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BERLIN / TIPI am Kanzleramt:SEMIANYKI – Schräg makabres, clowneskes Theater aus St. Petersburg. Premiere

08.02.2017 | Theater

BERLIN / SEMIANYKI – TIPI am Kanzleramt, Premiere, 7.2.2017

Eine gar schröckliche Familie: Schräg makabres, clowneskes Theater aus St. Petersburg

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Fotos: Maria Mitrofanova

Sie treibt wieder ihr Unwesen an der Spree, die berühmte sechsköpfige russische Familie mit dem französischen Touch an alle Grenzen überschreitender Skurrilität und surrealer Bosnigelei. In diesem pantomimischen Zirkus ohne Worte finden sich die stets hochschwangere kesse Mutter, und der Quälerei und Streichen aller Arten ausgesetzte Vater mit der poetisch literarischen Ader. Nicht zu übersehen die vier Gören, drei freche Mädels und ein blondstrubbeliger mit Säge und Pistole bewaffneter Teenie wie aus Beetlejuice, der bekannten amerikanischen Horrorkomödie. Nichts ist vor diesem Doppeltrio infernale sicher. Jede/r ist Jedes/r Feind des Augenblicks, gegenseitig, aber natürlich auch das Publikum wird oft recht derb und handfest in die Spässe mit einbezogen. Da fliegen einem schon mal ein BH oder anderes Textil um die Ohren, wird wild Wasser verspritzt, auch vor einer wüsten Polsterschlacht im Zuschauerraum ist Omas Dauerwelle nicht sicher.

In einem herabgekommenen Wohnraum mit Klavier und abgerissenen Puppenköpfen in jeder Ecke haust der freakige Trupp, immer zu Schabernack und Spässen aufgelegt. Da versucht die eigene Brut schon mal, den Vater mittels Wäscheklammern auf der Nase und einem Klebestreifen über den Mund aus dem Weg zu räumen. Der wiederum,  dem Wodka aufs Innigste zugetan, haut – wenn es zuviel wird – einfach ab. Die schwangere Mama telefoniert einstweilen mit allerlei Lovern. Am Ende liebt sie aber den Erzeuger der vier und noch mehr künftigen Kinder ganz rührend. Zu Walzerklängen werden Hände abgesägt, nuckelt die Kleinste an einem blauen Megaschnuller wie bei den Simpsons.

Alle geben sich Mühe, den (Spaß)Vogel abzuschießen. Diese ganz  „normale Familienhölle“ ist natürlich ein präzise durchchoreographiertes Stück Pantomime, das mit einer Präzision wie ein Uhrwerk funktioniert. Hinter all den Scharaden steckt eine unglaubliche Körperbeherrschung und eine mimische Artistik sondergleichen. In Frankreich, wo Truppe und Stück Kult sind, füllen die Semianyiki ganze Hallen. In Berlin im kuscheligen TIPI ist man ganz auf Tuchfühlung, was vielleicht manchmal zuviel des Guten ist. Aber so unbeschwert lachen habe ich schon lange kein Publikum mehr gehört, auch die Kleinsten unter den Zuschauern wieherten vor Vergnügen bei so manchem Versuch all dieser schrägen Bühnenvögel, sich gegenseitig die Flügel zu stutzen. Da darf schon mal ein Holzpferd seine Bedürfnisse verrichten oder die Mutter ihr Kind erwürgen, weil es nicht einschlafen will.

Die wüst lustig flirtende Mama ist der Star der Racaille, ganz romantisch verliebt und handfest zupackend, wenn es dem sensiblem Papa einmal zuviel wird. Eine Modeschau, ein über die Bühne laufender Dackel läuten das Finale dieser großen Theater-Symphonie ein. Eine Zombieparty beschließt einen surrealen prallen Theaterabend. 60 Laufrollen an Papier sausen auf die Bühne nieder, bevor das p.t.Publikum damit überzogen wird. Heftig und genial zugleich, trotz aller Kasperliaden ein Stück großes anspruchsvolles Theater.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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