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BERLIN / Staatsoper Unter den Linden NABUCCO, 6. Vorstellung der Premierenserie

21.10.2024 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden NABUCCO, 6. Vorstellung der Premierenserie; 20.10.2024

Anastasia Bartoli mit einem großen persönlichen Erfolg, ansonsten starres Rampentheater inkl. einer entfesselten Statisterie

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Credits: Bernd Uhlig

In Berlin leistet man sich den Luxus von zwei Inszenierungen von Verdis One-Hit Oper „Nabucco“, einem dramaturgisch unzulänglichen Ungetüm aus der Frühphase des Komponisten (es war sein dritter, erfolgreicher Opernversuch). Böse könnte man sagen, Nabucco ist im Grunde ein Rossini-Donizetti-Bellini „Restlessen“, in aberwitziger Lautstärke überhöht mit einigen Anklängen an das, was später einmal das Genie dieses so fruchtbaren italienischen Opernkomponisten ausmachen sollte.

 Aber noch waren es die Galeerenjahre, die Verdi plagten und so nahm er ein Libretto an, das Temistocle Solera eigentlich für Otto Nicolai geschrieben hatte, letzterer aber wegen der nicht „komponierbaren Struktur“ ablehnte. Verdi sah den Text zum Gefangenenchor „Va pensiero“ und sagte zu. Die Nummer sollte zu einem der populärsten Chöre der gesamten italienischen Operngeschichte avancieren und dürfte mit der Grund sein, dass dieses Werk so oft auf den Spielplänen steht. In Berlin dürfte aber auch die Verfügbarkeit der Primadonna Anna Netrebko ein weiterer Anlass für die Neuproduktion gewesen sein, die die Premiere und die ersten vier Vorstellungen der achtteiligen Serie mit großem Publikums- wie Kritikerzuspruch absolvierte.

Die Inszenierung vertraute man der italienischen Regisseurin Emma Dante an, einer aus Catania stammenden Schauspielerin und Theaterautorin, die zudem für Theater- und Opernregien engagiert wird. Dankenswerterweise interessierte sie sich nicht für eine dokumentarische Aktualisierung des Stoffs, aber leider ist ihr Versuch, die Geschichte vom imaginiert versöhnlichen Ende her (zumindest für die Gefangenen der Babylonier) zu erzählen, in einer optischen Orgie an Kitsch und szenischer Statik ohne erkennbare Personenführung ertrunken. Noch dazu hat sie den Chor als einen der Hauptakteure dieser nach einem alttestamentarischen Stoff ersonnenen Oper in vier Teilen in ein wie ein großes Regal wirkendes architektonisches Konstrukt verbannt – wir lesen im Programmheft, dass sie mit ihrer Bühnenbildnerin Carmen Maringola von dem 2019 in New York City eröffneten Bau- und Kunstwerk „The Vessel“ inspiriert wurde – während die Aktion der sich einander bekriegenden Völker einem 20-köpfigen Darsteller und Tänzerensemble anvertraut war.  

Die Darstellung des Krieges beschränkte sich im Wesentlichen auf ein ewiges Plastikpistolen- bzw. Dolchgefuchtle aller gegen alle, meist in eingefrorener Pose starr verharrend. Selbst die im Innersten erschütternde Darstellung der von den Usurpatoren gequälten und getöteten Mädchen verliert durch den hohen Grad an tänzerisch aufgelöster Abstraktion an Dringlichkeit. Natürlich ist die schlimmste Tat, die Nabucco laut Dante „gegenüber den Hebräern verübt, der Diebstahl ihres Glaubens, ihrer Religion.“ Aber aufgelöst ist dies optisch durch einen fahrbaren Gitterkäfig mit Goldkrone, alle Stäbe bunt mit Glühbirnen jahrmarktmäßig beleuchtet und einer in Goldglanzjersey verhüllten Figur als Hüterin des wahren Glaubens. Endgültig gleitet die Chose im dritten Akt in einen Dschungel an Kunstblumenkitsch ab (sie sollten wohl die Hängenden Gärten von Babylon symbolisieren). Abigaille tritt in einen Goldlamérock gehüllt auf, der von zwei Statisten zu einem pfauischen Goldrad aufgedröselt wird.

Genug berichtet über dieses einer italienischen Fernsehshow ähnelnde Ausstattungstheater, das dem ohnedies dramaturgisch schwachen Stück das Bisschen an psychologischer Wahrhaftigkeit und Spannung – nämlich in der um Macht ringenden Auseinandersetzung zwischen Nabucco und seiner ehrgeizigen Ziehtochter Abigaille, die am Ende scheitert – nimmt.

