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BERLIN / TIPI AM BUNDESKANZLERAMT – PASQUALE ALEARDI „MEIN GRAND PRIX de la CHANSON“. Wiederaufnahme

Eine Europa-Gala zum 67. jährigen Bestehen des Grand Prix und seit 2001 umbenannten Eurovision Song Contest;

30.03.2023 | Operette/Musical

BERLIN / TIPI AM BUNDESKANZLERAMT – PASQUALE ALEARDI „MEIN GRAND PRIX de la CHANSON“ – Eine Europa-Gala zum 67. jährigen Bestehen des Grand Prix und seit 2001 umbenannten Eurovision Song Contest; Wiederaufnahme 29.3.2023

„Power to all our friends, to the music that never ends, to the people we want to be, Baby Power to you and me.“ Cliff Richards 1972

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Foto Credit: Barbara Braun

Während man einige hundert Meter weiter im Schloss Bellevue beim Staatsbankett zu Ehren von König Charles III. und Queen Consort Camilla bei gebeiztem Karpfen und Erfurter Brunnenkresse, Kraftbrühe vom Heckrind, Weidehuhn, Backpflaume, ostfriesischem Schwarztee und Sandgebäck royal dinierte, amüsierte sich das Publikum bei Pasquale Aleardis ganz persönlicher Auswahl des Grand Prix /ESC aus über sechs Jahrzehnten Chansons, Schlagern, Songs oder Canzoni ebenfalls höchst königlich. Für Glamour und die überaus liebenswürdige Betreuung der Gäste sorgt im Tipi Hausdame Marlene Deluxe im hautengen Glitzeroutfit. Da kann kein Protokollchef dieser Welt mithalten.

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Foto Credit: Barbara Braun

Pasquale Aleardi, eleganter und umfänglich begabter Export aus der Schweiz nach Berlin, ein Broadway- und TV-geeichter, smarter Bond-Typ – schöner und aufregender als sein bretonischer Kommissar Dupin agiert wohl keiner vor der Kamera – ist auch als Musiker und Sänger eine Wucht. Im Tipi, dieser Berliner Institution für musikalische Unterhaltung mit Anspruch, singt, tanzt und witzelt der Star als Entertainer seinen eigenen Song Contest. Bei allen musikalischen Nummern des Abends handelt es sich um Originalbeiträge für den Grand Prix bzw. den ESC.

Was 1956 als Radiosendung aus der Schweiz mit der Idee, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit im musikalischen Geschehen Europas abzubilden – in den Gründungsstatuten des Grand Prix stand noch, dass jedes Land seinen Beitrag in der eigenen Landessprache zu präsentieren hatte – begann, ist längst eine fast rein englischsprachige technisch dominierte Medienparty geworden, wo Musik leider oft im Schatten von allglatter Konfektion, effektvollem Styling und politischer Vereinnahmung steht. Ohne Licht- und Lasershow à la Hollywood geht da nix mehr.

Anders war das noch 50- er, 60-er, 70-er und 80-er Jahren, die in Aleardis Show mit bekannten und weniger bekannten Beiträgen gefeiert werden. Da schickte jedes Land die besten, jeder Grand Prix war ein „großes musikalisches Ereignis von Größe, Glanz und Eleganz, das in Thema, Komposition und Interpretation die vielfältigen kulturellen Facetten Europas präsentierte.“

Drei Stunden dieser einmaligen Früh-Geschichte ziehen nun das Publikum im ausverkauften Haus an der Spree mit Humor, Esprit, einer spektakulären Bewegungschoreographie und tollen Gesangsleistungen, manche besser als das Original, in ihren Bann. In der Regie von Danny Costello und den vom musikalischen Leiter Damian Omansen geschickt arrangierten Nummern singen und spielen sich Pasquale Aleardi, Andreas Bieber, Sigalit Feig, Anke Fiedler und Martin Mulders die Seele aus dem Leib.

