Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia, Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 02.03.2019
(374. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 21.11.1968)
Theaterasche brennt nicht mehr. Sie glüht!
Julia Spinola beklagt in ihrem Artikel «Retro-Regie: Theaterasche brennt nicht mehr» in der Neuen Zürcher Zeitung vom 21.02.2019 (https://www.nzz.ch/feuilleton/retro-regie-theaterasche-brennt-nicht-mehr-ld.1461305) einen Retro-Trend an den Opernhäusern. Diese Nostalgie führe in eine Sackgasse. Es werde der Regiearbeit ein eigenkünstlerisches Gewicht zugesprochen, das ihr nicht gebühre. Oper sei eine Zeitkunst und entsprechend stehe die Zeitgebundenheit einer Inszenierung ihrer Wiederbelebung entgegen. Als eines von mehreren Beispielen nutzt (und kritisiert) sie die Aufführung von Ruth Berghaus Inszenierung an der Staatsoper unter den Linden in Berlin. Diese Inszenierung hat seit ihrer Premiere am 21.11.1968 374 Aufführungen erlebt, im Schnitt also 7 Aufführungen pro Saison. Diese Zahlen legen nahe, dass es sich genauso gut um die Überarbeitung eines Dauerbrenners des Repertoires handeln kann.
Ruth Berghaus zeigt „Der Barbier von Sevilla oder Die unnütze Vorsicht“ (so das Medaillon inmitten des Rokoko-Frieses über dem Portal) im Bühnenbild von Achim Freyer (Gesamtausstattung) als Theater im Theater. Betritt der Besucher den Zuschauerraum, so fällt der Blick auf die offene Bühne mit der bereitsaufbebauten Bühne und den Fries. Wie sorgfältig gearbeitet wurde, zeigt schon der Fries: wo sonst ein Arm oder Bein über das Medaillon hinausragt, ist hier gleich ein ganzer Körper herausgebrochen. Und im altweiss gehaltenen Fries sind ein grünes Bein und ein farbiger Kopf zu entdecken. Blickt man in den Orchestergraben, entdeckt man einen weiteren Hinweis auf das Theater im Theater: einen kostümierten Unterleib. Die Souffleuse, die sonst kaum zu sehen ist, wird hier besonders präsentiert. Die Bühne auf der Bühne besteht aus vier perspektivisch bemalten Vorhängen, die einen Strassenzug in Sevilla, ein Platz oder das Innere von Bartolos Haus zeigen.
In diesem Rahmen erzählt Berghaus nun die Geschichte eng am Libretto, ohne Umstellungen, grössere Striche oder Ähnliches. Die Figuren des Stücks sind den Typen der Commedia dell’arte nachempfunden und entsprechend kostümiert. Die Personen sind hervorragend geführt, sodass das „Potential“ der Geschichte sofort deutlich wird.
Foto: Monika Rittershaus
Spinola stellt in ihrem Artikel fest, dass soziale Zwänge heute ganz anders aussähen als Ende der60er-Jahre, als man von der klassenlosen Gesellschaft träumte und Berghaus Inszenierung ihre Premiere erlebte. Die Oper als Zeitkunst lasse eine Aufführung dieser Inszenierung zum Totenkult werden. Das kann man sicher so sehen, nur: Widerspräche die Zeitgebundenheit nicht überhaupt einer Beschäftigung mit dem Barbier von Sevilla? Schliesslich ist Beaumarchais Vorlage von 1775 an ihre Zeit gebunden wie auch Rossinis Vertonung von 1816 und Berghaus Inszenierung von 1968. Sieht man die ganze Sache so dogmatisch, führt das zu keinem Resultat, zu einem „Lebenskult“, der genau so negativ wäre, wie der von Spinola behauptete Totenkult. Neues kann nur entstehen, wenn man seine Vergangenheit kennt, die „Theaterasche“ ist der Humus des Neuen und also solcher unabdingbar.
Die “Theaterasche“ zum Glühen gebracht, haben die Musiker. Trotz Familienvorstellung war es beim Auftritt des Dirigenten so still, dass sein an das Orchester gerichtete „Guten Abend!“ im ganzen Saal vernehmbar war. Die Musiker der Staatskapelle Berlin haben unter Leitung von Stefano Ranzani Rossinis Partitur mit aller gebotenen Leichtigkeit und Raffinesse wunderbar zum Klingen gebracht. Bravissimi! Anna Milukova hat den Staatsopernchor einstudiert, der seine Einsätze mit grosser Spielfreude absolvierte.
Alfredo Daza als Figaro hielt den ganzen Abend über die Fäden in der Hand und gestaltete die Rolle, abgesehen von einigen wenigen Intonationseintrübungen perfekt. Traumhaft die Rosina der Annalisa Stroppa! Absolute Musikalität in den virtuosen Verzierungen, durchgehend kräftiges Fundament der Stimme und grosse Natürlichkeit in der unglaublichen Bühnenpräsenz. Man freut sich auf ein Wiederhören, genau wie bei Michele Angelini, der leider als indisponiert angesagt war. Ein traumhafter Tenore di grazia mit grossem Fundament, kräftigen Höhen, perfekter Technik und virtuoser Musikalität. Das Quartett der Hauptrollen komplettierte Renato Girolami als Bartolo. Er beeindruckte mit seiner immensen Spielfreunde und der Sicherheit in den zahlreichen Parlandostellen. Jan Martinik war der Musiklehrer Don Basilio, Florian Eckhardt Bartolos Diener Ambrogio und Adriane Queiroz mit sehr gut gesungener Arie gab die Berta, Haushälterin bei Bartolo.
Entscheidend ist nicht, ob alt oder neu, entscheidend ist, ob es sich um gutes oder schlechtes Handwerk handelt. Auf „Man steigt nie zweimal in denselben Fluss.“ (Julia Spinola im eingangs erwähnten Artikel) möchte man entgegnen: In diesen Fluss steigt man gerne wieder, auch wenn‘s nicht mehr derselbe ist!
Weitere Aufführungen:
- April 2019, 19.00 Uhr
- April 2019, 19.00 Uhr
- Mai 2019, 19.00 Uhr
- Mai 2019, 19.00 Uhr
03.03.2019, Jan Krobot/Zürich