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BERLIN/ Staatsoper Unter den Linden: KONZERT ZUM 200JÄHRIGEN BESTEHEN DES STAATSOPERNCHORS

14.12.2021 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden „Konzert zum 200. Bestehen des Staatsopernchors“: 13.12.2021

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Foto: Peter Adamik

 

Jubiläen gehören gefeiert und so hat sich auch die Staatsoper Unter den Linden nicht lumpen lassen. Sie veranstaltete zum 200. Geburtstag des hauseigenen Opernchors ein großes Konzert. Generalmusikdirektor Daniel Barenboim selbst dirigierte das in der Zusammensetzung wohl eigenwillige Programm: Vor der Pause gab es zuerst eine behäbige und trotz aller Feinheiten in den harmonischen Übergängen spannungsarme Symphonie Nr. 104 von Joseph Haydn zu hören. In Zeiten, wo die meisten Orchester auch auf modernen Instrumenten zumindest einige Techniken der Originalklangbewegung abgeschaut haben, wirkte diese klangromantisierende Wiedergabe mit Tempi so breit wie eine Autobahn ohne auf eine einigermaßen sinnengeschärfte Artikulation zu achten, eigentlich nur altbacken. 

 

Großartig hingegen geriet die deutsche Uraufführung der Luciana Abbado Pestalozza (Schwester von Claudio Abbado und eine der wesentlichen Förderinnen Neuer Musik in Italien) gewidmeten Orchesterkomposition „Dentro non ha tempo“ von Luca Francesconi in Anwesenheit des Komponisten. 2014 als Auftragswerk der „Fondazione Teatro alla Scala“ fertig gestellt, wurde das Stück an der Scala von Esa-Pekka Salonen aus der Taufe gehoben. Das faszinierend wie Sternschnuppenregen und Leuchtkäferblitzen klingende Werk für einen Riesenorchesterapparat inkl. Schlagzeug, Vibraphon, Marimbaphon, Xylophon, Glockenspiel, Klavier und Hammond-Orgel wurde von der Staatskapelle Berlin all um blinkend, leuchtend und mit virtuoser Prachtentfaltung dargeboten. Wahrlich ein festliches und beeindruckendes Geburtstagsständchen. 

 

Nach der Pause bildete Franz Schuberts „Gesang der Geister über den Wassern“ für achtstimmigen Männerchor und Streicher auf einen Text von Johann Wolfgang von Goethe vom Februar 1821 den künstlerisch gelungensten Programmpunkt. Im Winter 1821 war zwar der Berliner Hofopernchor noch nicht gegründet, aber die Herren des Staatsopernchors boten eine in jeder Hinsicht spektakuläre Leistung. Souverän in den einzelnen Stimmen, bestens aufeinander eingehört, rhythmisch und intonationsmäßig präzise, wortdeutlich, stilistisch ohne große Operngeste auskommend, gelang eine lyrisch poetische Wiedergabe voller Plastizität zu den Worten, die des Menschen Seele bildlich dem Wasser annähern: „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser. Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde muss es, ewig wechselnd.“ Die Streicher der Staatskapelle trugen ihre Kollegen vom Chor spürbar auf Händen. Jubel.

 

Vor dem „Te Deum“ von Anton Bruckner gab es ein kurzes, aber bewegendes Grusswort von Intendant Mathias Schulz, der 2025 an die Zürcher Oper wechseln wird. Keine Geringere als KS Waltraud Meier hielt die Festrede, es wurde eine Hommage an die fast grenzenlosen Möglichkeiten der menschlichen Stimme. Unter Hinweis auf Zitate von Yehudi Menuhin, der dieses Wunder der Natur, das ohne jedes Hilfsmittel auskommt,  einst als das älteste und schönste Instrument würdigte, erinnerte sich Waltraud Meier auch an markante gemeinsame Auftritte mit dem Staatsopernchor, etwa 1991, als sie im Studio unter Daniel Barenboim und den Berliner Philharmonikern die Kundry sang. Die Zusammenarbeit vom besten Westberliner Orchester und dem besten Ostberliner Chor war ja damals noch eine Sensation. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich die ca. 80 Mitwirkenden des Chors aus 20 Ländern rekrutieren. 

 

Die spektakuläre Gründungsgeschichte hat Waltraud Meier auch angesprochen: Die Uraufführung der Oper „Olimpia“ vom Generalmusikdirektor Gaspare Spontini im Mai 1821 und erst Recht die einen Monat später realisierte Erstaufführung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ verlangten leistungsfähige, professionelle Kräfte. Die tapferen Schüler aus Berliner Gymnasien, die bürgerlichen Amateure und Schauspielerinnen, die zuvor für die Ausführung der Chöre verantwortlich waren, hatten bei diesen hohen Ansprüchen ausgedient. Der erste Berufschor umfasste 26 Damen und 27 Herren, wobei bei Bedarf zusätzliche Kräfte engagiert wurden, wie dies ja auch noch an etlichen Opernhäuser üblich ist. 

 

Den Schlusspunkt des Konzerts markierte Anton Bruckners fünfsätziges „Te Deum“ für Solisten, Chor, Orgel und Orchester. Daniel Barenboim zelebrierte, wie dies anders nicht von ihm nicht zu erwarten war, eine weihevolle, von gemäßigten Tempi getragene Aufführung. Ganz ausgezeichnet waren die Solisten ausgewählt. Besonders Elza van den Heever, die wohl schönste Sopranstimme seit Anna Tomowa-Sintow, begeisterte mit strahlenden Höhen und einer samtigen Mittellage. Der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo lieh den heiklen Soli seinen luxuriös timbrierten, an Mozart geschulten Tenor. Was für ein herrliches Legato und sublime Phrasierungen im „Salvum fac populum“. Anna Kissjudit (Mezzo) und Jan Martiník (Bass) vervollständigten mir ihren kleineren Aufgaben das homogene Ensemble. 

 

Chordirektor Martin Wright dürfte mit der Leistung des beeindruckend stimmmächtig aufsingenden Chors an diesem Abend nicht zu 100%  zufrieden gewesen sein. So wackelte der Einsatz der Soprane in der Schlussfuge „In te, Domine, speravi“. Die Balance und Homogenität zwischen Orchester und Chor waren bisweilen bei Barenboims extremen Temporückungen und Ritardandi gefährdet. Schwamm drüber, es war eine Feierstunde, Wolfgang Schäuble war da, das Publikum war wie er bester Laune. 

 

Heute gibt es ja im Großen Saal der Berliner Philharmonie bei der Wiederholung des Programms ohne Festreden noch einmal die Gelegenheit, auch bei Bruckner für ein atemberaubendes Chorerlebnis zu sorgen. Natürlich braucht nicht betont zu werden, dass der Staatsopernchor Berlin zu den besten Opernchören Deutschlands zählt und alle Musikfreunde sich glücklich schätzen können, ihn in Spitzenform erleben zu dürfen, wie dies jüngst in Wagners „Lohengrin“ der Fall war.  

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Fotocredits: Peter Adamik

 

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