BERLIN / Staatsoper Unter den Linden LES PÊCHEURS DE PERLES; 27.1.2024
Jetzt noch besser als zur Wiederaufnahme!
Olga Peretyatko. Foto: Donata Wenders
Am 4.1. dieses Jahres gab es die erste Aufführung dieser Wiederaufnahme-Serie der „Perlenfischer“, die mir der Inszenierung, des Orchesters und der Besetzung wegen zwar sehr gut gefiel, wo ich jedoch das Gefühl hatte, es wäre noch eine Steigerung drin. Über drei Woche später. Was hat sich getan?
Also zuerst einmal ist der Dirigent der Aufführung Victorien Vanoosten, Assistent Barenboims 2018, zwischenzeitig zum musikalischen Direktor der Oper von Toulon bestellt worden. Der in Lille geborene Musiker, der zuerst Horn und Klavier studiert hat, feierte seinen Einstand am 23. und 25.Jänner in konzertanten Aufführungen von Massenets „Thais“ im Palais Neptune. Das historische Opernhaus ist wegen Renovierung geschlossen. Der französische Dirigent, der die Funktion der musikalischen und künstlerischen Leitung des Ensembles symphoniques von Neuchâtel innehat, ist ein Animator mit Temperament, Präzision und stürmischer Zeichengebung, für den sich der Chor der Staatsoper Unter den Linden nun redlich darum bemüht, zu Beginn des ersten Akts nicht mehr zu schleppen. Das Opernpublikum in Toulon darf sich auf den neuen Chef freuen, der mich im „zweiten Durchgang“ voll überzeugen konnte. So raffiniert und leidenschaftlich muss (französische) Oper klingen, so gut muss der Draht zu den Orchestermusikern sein, dass sie derart begeistert, differenziert und klangveredelt den Anweisungen des Dirigenten folgen.
Die Staatskapelle Berlin entfaltet ein wahres Feuerwerk an kontrastierender Dynamik, exotischem Meeres-Gaugin-Kolorit und jener unwiderstehlichen Melange aus impressionistischer Farbenzauberei, rhythmischer Energie und noblem Streicher- und Holzbläserklang (Klarinetten!), was wie nichts besser den Wert der Partitur dieser so schönen Oper des 24/25-jährigen Komponisten untermauert.
Dazu stand wieder ein exzellentes Solisten-Ensemble auf der Bühne: Olga Peretyatko hat die schwierige lyrische Koloratursopranrolle der Leila mittlerweile so internalisiert, dass von einer Traumbesetzung die Rede ist. Der russische Sopranstar, der vom Timbre her (Mittellage) ein wenig an Anna Netrebko erinnert, hat an Fraulichkeit, Wärme und Dramatik zugelegt. Bewundernswert sind Phrasierung, Legato und die Beherrschung von Stil und Sprache. Meine Begleitung, muttersprachlich Franzose, hat mir versichert, er hätte jedes Wort verstanden. Im großen Duett mit Zurga, ein Höhepunkt der Aufführung, sind die Emotionen hart aufeinandergeprallt und siedend heiß hochgekocht. Genau wegen solcher Momente gehen Alteingefleischte immer wieder in die Oper.
Das hat auch mit der Neubesetzung des Zurga mit dem mexikanischen Bariton Alfredo Daza zu tun. Dieser Verdi-Bariton war von 2003 bis 2018 Ensemblemitglied der Staatsoper Unter den Linden. In der Rolle des Zurga löst er Gyula Orendt ab, der die Wiederaufnahme mit Bravour als weitaus nuancenreicher Bühnencharakter stimmlich betörend bestritten hat. Im Fall der beiden Sänger lässt sich gut nachvollziehen, wie das Wesen einer Personenkonstellation alleine durch die Besetzung variiert. Wer da besser gefällt, das ist natürlich reine Geschmackssache. War der Zurga von Orendt ein sensibler Bursche, der dem Treueschwur mit Nadir aus Zuneigung zum Freund folgt und in sein Rollenporträt viele Zwischentöne ein- und eine lyrischere Gangart vorgelegt hat, so ist beim Zurga des Alfredo Daza klar, dass mit dem Nadir von Dmitry Korchak einander zwei unerbittliche Machos um die Liebe einer Frau gegenüberstehen. Korchak und Daza sind zwei imponierende Stimmkaliber, deren Stahl, Stamina und Höhensicherheit mitreißen, aber offensichtlich auch zu Lautstärke und Stimmprotz verleiten. Mehr Piani, eine differenziertere Phrasierung und ein ausbalancierteres Legato und die beiden wären noch beeindruckender. Auch Paul Gay in der kleineren Rolle des „Gralshüters“ der Perlenfischer Nourabad verfügt über einen beeindruckend voluminösen Bass und kann ihn im Zornesausbruch bei Entdeckung der „vertragsbrüchigen“ Priesterin gut ausspielen. Ich hatte den Eindruck, Gay war diesmal besser disponiert als am 4.1.
Zum letzten Mal in dieser Spielzeit wird „Les Pêcheurs de perles“ am 4.2. in der Staatsoper Unter den Linden gegeben. Wie Publikumszuspruch und Applaus zeigen, ist diese szenisch minimalistische, ästhetisch klare und wirkungssichere Produktion von Wim Wenders bei entsprechender musikalischer Leitung und Besetzung ein Hit.
A propos Wim Wenders: Der Filmregisseur stiefelte in der Zwischenzeit auf der Fashion Week in Paris als „Topmodel“ für den japanischen Stardesigner Yohji Yamamoto über den Catwalk.
Dr. Ingobert Waltenberger