BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: TOSCA, dirigiert von ZUBIN MEHTA; 12.11.2024
All Star Besetzung mit Lise Davidsen, Freddie de Tommaso und Gerald Finley
Zubin Mehta. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger
Was war das jetzt? Tosca und doch wieder nicht oder zumindest nicht so, wie wir sie kennen. Statt eines zynischen Macht-Sex Knallers erleben wir in dieser Inszenierung des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis (2014) eine Art Elegie der Liebenden, ein Requiem für Scarpia oder soll es doch eines für Cavaradossi sein? Denn der Baron Scarpia steht hier im Zentrum des Geschehens, aristokratisch dekadent, rotweinsüffelnd. Er ist es, der sich schnappatmend von Tosca verführen lässt und von jeglicher Gewalt weit entfernt ihre Zärtlichkeiten genießt. Tosca schmust mit ihm im zweiten Akt ganz und gar nicht angewidert herum und fummelt unter seinem Hemd, dass man seinen Augen nicht traut. Nachdem sie dann ihren Po zwecks Verrichtung, was in so einer Saturation halt so passiert, hinhält und Scarpia am Hosentürl herumfummelt, kommt unerwartet der Stimmungsumschwung und er wird – quasi als artistische Einlage – von Tosca erdolcht, ohne dass sie ihren begehrten Widersacher sieht (weil noch immer bäuchlings auf dem Tisch). Der sinkt malerisch auf das Sofa, wo Tosca nochmals einige Male halbherzig irgendwas in seinem Rücken tut. Ach ja, töten soll das laut Libretto sein. Dann setzt sie sich an den Schreibtisch, schenkt sich apathisch ein Glas Wein ein und aus ist der zweite Akt. Das geht dann in der Art auch weiter. Im dritten Akt, der wie alle andern eher semikonzertant „Graphic Novel“ bebildert (Kristīne Jurjāne) als dramatisch gedacht wirkt, springt Tosca nicht wie üblich von der Engelsburg in den Tod. Als sie bemerkt, dass Cavaradossi tot ist, stellt sie sich mit dem Rücken zur Bühnenwand hin, während Spoletta und Sciarrone im Dunkel erstarren. Tosca schreitet verklärt von einem Scheinwerfer beleuchtet in Zeitlupe langsam Richtung Rampe, die Hände engelsgleich erhoben. Vorhang. Applaus.
Dass es diesmal wohl eine ganz andere Tosca war, liegt nicht nur an der hanebüchenen Regie, sondern auch am Dirigenten und der Besetzung. Altmeister Zubin Mehta nimmt breite Tempi, er fächert den Klang psychologisch auf. Wie viele und was für instrumentale Details in dieser Jahrhundert-Partitur stecken, ist dabei ganz famos zu hören. Impressionistischer Glanz in luxuriös changierenden Farbenspielen geht dabei vor veristischer Pranke. Die Staatskapelle Berlin spielte an dem Abend so berückend schön, dass dies die eigentliche Sensation war. Die Begleitung zum Gebet der Tosca und vor allem das Vorspiel zu „E lucevan le stelle“ erklangen in überirdischer Transzendenz. Das Blech selbst wirkte an den exponiert lauten Stellen nie vulgär oder krachig. Edel erschallten Hörner, Trompeten und Posaunen. Fazit: Ein orchestrales Fest.
Lise Davidsen, alle ihre männlichen Partner an körperlicher und Stimmgröße weit überragend, war jeden Zoll keine Diva, keine eifersüchtig fauchende Tigerin mit Krallen und Temperament. Sie wirkte auf mich in der Rolle wie ein noch scheues, aber sehr cooles Mädchen, dass nicht weiß, wie ihr geschieht. Der Körpersprache nach fühlte sich diese Tosca eindeutig mehr zu Scarpia als zu Cavaradossi hingezogen. Seltsam, aber nicht unmöglich.
Das spektakuläre Alleinstellungsmerkmal der Sängerin besteht in einer durchschlagskräftigen und sichern top Höhe, die ihr keine Konkurrentin auch nur im Entferntesten streitig machen könnte. Dazu kommt eine imposante Bühnenerscheinung. Dass Davidsen damit vor allem im deutschen Fach am richtigen Platz ist, zeigt ihr Repertoire (ganz toll fand ich ihre Tannhäuser Elisabeth am gleichen Ort) und die hoch gesteckten Erwartungen, die an ihre schon terminierten Rollendebüts als Isolde und Brünnhilde (werden allesamt an der MET stattfinden) gerichtet sind.
Als Tosca imponiert sie dementsprechend mit völlig freien, süffigen, bombigen Höhen bis hin zum hohen C. Die Piani wirken in Relation dazu sehr zurückgenommen und wenig klangvoll, die Mittellage herb. Das Gebet singt Davidsen technisch makellos, berührt hat es mich nicht. Was der stimmwundergleich gehypten Sängerin leider vollkommen abgeht, sind Charisma und Spielleidenschaft. Die meiste Zeit steht Davidsen statisch-stoisch auf der schmalen Bühne. Große Emotionen übersetzen sich nur andeutungsweise in dramaturgisch vom Libretto und Komponisten ersonnene Aktion.
Die musikalisch reifste, weil differenzierteste Leistung des Abends bot Gerald Finley als Baron Scarpia. Nicht brutal, sondern raffiniert das erotische Spiel mit Tosca auskostend, ist dieser römische Polizeichef eher ein devot-dekadenter Erotomane, denn ein gefährlicher politischer Opportunist. Vor diesem Scarpia, den Finley mit seinem Luxusbariton belkantistisch ausgefeilt zelebrierte, zitterte sicherlich nicht ganz Rom. Ich finde diese mögliche charakterliche Variante der oft schablonenhaft sinistren Figur zwar hoch interessant, sie deckt sich aber nicht mit der Musik und Dramaturgie des Stücks.
Bleibt Freddie de Tommaso, ein veritabler Spintotenor mit metallisch durchdringender Höhe, jedoch wenig Schmelz/Raffinement in der Mittellage. Er wirkt als Cavaradossi vom Typ her wesentlich dunkler und gröber als Scarpia. Die zarte Liebesgeschichte mit Tosca, das schwärmerisch-idealistische, nimmt man ihm nicht ab.
Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger
Von den kleineren Rollen zeigen lediglich der formidable Knabensolist Hugo Kern als Hirt und der junge kroatische Bass-Bariton David Ostrek als Mesner Profil.
Bei aller Kritik hatte der Abend dennoch den Nimbus des Außergewöhnlichen. Riesenovationen am Schluss, besonders für Mehta, das Orchester und Lise Davidsen.
Nächste Termine in dieser Besetzung: 15. und 19. September
Was noch? Im Publikum (1. Akt) gesichtet: Anna Netrebko und Luca Salsi.
Dr. Ingobert Waltenberger