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BERLIN/ vor dem Konzerthaus: Der 200. Geburtstag des FREISCHÜTZ von Carl Maria von Weber

19.06.2021 | Oper international

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Vor dem Konzerthaus. Foto: Markus Werner

Berlin / vor dem Konzerthaus: der 200. Geburtstag des „FREISCHÜTZ“ von Carl Maria von Weber, 18.06.2021

Datum und Ort stimmen perfekt. Genau vor 200 Jahren wurde der Freischütz im Konzerthaus Berlin – so der jetzige Name des nach dem 2. Weltkrieg wieder errichteten Schinkelbaus – uraufgeführt. Das Datum wurde damals mit Bedacht gewählt. Es war der Jahrestag der Schlacht von Waterloo 1815, also ein fast triumphales Gedenken an die Befreiung Europas von Napoleon und Frankreichs Vorherrschaft.  

Der „Freischütz“ wurde also zur ersten deutschen Nationaloper sowie durch sein Thema und die sofort populären, leicht nachzusingenden „Lieder“ sofort zum Hit sondergleichen. Überall wurde insbesondere „Wir winden dir den Jungfernkranz“, geträllert, so dass Heinrich Heine spottete, sogar die Hunde würden ihn bellen. Noch meine Mutter hat diese Weise mitgesungen, wenn sie im Radio beim Wunschkonzert gespielt wurde. 

Am 18.06.2021 tut das niemand, obwohl es draußen womöglich statthaft wäre. Wir sind aber nicht in der Arena di Verona. Im Berlin sitzt das Publikum vor dem Konzerthaus Abstand wahrend in 250 mit Kreide markierten Zwei-Personen-Kreisen auf dem Gendarmenmarkt und genießt einen vorzüglichen „Freischütz“ an einem lauen Sommerabend.

Die Oper, im Haus aufgeführt, wird nach draußen auf eine Leinwand gestreamt. Der „Freischütz“ nun als klangreiches Kino. Auch das funktioniert sehr gut, weil Chefdirigent Christoph Eschenbach das Stück engagiert darbietet, das Konzerthausorchester alle Register zieht und die Mitwirkenden aufs Beste singen und spielen.   

Der „Freischütz“ gilt als romantische Oper, aber ist er das überhaupt? Süßlich erscheinen nur einige von Frauen gesungene Ohrwürmer. Ansonsten blitzen gleich anfangs auch die dunklen Seiten der Romantik auf. Mit Satans Hilfe Freikugeln zu schießen und das Gewehr sogar auf Jesus am Kreuz  oder Heiligenbilder zu richten, war eine aus dem Mittelalter bekannte Schauergeschichte.

Dass die Wolfsschlucht in Thüringen zu finden sei, ist dabei eigentlich ohne Belang. Sie befindet sich im eigenen Hirn und Herzen! Selbst der viel besungene „Jungfernkranz“ ist makaber. Agathe sieht beim Öffnen des gebrachten Kästchens eine schwarze Dornen-Todeskrone und keinen aus bunten Blüten geflochtenen Hochzeitskranz.

Angeblich gehört der „Freischütz“ in Deutschland weiterhin zu den am meisten gespielten Opern. Doch viele Häuser und die damit beauftragten Regisseure tun sich damit schwer, so dass das Stück oft kein Erfolg wird. Es gibt auch einige nachdenkliche Regisseure, die sich von Webers fabelhafter Musik nicht betören lassen.

Schon im 200 Jahre alten Original ist Max ein Mann, der jammernd erkennt, dass ihm das Glück abhanden gekommen und er ein Versager geworden ist. Der hat sich offenbar selbst überfordert, was den ersehnten beruflichen und die dazu gehörige Ehefrau betrifft.

Von Kasper, der Max’ Schwäche erkennt und ausnutzen will, lässt er sich auf die verbrecherische Spur führen, um sein Schicksal doch noch zu wenden. Genau und krass durchdacht hat das der russische Regisseur Dmitri Tscherniakov, der den Freischütz kürzlich an der Münchner Oper in ein heutiges Umfeld stellt.

An diese Version muss ich auch bei der sehr gelungenen Regiearbeit von Carlus Padrissa aus der Katalanischen Ausnahme-Truppe La Fura dels Baus denken, die das psychologische Umfeld des „Freischütz“ ebenfalls aufgreift und außerdem die Inszenierung gekonnt an die geltenden Pandemie-Erfordernisse angepasst hat. Nicht nur die grauslich gestaltete Wolfschlucht, das Gießen der Freikugel und die Albträume, unter denen Max und die ihn liebende Agathe leiden, werden entsprechend thematisiert.   

