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BERLIN / Staatsoper unter den Linden TURANDOT – Rafael Payare entfesselt im Orchestergraben einen Opernthriller par excellence

10.07.2024 | Oper international

BERLIN / Staatsoper unter den Linden TURANDOT; 9.7.2024

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Foto: Matthias Baus

Rafael Payare entfesselt im Orchestergraben einen Opernthriller par excellence

Turandot und Tosca dürften im Puccini-Jahr 2024 unter den gefragtesten Opernhits firmieren. Das Baltic Opera Festival wird am 20.7. in der Waldbühne von Sopot bei Danzig mit Turandot eröffnet. Liudmyla Monastyrska wird die Turandot singen, Martin Muehle den Calaf. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden schließt die Spielzeit 2023/24 am 14.7. mit Turandot und legt im September/Oktober mit weiteren sechs Vorstellungen der Oper nach. Ist aktuell in Berlin ebenfalls die ukrainische dramatische Sopranistin Monastyrska, als Turandot angesetzt, so wird am 14., 18., 21. und 25.9. Sondra Radvanovsky übernehmen. Massimo Massi (Calaf) und Elena Stikhina (Liu) werden ihre Partner sein.

Gestern waren Adriana Gonzáles die Liù und Arsen Soghomonyan der Calaf. Die guatemaltekische lyrische Sopranistin Gonzáles, die die Liu in dieser Spielzeit schon an der Opéra National de Paris und an der Staatsoper Hamburg verkörpert hat, ist mir seit ihren exquisiten Liedaufnahmen mit dem baskischen Pianisten Inaki Encina Oyon für Audax Records ein Begriff. Als Liu war sie einfach fantastisch, fügten sich zu der üppigen leuchtenden Mittellage tragfähige Pianissimi in den lichtesten Höhen, wie wir sie seit der Caballé in dieser Rolle so nicht mehr gehört haben. Dazu stellte sie in der blutrünstig symbolistischen Produktion von Philipp Stölzl, eine seiner gelungensten wie ich meine, glaubhaft eine treue Seele von Frau auf die Bühne, die einmal Feuer gefangen, für ihre Liebe in den Tod geht. Als Sklavin begleitet sie König Timur (luxuriös basssaftig René Pape) nach Peking, wo dessen Sohn Calaf gerade dabei ist, sich als Anwärter um die Hand der Prinzessin Turandot zu bewerben. Ein scheinbar aussichtsloses und sinnloses Unterfangen, endete doch das Rätselraten für alle bisherigen Bewerber stets tödlich.

Der seit seinem spektakulären Hermann in Tchaikovskys „Pique Dame“ in der Philharmonie mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko verdient zu Weltruhm gekommene armenische Tenor Arsen Soghomonyan war bis 2017 als führender Bariton am Stanislawski-Theater tätig. Als Calaf wirft dieser so sympathische wie sensitiv die Rollen hinterfragende Künstler seine leicht rauchig verhangene Mittellage und seine strahlenden Höhen in die Waagschale. Was für ein intelligenter Gestalter Soghomonyan doch ist, der mit seinen impressionistisch eingesetzten Stimmfarben auch einer plakativer „Elfmeter-Tenorrolle“ wie derjenigen des Calaf Charakter und Stringenz abtrotzt.

Liudmyla Monastyrska in der Titelrolle ist ein Naturereignis an Stimmwucht bei eindrücklich fahlen erdigen Tönen im Piano. In der interessanten Lesart von Philipp Stölzl verliebt sich dieses sich göttlich glaubende neurotische Monster nicht nach dem sogenannten Kuss Calafs, sondern nimmt Gift und stirbt am Schluss. Sie will und wird niemandem gehören. Wenngleich in der Rollengestaltung charismatisch und in den Akuti von elementarer Kraft, ist ein gewisser (Nach-)Druck im oberen Register nicht zu überhören.

Ereignishaft ist die Besetzung der drei galgenhumorigen Minister Ping, Pang, Pong mit Gyula Orendt, Andrés Moreno Garcia und Siyabonga Maqungo. Orendt, der an der Staatsoper Berlin in Hauptrollen wie Graf Almaviva, Zurga oder Thésée glänzt, Maqungo, der gefühlt demnächst selbst Calaf singen könnte und der lyrische Tenor von Andrés Moreno Garcia, der seine Sporen längst als Tamino verdient, ergeben das wahrscheinlich harmonischste und beste Ministertrio aller Zeiten. Auch die Besetzung des Mandarins mit Adam Kutny und des Altoum mit Florian Hoffmann zeugt vom frischen Ensemblegeist des Hauses.

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Foto: Matthias Baus

Trotz des hohen Standards an sängerischen Leistungen boten das eigentlich Ereignishafte des Abends die Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung des venezolanischen Dirigenten Rafael Payare. Der energetisch auftrumpfende Pultmagier kostete die pralle Modernität der Partitur im Gestirn zwischen R. Strauss, Stravinsky, Prokofiev und italienischer Anverwandlung exotischer Einflüsse in allen Nuancen aus. Ob rhythmisch scharf artikulierendes Blech und Perkussion, zart schwebende Töne für die Arien Lius oder den Mondchor, Payare wusste die fragil bis elementar geflochtenen Gewebe der Partitur effektvoll in Szene zu setzen. Mit dabei als bedingungslos verschworener Partner erwies sich der Chor der Staatsoper Berlin, der seinen Aufgaben ohne Fehl und Tadel nachkam.

Begeisterter Jubel im ausverkauften Haus.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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