Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: MEROPE – Barockoper konzertant; Francesca Pia Vitale triumphiert in der Rolle des „primo uomo“ Epitide

26.02.2025 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: MEROPE – Barockoper konzertant; 25.2.2025

Francesca Pia Vitale triumphiert in der Rolle des „primo uomo“ Epitide

unn
Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Aus dem großen Teich der italienischen Barockoper des 18. Jahrhunderts sind ein guter Teil der fetten Hechte schon auf dem Teller von unersättlichen Impresarios, Theatern und Melomanen gelandet. Für Gourmets und Gourmands dieser in Rezitative und da capo Arien unterteilten opere serie ergibt das in der Regel ein lohnendes Mahl, weil viele der Arien der neapolitanischen, römischen bzw. der venezianischen Schule in glitzernden Koloraturen und artistischem Fioriturenzauber schwelgen, den Sängerinnen und Sängern schier Olympisches in Sachen hohe und höchste Noten, vokale Brillanz, an atemberaubenden Trillern, wütendem Rasen und zärtlicher Einkehr, Seufzergirlanden, heroischer geschwellter Brust oder vogelzwitschernder Leichtigkeit abverlangen.

Ab und an haben geschickte Angler noch den einen oder anderen hübschen Fisch an der Leine. So wie die Oper „Merope“ des spanischen, aber in Italien ausgebildeten Komponisten Domènech Terradellas auf ein damals beliebtes Libretto von Apostolo Zeno nach einem antiken Stoff. Der Venezianer Apostolo Zeno, dessen Textbuch „Merope“ an die 50-mal vertont wurde, war, was die Popularität dieses Opernlibrettisten anlangt, der langjährige Vorgänger von Pietro Metastasio am Wiener Hof.

Domènech Terradellas wurde 1711 in Barcelona geboren und konnte ein Musikstudium bei Francesco Durante an einem der renommierten Waisenhäuser und zugleich Konservatorien Neapels absolvieren. Dort schrieb er Motetten, Mess-Sätze und Oratorien, war aber als Opernkomponist sonderbarerweise nicht gefragt. Felix Dieterle verweist auf den Musikwissenschaftler Rainer Kleinertz, der mutmaßte, „dass der damalige König von Neapel, der spätere spanische König Carlos III., aus dem spanischen Zweig der Bourbonen, darauf bedacht war, nicht als Fremdherrscher wahrgenommen zu werden und sich bewusst gegen einen spanischen Hofkomponisten entschieden haben könnte.“

Dagegen klappte es in Rom, wo Terradellas 1743 mit seiner „Merope“ am Teatro delle Dame einen beachtlichen Erfolg einfahren konnte. So war ihm auch die Stelle als Kapellmeister der Kirche San Giacomo degli Spagnoli gewiss. Aber nur so lange, bis sich herausstellte, dass Terradellas Ehrgeiz und Neigung ihn Aufträge von Opernhäusern in Venedig und Florenz zu Lasten seiner Beschäftigung als Kirchenmusiker annehmen ließ. Nach seiner Entlassung sah man ihn als Direktor im King’s Theatre in London. Schon zwei Jahre später kehrte er nach Italien zurück. Jedenfalls starb er noch vor seinem 40. Lebensjahr in Rom. Ob der 1800, also Jahrzehnte nach Teradellas Tod  in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung verbreitete Tratsch stimmte, dass Terradellas von seinem neidischen Konkurrenten Niccoló Jommelli oder einem von ihm beauftragten Killer erdolcht und im Tiber versenkt hätte sein können, sei dahingestellt, dürfte sich aber eher in den Reigen der mythenumrankten  Antipodenstreitigkeiten der Operngeschichte á la Salieri-Mozart einfügen.

.Entstanden ist diese Serie von vier konzertanten Aufführungen der „Merope“ in Barcelona, Madrid (Teatro Real), Berlin und Wien (am Freitag, dem 28.2. gibt es im Theater an der Wien die Dernière) so: Das Gran Teatre del Liceu hat bei der Akademie für Alte Musik Berlin angefragt, ob das Orchester bereit wäre, die Oper „Merope“ des aus Barcelona stammenden Domènech Terradellas zu spielen. Da der Komponist früh starb, als Vorreiter des sog. stile galante in musikhistorischer Betrachtung durch alle Sessel fiel, aber dennoch eine „hochbegabte und individuelle Künstlerpersönlichkeit“ war, gab es eine Zusage.

Von der Partitur gibt es eine erste konsolidierte Fassung aus den 50-er Jahren von Roberto Gerhard. Es wäre aber nicht die in solchem Fahrwasser kompromisslos neugierige wie klanglich-historisch exzellierende Akademie für Alte Musik Berlin, wollte man nicht tiefer schürfen. Es gibt zwei Abschriften dieser dreiaktigen opera seria. Eine liegt in Bologna, die andere in Wien. Für die aktuelle Aufführungsserie ist eine neue Spielfassung entstanden, wobei sich die Akademie für Alte Musik Berlin, was den Einsatz von Blasinstrumenten (besonders die Hinzufügung von zwei Flöten) anlangt, für die Bologneser Variante entschieden hat. Dargeboten wurde dieser drei Stunden netto dauernde Arienmarathon nahezu ungestrichen. Lediglich zwei Arien und einige Rezitativpassagen fielen dem Rotstift zum Opfer.