Nun als Kino geboten, scheint das seelische Geschehen der Protagonisten das Publikum an diesem Sommerabend nicht zum Grübeln zu veranlassen. Bei solcher Musik muss das auch nicht unbedingt sein, zumal die Sängerinnen und Sänger zum 200sten Freischütz-Geburtstag sämtlich Glanzleistungen erbringen.

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Benjamin Bruns als verzweifelter Max. Foto: Markus Werner

Der Max, der als Erster sein Leid klagt, wird vom Tenor Benjamin Bruns großartig gesungen und gespielt. Sofort zeigt sein unsicherer und ängstlicher Gesichtausdruck, in welch seelischer Not der einst Erfolgreiche inzwischen steckt. Mit Power, aber ohne Übertreibung, singt er eine Verzweiflung heraus. Nachfühlbar werden auch seine Ängste und Bedenken, ehe er sich dazu durchringt, dem als üblen Burschen bekannten Kasper – großartig der Bass Christof Fischesser ! – sein Schicksal anzuvertrauen. Den bösen Geist Samiel verkörpert der Schauspieler Wolfgang Häntsch.

Relativ milde als ein Mensch mit Verständnis gibt sich Franz Hawlata (Bass) als Oberförster Kuno, der eigentlich einen Nachfolger braucht. Doch den damals üblichen Probeschuss kann und will er dem Max dennoch nicht ersparen. Immerhin spielt der „Freischütz“ nach dem 30jährigen Krieg. Und der Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Michael Alber, besingt andererseits das Jägervergnügen, das Max abhanden gekommen ist.

Während der Chor sowie die schon erwähnten männlichen Hauptpersonen berufsmäßig in dunkelgrün und dunkelgrau gekleidet sind, hellen Agathe, ständig in einem weißen „Unschuldskleid“, und das muntere Ännchen – mal in gelb, mal in weiß – die Szene ebenso auf wie die Brautjungfern Isabelle Voßkühler, Bianca Reim, Christina Bischoff und Heike Peetz (Kostüme: Hwan Kim).

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Anna Prohaska als Aennchen, Jeanine De Bique als Agathe. Foto: Markus Werner

Zum leuchtenden Stern am Berliner Abendhimmel wird jedoch ungeachtet des Kleides Jeanine De Bique, die ihren schönen Sopran ganz wunderbar fließen lässt und nicht nur bei „Leise, leise fromme Weise“. Die Sorgen, die sie sich um Max und die bevorstehende Hochzeit bzw. die Ehe mit ihm macht, sind ihr anzuhören und im Gesicht deutlich abzulesen.

Angstattacken wie er hat sie auch bereits, träumt sie doch, sie sei eine weiße Taube, die er erschießen wird, was später fast geschieht. Das unbeschwerte Gegenteil verkörpert Anna Prohaska als Ännchen mit Witz und perlenden Koloraturen. Diese Rolle ist ihr auf den Leib geschrieben.

Zusammen bilden die beiden Frauen ein überzeugendes Freischütz-Paar. Ihren freundlichen Kilian (Viktor Rud) kriegt das Ännchen letztendlich auch noch, während Max beim Probeschuss fast oder doch (?)  seine Agathe erschießt. So soll das aber bei Weber und seinem Texter Friedrich Kind keineswegs enden, und Regisseur Carlus Padrissa folgt (anders als Tscherniakov) nun dieser politisch-religiös korrekten Vorgabe.

Eigentlich will nun Fürst Ottokar – hier Mikhail Timoshenko mit langem schwarzen Zopf und klangreichem Bariton – den geständigen Max verurteilen, doch der Eremit – Tijl Faveyts mit Jahres-Stoppelbart und kraftvollem Bass – fordert Milde und ein Probejahr für beide durch Trennung.

Und was wird in dieser für junge Menschen langen Zeit aus Agathe und Max und ihrer Liebe? Vielleicht „Alles bleibt anders“ nach dem Motto des Konzerthauses zu seinem 200jährigen Bestehen. Mit dieser mutigen Dennoch-Inszenierung, der fabelhaften Sängerschar und diesem Stream hat es sich selbst das beste Geburtstagsgeschenk gemacht. Auf konzerthaus.de und ARTE Concert lässt sich das nacherleben! Nur den Sommerabend müssen sich Nachzügler/innen dazudenken.

Ursula Wiegand

 

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