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BERLIN/ Volksbühne: DIE SECHS BRANDENBURGISCHEN KONZERTE, choreographiert von Anne Teresa De Keersmaeker, getanzt von Rosas

am 15.9. (Ursula Wiegand)

16.09.2018 | Ballett/Performance


Copyright: Anne Van Aerschot

Berlin/ Volksbühne: DIE SECHS BRANDENBURGISCHEN KONZERTE, choreographiert von Anne Teresa De Keersmaeker, getanzt von Rosas, 15.09.2018

Eine lange Liebe verbindet die belgische Star-Choreographin und Tänzerin Anne Teresa De Keersmaeker mit Johann Sebastian Bach und insbesondere mit seinen Sechs Brandenburgischen Konzerten. Vor 35 Jahren, bei einer Probe in New York, hörte sie diese Musik neben der von Steve Reich in ihrem Studio. Da hat es sie gepackt.

Nach anderen Arbeiten mit Bachs Musik interpretiert sie nun diese sechs weltbekannten Concerti grossi und erfüllt sich damit einen lang gehegten Traum. Sie erklärt das so: „Bachs Musik ist wie kaum eine andere durchdrungen von Bewegung und Tanz. Er wusste die größtmögliche Abstraktion mit einer konkreten, körperlichen und später auch transzendentalen Dimension zu verquicken.“

Zusammen mit 16 Tänzerinnen und Tänzern ihrer Gruppe Rosas platziert sie diese Uraufführung in der Volksbühne Berlin. Eingefädelt hatte das noch ihr Landsmann, der dramatisch gescheiterte Ex-Intendant Chris Dercon. Reisebedingt erwische ich gerade noch die letzte Aufführung, und selbst an diesem Abend ist der große Saal mehr als voll, so dass einige auf den Treppenstufen sitzen müssen.

Unter der musikalischen Leitung der Violinistin Amandine Beyer spielen nun 20 Musikerinnen und Musiker vom Barockensemble B’Rock diese wunderbare Musik, die so viel Festliches verströmt. Vor jedem der  sechs Stücke  trägt ein Mann ein Schild mit dem Namen des zu hörenden Konzerts auf die hell erleuchtete Bühne (Bühne und Licht: Jan Versweyveld).

Beim prächtigen Konzert Nr. 1 in F-Dur schreiten die 16 Tänzerinnen und Tänzer Richtung Publikum, drehen sich, gehen wieder zurück und bald auch richtig rückwärts. „Mein Gang ist mein Tanz“, nennt es Frau Keersmaeker.

Alle sind schwarz gekleidet, die Männer gar in Anzügen (Kostüme: An D’Huys). Bei den Damen fällt eine Zarte im Spitzenkleid auf. Das ist die Choreographin, die auf High Heels leichtfüßig mitmarschiert und gemeinsam mit ihrem auch mal seitlich ausschwingenden Ensemble den Raum durchmisst. Sie alle, so sagt sie, präsentieren auf diese Weise ihre Körper und ihre persönliche Art des Gehens, der bald – wie in Bachs Musik – Verzierungen durch kleine Posen hinzugefügt werden.


Copyright: Anne Van Aerschot

Genau wie bei Bach besitzt Keersmaekers Arbeit jedoch eine fest umrissene Architektur. Auf der baut sie ihre Choreographie auf, bestehend aus einer geraden Linie (den Schreitenden), einer Zick-Zack-Wellenbewegung und dem Kreis, dem eine Unendlichkeit innewohnt. Daraus wird per saldo ein unauffällig durchstrukturiertes Miteinander von Gruppen und Solisten.

Bald nimmt das Geschehen Fahrt auf. Es wird gerannt und in den schnellen Konzert-Sätzen munter gehüpft, über den Boden gerollt, mitunter ein Handstand gemacht. Arme recken sich empor, als wollten sie den Himmel greifen. Bachtanz insgesamt als Augen- und Ohrenöffner, eine Realität gewordene Polyphonie, die das Gehörte noch sinnfälliger und das Getanzte noch einprägsamer macht.   

Immer wieder treten Einzelne heraus, interpretieren Bach-Passagen in eigener Körpersprache, wie zunächst der biegsame Tänzer mit dem dunklen Wuschelkopf. Dankenswerterweise bleiben sie alle Individualisten.

Spaß muss ebenfalls sein, so wie bei Bach, der nicht nur ein strenger Kirchenmusiker war. Und so führt ein Tänzer gegen Ende des 1. Konzerts einen schwarz-weißen Hund auf die Bühne, der an der Leine zieht, um zu den Damen zu gelangen, wenn er nicht gerade das Orchester anbellt.  

Im 4. Konzert (G-Dur) ist auch Frau Keersmaeker, nun barfuß, lebhaft tanzend mit von der Partie. Doch am meisten berühren die langsamen Sätze mit ihren einfühlsamen, oft nur angedeuteten Pas de deux. Der liebesfähige Bach nimmt hier Gestalt an. Von den Tänzerinnen und Tänzern aus drei Generationen sind es die Älteren, die solches mit Tanzkunst und Lebenserfahrung sichtbar machen und zum ästhetischen Genuss werden lassen. Letztendlich wird diese gesamte Choreographie zur Hymne an die Schönheit von Tanz und Musik. Ein Meisterwerk!

Nach rd. 100 pausenlosen Minuten voller Konzentration auf den Komplex Bach und seine tänzerische Umsetzung darf zum brausenden Beifall auch der Hund als bellgewaltiger Gag erneut auf die Bühne und erntet Lachsalven. Alle Künstler werden tosend gefeiert, die Tanzenden ebenso wie die engagiert aufspielenden Barockmusikanten. Sie alle verdienen es, namentlich genannt zu werden.

Tänzer*innen: Boštjan Antončič, Carlos Garbin, Frank Gizycki, Marie Goudot, Robin Haghi, Cynthia Loemij, Mark Lorimer, Michaël Pomero, Jason Respilieux, Igor Shyshko, Luka Švajda, Jakub Truszkowski, Thomas Vantuycom, Samantha van Wissen, Sandy Williams, Sue Yeon Youn

Musiker*innen: Bart Aerbeydt, Benny Aghassi, Frédéric Baldassare, Julien Barre, Amandine Beyer, Manuela Bucher, Bart Coen, Mark De Merlier, Tom Devaere, Manuel Granatiero, Luc Gysbregts, Fruszi Hara, Jivka Kaltcheva, Andreas Küppers, Jon Olaberria, Marta Páramo, Rebecca Rosen, Antoine Torunczyk, Stefaan Verdegem, David Wish.        

Ursula Wiegand

 

 

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