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BERLIN/ Staatsoper Unter den Linden MEDÈE, Start der 2. Serie

Sonya Yoncheva triumphiert in der Titelpartie

09.02.2020 | Oper


Sonya Yoncheva. Foto: Bernd Uhlig

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden MEDÈE, Start der 2. Serie, 8.2.

Sonya Yoncheva triumphiert in der Titelpartie


Es ist der tolle Abend zweier Frauen: Sonya Yoncheva kann als derzeit wohl beste Interpretin der mordsmäßig schwer zu singenden Rachegöttin und Kindsmörderin Medée gelten. Gegeben wird die originale klassizistische Opéra Comique-Fassung in französischer Sprache und mit gesprochenen Dialogen, basierend auf der 2006 edierten kritischen Neuausgabe der Partitur (Verlag Anton J. Benjamin).


In der Regie von Andrea Breth, die das Stück in einem grauslichen namenlosen Keller, einer Art Lagerraum für Beutekunst ansiedelt, wird die Entwicklung der Figur von der bedingungslos Liebenden zur gnadenlos Rächenden deutlich. Medèe ist hier nicht von vornherein das die eigenen Kinder erdolchende Riesenmonster. Die Magierin und Verbrecherin – immerhin hat sie ihren eigenen Bruder aus blinder Hörigkeit zerstückelt – handelt aus übermäßiger Sehnsucht nach Anerkennung und Heimat. Pech, dass sie sich den feigen Karrieristen und „Weiberer“ Jason ausgesucht hat, der sie bei erster Gelegenheit betrügt und wegen einer Anderen verlässt.


Sonya Yoncheva. Foto: Bernd Uhlig


Sonya Yoncheva
übertrifft aus meiner Sicht sogar die Medea der Callas. In der französischen Ur-Fassung ist die Titelheldin noch mehr gefordert als in der italienischen Adaption mit den von Lachner nachkomponierten Rezitativen. Sie singt die Rolle mit technischer Bravour, ohne jemals zu outrieren oder stilistisch in drastische bis parodistische Verismo-Effekte abzugleiten (wie dies etwa die sonst so verehrte Magda Oliviero getan hat). Yonchevas schauspielerische Präsenz, ihr trotz aller Ausdrucksintensität immer auf Linie geformter Gesang, der Farbenreichtum der in der Höhe metallisch schimmernden Soprans einen sich zu einer singulären gesamtheitlichen Leistung. Dafür gibt es am Ende einhelligen und wohlverdienten Jubel.


Für mich nicht weniger aufregend ist das Dirigat der Ukrainerin Oksana Lyniv einzustufen, derzeit noch Musikchefin am Grazer Opernhaus, die somit in dieser Oper Daniel Barenboim nachfolgt. Ich kannte sie bisher nur vom exzellenten Live-Mitschnitt der Verismo-Reißer Cavalleria rusticana / Pagliacci aus Graz. Die Staatskapelle Berlin setzt unter ihrer Stabführung Maßstäbe an kultiviertem Orchesterklang. Lyniv beherrscht die Kunst vom Dehnen und Verdichten, lässt die kostbare Partitur in all ihrer strengen kühlen Pracht facettenreich aufblühen. Sie setzt auf Transparenz, Ausgewogenheit der Orchesterstimmen (jedes Instrument hat das jeweils ihm gebührende Gewicht) und einen rasanten Erzählfluss. So spannend kann also klassizistische Oper sein. Auch werden durch ihren in ihrer Perfektion an Maestro Kirill Petrenko erinnernden Stil (immerhin war sie in München seine Assistentin) die Nähe zu Gluck und Cherubinis Einfluss auf Beethoven greifbar.


Schöne Leistungen an diesem Abend kommen auch vom Ensemblemitglied Marina Prudenskaya als Neris, die aus ihrer mit klagendem Fagottsolo begleiteten Arie im zweiten Akt ein Kabinettstück macht und der neuen slowakischen Nachtigall Slávka Zámečníková, die der Königstochter und Braut Jasons Dircé ihren wunderbar innigen Vortrag und fantastische Höhen leiht. Sie ist derzeit am Haus Unter den Linden im Falstaff auch als Nanetta zu hören.


Ihren Fenton hat es leider auch in das Medée-Ensemble verschlagen. Dem Italiener Francesco Demuro (der den Jason von Charles Castronovo aus der Premierenserie übernimmt) ist die Partie des Jason, der einst von heldischen Kalibern wie Jon Vickers gesungen wurde, gleich um zwei Schuhnummern zu groß. Sein an sich gut sitzender Tenor wirkt bald überanstrengt und gepresst, in den großen Duetten mit Yoncheva wird die Fallhöhe besonders deutlich spürbar. Nicht besser ist es um die Besetzung des Créon mit Iain Paterson bestellt. In der Tiefe unhörbar, plagt sich der einst glorreiche Heldenbariton in der Partie mit der Tessitura, den wenigen Verzierungen und der Aussprache gleichermaßen. Er erhält von allen den mattesten Applaus.


Keinen guten Abend hat auch der Staatsopernchor. Da wird furchtbar geschleppt und rhythmisch geschlampt, aus dem Kreis der Sopran kommen unschöne Tremoli und Schärfen.


Der insgesamt doch große Abend ist ausschließlich Sonya Yoncheva und dem unter der Leitung von Oksana Lyniv ganz hervorragenden Orchesterspiel zu danken. Dem Applaus nach zu schließen, dürfte das Publikum die Qualität des Abends genau so oder sehr ähnlich empfunden haben.


Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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