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Credits: Bernd Uhlig

Musikalisch war der Abend geprägt durch den zweiten Auftritt der jungen italienischen Sopranistin Anastasia Bartoli in der durch von Verdi mit Kamikaze-Intervallsprünge gespickten, im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch schweren Partie der Abigaille. Bartoli verfügt über einen schlanken, gut fokussierten verzierungsagilen Sopran mit dramatischem Aplomb. Sie beherrscht die Tessitura der Abigaille spielerisch, Höhe und extreme Tiefe sind nichts weniger als stupend und sie kommt mit den Fiorituren und Koloraturen bestens zurecht. Bartoli besitzt aber keine hochdramatische „Röhre“, mit der einst Sängerinnen wie etwa Renata Scotto, Maria Guleghina oder Ghena Dimitrova der Partie an den Leib rückten. Das heißt, trotz aller imponierender Furiosität musste sie vergleichsweise den letzten Rest an vokaler Eindrücklichkeit und Entäußerung schuldig bleiben. Gott sei es gedankt. Denn sonst hätte sich diese Sängerin, von der Natur stimmlich reichlich beschenkt und stimmtechnisch gut ausgebildet, wahrscheinlich nichts Gutes getan. Dafür habe ich diese Partie noch nie bis in die kleinsten Noten nuancierter, dynamisch differenzierter und belkantistisch versierter gesungen gehört wie an diesem Abend. Und Bartoli wurde dementsprechend vom Publikum reichlich und dankbar mit Applaus bedacht. Nichtsdestotrotz würde ich diesen tollen Sopran aktuell lieber bei Rossini- (Semiramide), Donizetti- oder Mozart-Opern (Fiordiligi und Donna Elvira bilden einen Teil ihres Repertoires) aufgehoben wissen. Ihre Mitwirkung beim diesjährigen Rossini Festival in Pesaro in der Oper „Ermione“ war ja nicht von ungefähr so ein Riesenerfolg. Anm.: A. Bartolis Spielplan in der nächsten Zeit sieht Rollen wie Lady Macbeth (Premiere Deutsche Oper Berlin – 23.11.2024 bis 8.12.2024, sodann Macbeth im Nationaltheater München), Tosca (Teatro dell’Opera – Roma) bzw. Odabella in Verdis Attila (16. bis 24 Mai 2025 Teatro La Fenice – Venezia) vor.

Ihr „Vater“ und König Nabucco, der sich selbst zum Gott ausrief, um dann wahnsinnig zu werden, war bei Bariton-Routinier Luca Salsi in guten Händen. Er war der Einzige der Aufführung, der seiner Figur darstellerisch trotz Karnevalstaffage mit Goldröckchen mit goldbetresstem Uniformoberteil so etwas wie ein Charakterprofil abringen konnte. Rein stimmlich hatte Salsi nicht seinen besten Abend, und rang bisweilen um die exakte Tonhöhe. Von den männlichen Protagonisten kam Hausbesetzung Mika Kares als Hohepriester Zaccaria am besten beim Publikum im restlos ausverkauften Haus an. Der finnische Bass überzeugte einmal mehr mit Stimmvolumen, Klangfülle und tollen Höhen. Dagegen bot Ivan Magri als Ismaele nur tenorales Mittelmaß. Auch die so verlässliche und von mir besonders geschätzte Marina Prudenskaya als Abigailles Schwester Fenena kam über eine schematische Rollenlesart nicht hinaus.

Der Staatsopernchor übertraf sich wieder einmal selbst und konnte besonders mit einem pianissimo angestimmten „Va pensiero“ grandios punkten. Die Staatskapelle Berlin war (rhythmisch) bestens einstudiert und prunkte mit Akkuratesse, sattem Streicherklang und luxuriösem Blech. Dennoch konnte sich das Orchester diesmal atmosphärisch nicht so entfalten wie gewohnt. Das lag an den überhitzten Tempi im erstens und zweiten Teil der Oper, die Dirigent Betrand de Billy sachlich und knapp anschlug. Phrasen in ihrem Melos ausschwingen lassen oder dem Orchester einen sinnlichen Klang zu entlocken, war da nicht. Erst ab dem dritten Teil begann die Musik zu atmen.

Fazit: Ein Abend großer Erwartungen, szenisch gescheitert, musikalisch durchwachsen und einer vorzüglichen Performance der von Timbre und Stimmtyp sehr außergewöhnlichen Anastasia Bartoli.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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