Die Handlung von „Merope“ ist in ihrer unglaublich verzwickten, permanent hakenschlagenden Mord,- Intrigen- Rache und Reuemaschinerie mit happy end typisch für das Strickmuster der opera seria. Dabei stehen das Königreich Messenien auf der Peloponnes und ein Machtkampf der Herakliden Cresfonte und Polifonte im Vorfeld des Interesses. Eigentlich geht es zehn Jahre später um die Rückkehr des tot geglaubten Epitide unter dem Decknamen Cleone an den Hof, um die Machtverhältnisse nach dem Mord an seinem Vater Cresfonte durch den Leibwächter Anassandro im Auftrag des Polifonte neu zuordnen. Natürlich klebt der usurpatorische Polifonte am Thron und versucht, diesen mit allen machiavellischen Mitteln an Lügen, Entführung, Erpressung etc. zu behalten. Nach drei Akten an maßlos unglaubwürdigen Begebenheiten – so erkennt die Mutter den eigenen Sohn zig Male nicht und sieht in ihm vielmehr den Mörder von Epitide – gibt es am Ende ganz unvermittelt die Schubumkehr der Emotionen. Alle, die sich kurz davor noch abmurksen (Beispiel: Metope soll an die Leiche des Sohnes gekettet qualvoll sterben) und rächen wollten, fallen sich für die Zeit eines kurzen Chors liebestrunken in die Arme. Epitide erhält als Lohn den Thron.

Die einzigen positiven Charaktere des Stücks, Epitide und Trasimede, in Merope heimlich verliebter Anführer des Stadtrats von Messenien, sind auch die mit den interessantesten Stimmen des Abends besetzt. Allen voran die italienische Sopranistin Francesca Pia Vitale, die auf Basis von gender crossing als „Hosenrolle“ den Königssohn Epitide verkörpert. Diese junge lyrische Sängerin, die im Dezember 2024 als Adina in Donizettis „L’Elisir d’amore“ an der Opéra de Monte Carlo debütierte, besticht durch einen in allen Lagen leuchtenden, super beweglichen, ausreichend dramatischen und gehaltsvollen Sopran, der auch in extremen Höhen sein enormes Potential zeigt, in keiner Sekunde flach oder eng wird. Was für eine Entdeckung!

Als Trasimede habe ich den französischen Countertenor Paul-Antoine Bénos-Dijan zum ersten Mal live erlebt. In diesem Stimmfach ist die Diskrepanz zwischen dem oftmals glänzenden Erlebnis auf Tonträgern (die tendenziell kleinere Stimmen besser aussehen lassen) und der realen Klangfülle der Stimme im Raum besonders auffällig. Kurz gesagt: Bénos-Dijan verblüfft mit einem besonders gut tragenden Counter, einer Phrasierungs-Eleganz und einer dynamisch feinst austarierten emotionalen Dichte der Stimmführung. So werden gerade seine Arien zu Gustostückerln barocker Galanterie.

Ganz fantastisch schlägt sich auch Emöke Baráth in der Titelpartie. Neben den herausragenden vokalen Schöpfungen für Epitide (letzte Arie des ersten Aktes!) ist es diese Rolle der emotional ziemlich durchgeknallten Mutter, Königin und Frau, die mit der größten Vielfalt an affektiv grundierter Stimmvirtuosität aufwarten kann. Ihr instrumental geführter, luxuriös timbrierter Sopran glänzt in der Mittellage und auch in den dramatisch punktuellen Höhen, neigt aber in den endlosen, von der Tessitura sehr unangenehm lang gestrickten Phrasen in der oberen Lage zu manch flachem, angestrengten Ton.

Der italienische Tenor Valerio Contaldo als Bösewicht Polifonte macht mit genau in der Maske platzierter Stimme, einer profunden Artikulation und Bühnentemperament wett, was ihm an Volumen zumindest für die Staatsoper Unter den Linden bei hoch gelegenem Orchester abgeht.

Margherita Maria Sala lässt in der zweiten Hosenrolle des Botschafters Licisco einen in der Tiefe und Mittellage angenehm timbrierten, satten Kontraalt hören. Allerdings lichtet sich die Stimme in der wenig expansionsfähigen Höhe bei zunehmenden Vibrato allzu sehr auf.

Alte Musik Urgestein Sunhae Im soubrettelt sich mit spitzen Höhen durch die allzu schablonenhafte Rolle der Argia, Epitide versprochene Prinzessin des benachbarten Ätolien, während Thomas Hobbs als Anassandro, wenig hörbar, vokal und dramaturgisch blass bleibt, final wenig Eindruck hinterlässt.

Natürlich reüssiert die gewohnt transparent, artikulatorisch beredt wie klangintensiv aufspielende Akademie für Alte Musik Berlin unter der engagierten musikalischen Leitung durch den Dirigenten und Cembalisten Francesco Corti auf ganzer Linie.

Das großteils verharrende Publikum der nicht sonderlich gut besuchten Staatsoper Unter den Linden dankte allen Beteiligten euphorisch und mit begeisterten Ovationen. Mir kam nach dreieinhalb Stunden Rezitativ und Arien (mochten sie im Einzelnen noch so schön sein) wieder einmal der berühmte Satz des Sir Morosus aus Richard Strauss‘ Oper „Die schweigsame Frau“ in den Sinn: „Wie schön ist doch die Musik – aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken