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BERLIN/ Staatsoper Unter den Linden „IDOMENEO“, erste Vorstellung nach der Premiere. La clemenza di Nettuno

24.03.2023 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden „IDOMENEO“, erste Vorstellung nach der Premiere; 23.3.2023

La clemenza di Nettuno

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Copyright: Bernd Uhlig

Neptuns Maske dräut in ewig schwarzer Nacht über Kreta. Der unerbittlich zornige Gott des Meeres sieht alles, hört alles, weiß alles. Hätte der englische Regisseur David McVicar eine aktualisierte Sicht auf das Stück gewählt, könnte man jetzt trefflich über die Überwachung durch ein monumentales Objekt, direkt vor die Augen des Zusehers gepflanzt, sinnieren. Es soll ja auch Staaten geben, die in jedem Ballon ein Ufo vermuten oder sich von “spionierenden“ Hafenkränen in ihrer Souveränität durch einen anderen Staat attackiert sehen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wird es in Mozarts letzter Opera seria „La clemanza di Tito“ der aufgeklärte Herrscher sein, der das lieto fine einläutet, so ist es in Giambattista Varescos Adaption der französischen Vorlage von Antoine Danchets Libretto zu Idomenée der Gott Neptun selbst, dessen Pressesprecher am Ende ganz in milder Art das dargebotene Opfer der Liebespaars Ilia und Idamante als ausreichend verkündet, um den Fluch vom Land zu nehmen. Denn: „Amor hat gesiegt. Idomeneo lege sein Königsamt nieder. König sei Idamantes und Ilia seine Gemahlin. Neptun sei zufrieden, der Himmel sei versöhnt, die Unschuld belohnt.“´

Hatte André Campra in seiner Version „Idomenée“ 70 jahre zuvor Idomeneo noch gnadenlos sterben lassen, so darf hier der Gott nicht nur als Begnadiger, sondern auch als Heiratsvermittler und politischer Personalchef von Kreta agieren. Denn der vom jahrelangen Krieg gegen Troja offenbar völlig ausgelaugte Idomeneo hat keine Führungsautorität mehr. Der abgehalfterte König ist nur noch ein in sich zerrissener Zweifler und schwacher Bettler um einige Lebensjahre, als er dem Gott des Meeres in einem beispiellos feigen Schwur als todgeweihtes Opfer (um sein eigenes Leben zu schonen) den erstbesten am Strand anzutreffenden Menschen anbietet.

David McVicar setzt in dem von Mozart als spannendes Mittelding zwischen französischer Tragédie lyrique (mächtige Chöre, dramatische Rezitative, furiose Leidenschaften) und an der Schwelle zu einem empfindsameren Zeitalter stehenden Opera seria (zarte Selbstreflexionen von Ilias und Idamantes in langen melodiös herzzerreißenden da capo Arien) ganz auf ein formalistisches Bewegungstheater frei nach japanischer Kabuki Tradition. Elettras Dienerinnen tragen japanische Wakaonna Noh Masken, eine Movement Group schwingt in bester Dämon Cosplay Samurai-Manier die Schwerter (Kostüme Gabrielle Dalton). Alles geometrisch sauber und filmreif herausgeputzt.

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Copyright: Bernd Uhlig

Da ist man an Robert Wilsons sterile Raumästhetik und elegant fernöstlichen Kostüme erinnert. In optischer Reduktion (Bühnenbild Vicki Mortimer) wird die Kulisse für aktionsarmes Rampentheater geschaffen. Nur eine drehbare überdimensionierte Schädelmaske, ein quadratisches Stück sandfarbener Grund als Andeutung eines felsigen Bodens und rundherum schwarze Nacht. Erst am Ende, als in der dystopischen Versuchsanordnung der Gott selbst zum milden Sachwalter menschlichen Versagens wird, öffnet sich ein Spalt im nächtlichen Hintergrund und das Tageslicht beginnt zu dämmern. Wie wir wissen, ist diese bessere Welt bis heute Utopie geblieben.

Das musikalische Atout der Produktion liegt in Simon Rattles impressionistisch farbenbetontem, vor allem die lyrischen Qualitäten der Partitur delikat ausleichtendem Dirigat und der Mozart als delikates Klangmesmerisieren darbietenden Staatskapelle Berlin. Die Staatskapelle Berlin ist exzellent präpariert und hat hörbar bis alle Einzelheiten akribisch geprobt. In solcher Form ist sie in Berlin als Opernorchester unüberbietbar. Die seidigen Streicher, die von Bläsern und Holz klar, rhythmisch präzise, stets edel gesetzten Akzente, der durchsichtige Klang, alles lädt zum verzückten Schwärmen ein.

