtet verfolgt ein junger Koreaner neben mir das Geschehen. Im Saal könnte man bei der 4-minütigen Solo-Kadenz eine Stecknadel fallen hören. Selbst die „hartgesottenen“ Philharmoniker verfolgen ihr Spiel voller Aufmerksamkeit.

Das insgesamt nur 10 Minuten dauernde Stück in der Zigeunertonleiter zeigt sich als kleiner Kosmos, gespickt mit Raffinessen. Dem durchgestalteten Solo folgt die mitreißende Stretta mit Aufstiegen bis in den Flageolett-Bereich, mit schwierigsten Quart-Doppelgriffen, Trillern und Oktavwechseln.
Der Jubel danach will kaum enden und übertrifft bei weitem den Beifall für die dazwischen geschobenen, mit Kastagnetten-Einsatz garnierten Orchesterstücke aus der Oper „Le Cid“ von Jules Massenet. Nach der Abfolge von spanischen Nationaltänzen, die Massenet einbaute, hätten die Zuhörer sagen können: „Das kommt uns spanisch vor“.

Nach der Pause die Ballettsuite „Les Biches” von Francis Poulenc, geschaffen 1923 für die „Ballets russes Sergej Diaghilews“, der Volltreffer eines 28-Jährigen, der ihm zum Durchbruch verhalf. Ein rasantes Stück, eine gelungene, noch immer recht überraschende Mischung verschiedenster Stile von Mozart, Strawinsky und US-Jazz. Ein Spaß mit Schwung, Schmalz und Synkopen. Hier sind die Berliner Philharmoniker in ihrem Element. Einer der Cellisten muss danach einige lose Saiten vom Bogen zupfen.

Auch „La Valse” von Maurice Ravel, bezeichnet als Poème chorégraphique für Orchester, haben sie voll drauf, diesen 1920 komponierten hochinteressanten Verschnitt von Nachkriegsmisere und der Walzerseligkeit des von Ravel hoch geschätzten Johann Strauß. Schon das anfängliche Grummeln der Kontrabässe lässt Ungemach ahnen, und den Walzer- Zitaten folgt stets Ungemütliches. Bläser, Pauken und Schlagzeug haben Hochkonjunktur, ehe die Streicher förmlich losschmalzen. Hinterher werden sie von Rattle mit dankbarem Handschlag gewürdigt. La Valse – kein lustiger Silvesterknaller, wenn auch mit Knalleffekten dargeboten und letztlich mit Beifall überschüttet.

Die Zugabe lässt nicht auf sich warten. Mit Vehemenz stürzen sich Rattle und die Seinen auf Brahms Ungarischen Tanz Nr. 1 g-Moll und schwelgen in diesen herrlichen Klängen.

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen am 30. und 31.12.2015

 

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