Das launige Programm (72 Songs in 14 verschiedene Sprachen) teilte sich in ganze Nummern und drei Medleys zu „Brit Pop“, „Disco“; „Gaga“ und „Hits“, um die stilistische und sprachliche Bandbreite breit abbilden zu können. Da zelebrierten Aleardi & Co „Insieme“ von Toto Cutugno, „Wunder gibt es immer wieder“ (Katja Epstein), „Bonjour, bonjour“ (Catherine Ferry), „Un jour, un enfant“ (Frida Boccara); „Volare“ (Domenico Modugno) genauso wie den Hit „Feuer“ der im Publikum anwesenden Ireen Sheer, „Ein bisschen Frieden“ (Nicole), oder „Ein Lied kann eine Brücke“ sein (Joy Fleming).

Der Preis für die vier an Intensität, Verinnerlichung und Raffinement nicht zu überbietenden Sanges-Interpretationen geht wohl an Pasqual Aleardi für sein im Piano hingehauchtes „Merci, Cherie“ von Udo Jürgens (welch Erinnerung an frühen Liebeskummer), an Anke Fiedler für ihr glühendes Bekenntnis zu „Diese Welt“ (Katja Epstein 1971) und den Niederländer Martin Mulders mit einem stimmmächtigen „Rise like a Phoenix“ (Conchita Wurst 2014), dem vielleicht letzten bedeutenden Song der Kultveranstaltung, der in melodiöser Pracht zudem ein Stück „individueller Emanzipationsgeschichte“ repräsentiert. Andreas Bieber setzte mit seinem nachdenklich bewegenden „Tausend Fenster“ über die Einsamkeit der Menschen in der Großstadt (Karel Gott, 1968) einen Marker des Innehaltens.

In kurzen Filmzuspielungen wurden die Abstimmungsprozeduren amüsant und zugespitzt von der Schauspielerin Andrea Schneider als Gigliola Panciera Montecanoni, Jovanka Puschitsch, Elsbieta Pawlowska, Laerke Sondergaard, und Peter Pemmeroy aufs Korn genommen. Ihre wunderbaren Persiflagen der Punktebekanntgaben aus Italien, Jugoslawien, Polen, Dänemark Großbritannien ließen kein Auge trocken.

Wie weit man es beim Grand Prix bringen konnte, auch ohne Botschaft und sinnstiftenden Text, das führten die Fünf mit einem furiosen „Gaga-Medley“ vor. Dafür stehen unsinnige Songs wie „La, la, la“, „Boom, boom“, „Ring-Dinge-ding“, „Sing, sang, song“, „Wadde hadde dudde da“ oder unübertrefflich der Lazy Bums Song „Shir Habatlanim“ (Israel 1987) mit dem „dadaistischen“ Refrain „Hupa hule hule hule… hupa hupa hule hule…Hupa hule hule hupa pa…Hupa hule hule… hupa hupa hule hule…Hupa hule hule hupa pa…“ Aleardi merkte dazu trefflich an, dass am Ende solcher Blödsinn vielleicht Kunst wird, aber nur vielleicht.

Es war ein mit Emotionen vollgepackter Abend voller mehr oder weniger bekannter Hits aus vergangener Zeit, bei dem einander zugeprostet, mitgesungen, geschunkelt, geweint und gelacht wurde. Meine sangesbegabte und wohl auch textsichere Nachbarin am Nebentisch hat alle Lieder von Anfang bis Ende mitgesungen. Wer würde sich wohl an so viel Begeisterung stören? Das Tipi hat ein weiteres Mal mit einer unterhaltsamen, lichtvollen, nostalgischen und was den Europagedanken in Kunst und gesellschaftlichem Zusammenhalt anlangt, wichtigen wie virtuos dargebotene Begegnung überzeugt. Gehen Sie bei Gelegenheit hin! In schwierigen Zeiten einmal Freude brauchen wir doch alle. Es wird bis 28. April gespielt. Sowas gibt‘s nur in Berlin.

Trailer https://www.tipi-am-kanzleramt.de/de/presse/uebersicht/pasquale-aleardi-mein-grand-prix-de-la-chanson.html#lg=fcaf768c-d9e3-40e9-ae64-f1f040ef8306&slide=0

Anmerkung: 2023 wird das Finale des ESC am 13.5. in Liverpool stattfinden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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