Vorausgesetzt, Mann oder Frau sind geübte Operngourmets, die Reduktionskost zu schätzen wissen. Rattle hat ein kleines Orchester verlangt, was bei der guten Raumakustik durchaus noch immer eindrücklich auch die dramatischeren Tableaus bedient. Nicht aufgegangen ist die Rechnung beim auf Kammergröße reduzierten Staatsopernchor (Einstudierung Martin Wright). Da sei angemerkt, das Schleppen und die rhythmischen Schlampereien des Chors „Godiam la pace“ einmal verziehen, dass von der antikischen Wucht des erschütternden Chors „Oh voto tremendo“ nichts bleibt und der Jubel im Schlusschor „Scenda Amor, scenda Imeneo“ nicht zünden will. Natürlich verbessern klangliche Schärfen und Frugalität den Eindruck nicht. Ein kräftiges Buh aus dem Publikum beim Vorhang trifft hier wahrscheinlich das, was viele empfunden haben.

Das mit (teils zu) leichten Stimmen besetzte Ensemble glänzt vor allem in den reflexiven lyrischen Arien, im Terzett „Pria di partir, oh dio“ und im himmlischen Quartett „Andrò ramingo e solo“.

Als Idomeneo setzt Andrew Staples seinen näselnden Tenor mit technisch einwandfreiem Legato und intonationsrein ein, plagt sich aber mit den Läufen und Verzierungen seiner hochdramatischen Arie „Fuor del mar ho un mar in seno“. Als Bühnenfigur bleibt er blass.

Magdalena Kožená ist Idamante und der große vokale Lichtblick der Aufführung. Nach anfänglich noch ein wenig unflexibler Tongebung und hart anspringenden Höhen wächst sie im Laufe der Vorstellung über sich selbst hinaus. Mit ihrem warm timbrierten, mit hellen Cellotönen aufwartenden Mezzosopran vermag sie zudem der Figur charakterliches Profil zu verleihen und die verzückt wehende Fahne der humanistischen Botschaft des Stücks zu tragen.

Die hochmusikalische Perfektionistin Anna Prohaska wartet als Ilia mit ihrem nahezu makellosen lyrischen Sopran auf. In ihren drei da capo drei Arien nutzt sie die Wiederholungen, um mit abgewandelten Verzierungen für musikalische Kurzweil zu sorgen. Ihr Duett mit dem Idamante der Kožená, mit der Prohaska ungemein gut harmoniert, „S’io non moro aquesti accenti“, gerät zu einem Kammerstück an edlem Mozart-Gesang, der wahrscheinlich auch die strenge Schwarzkopf zufrieden gestellt hätte. Es darf aber leise angemerkt sein, dass die Gesangslinien zwar mit hoher Kunstfertigkeit gezogen werden, aber gewisse Härten und ein zeitweiliges Flackern in der Höhe stimmliche Limits ankündigen.

Problematisch ist Olga Peretyatko als Elettra. Heller timbriert als die Ilia der Prohaska, singt sie ein tief empfundenes „Idol mio, se ritratto“, diese einnehmende lyrische Arie im zweiten Akt, die die mykenische Prinzessin Ellettra für einen Moment als großzügig liebende Frau zeigt. Für den wuttosenden, giftig geifernden Racheausbruch „Tutte nel cor vi sento“ und im finalen Fluch „D’Oreste, d’Aiace“ fehlen Peretyatko Volumen und dramatische Attacke. Verschenkt.

Der junge niederländische Tenor Linard Vrielink als Arbace lässt mit einem angenehm timbrierten, samtigen Tenor aufhorchen. Auch er ist ein außerordentlich musikalischer Sänger und überrascht in seiner Arie „Se il tuo duol“ und dem wahnsinnig schweren, über sechs Minuten langen „Se colà ne‘ fati é scritto“, wo er herzerweichend um die Verschonung des Prinzen fleht, mit mutig interpolierten Akuti. Ein Solo-Sonderapplaus ist dem sympathischen Künstler sicher.

Florian Hoffmann als hart am Tremolo vorbei schrammender Oberpriester des Neptun und der bassmächtig orgelnde Jan Martiník als „Die Stimme“ ergänzen das Ensemble. Nach fast vier Stunden Aufführungsdauer (inkl. Pausen, das Schlussballett wurde aus zeitlichen Gründen gestrichen) gibt es höflich-bestimmten, für das Orchester und den Dirigenten überschwänglichen Applaus.

Fazit: Eine Aufführung für Feinspitze. Angesichts der Statik der Inszenierung und der geschmäcklerischen Bebilderung der Bühne muss allerdings die Frage erlaubt sein, ob es nicht auch eine konzertante Aufführungsserie getan hätte.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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