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BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: ELEKTRA. Packende Repertoireaufführung in der genial klaustrophoben Inszenierung des Patrice Chéreau

15.02.2025 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: ELEKTRA; 14.2.2025

Packende Repertoireaufführung in der genial klaustrophoben Inszenierung des Patrice Chéreau

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Evelyn Herlitzius beim Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

In der Berliner Premiere vom Oktober 2016 im Ausweichquartier Schiller Theater (die Neuinszenierung feierte ihre Uraufführung am 10.7.2013 im Grand Théâtre de Provence) war sie noch eine Furcht wie Mitleid einflößende Elektra. Jetzt verkörpert Musiktheater-Urgewalt Evelyn Herlitzius eine eruptive Klytämnestra. Ganz anders als Waltraud Meier, die trotz steter Opferschlachtbereitschaft als Königin damenhaft erhaben über die Bühne stapfte und zumindest mich darstellerisch langweilte, gibt Herlitzius mit jeder kleinsten Regung eine beklemmende Studie einer hysterisierten, an den eigenen Untaten gegenüber dem Erzeuger ihrer Kinder Agamemnon und diesen psychisch von innen faulenden Mutter. Da genügen kleine Gesten des Sich-Windens, des sich jenseits jeglichen Verständnisses Zerfaserns, eine verquere Kopfhaltung, ein scheinbar machttrunkener und dennoch nach innen gewandt schmerzverzerrter Blick und die ganze Misere dieser tragischen Figur wird augenscheinlich. Rein stimmlich bekommt ihr der Wechsel von der glühenden Hochdramatischen ins Mezzo-Charakterfach gut. Da Herlitzius immer über eine großartig individuell timbrierte, belastbare Mittellage und Tiefe verfügt hat, kann sie jetzt auf diese vokalen erfreulich unverbrauchten Ressourcen bauen. Dabei klingt ihre Stimme in allen Lagen ausgeglichen klangvoll. Die verschiedenen Stadien der Verzweiflung angesichts der nicht enden wollenden Albträume formt sie in ergreifender Plastizität. Die langen Legatobögen in der Auseinandersetzung mit Elektra gelingen vorzüglich. Insgesamt ist Herlitzius eine der überzeugendsten Klytämnestras, die ich bisher gehört habe (und es waren viele seit meinem ersten Opernbesuch 1974). Bravo.

Als zweite Glanzleistung des Abends ist die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė als Chrysothemis zu nennen. Diese blitzhell strahlende jugendlich Dramatische von Gnaden vermag wie keine andere heute die Aufgeregtheit der sich nach Normalität und Mutterschaft sehnenden Schwester der Elektra auf die Bühne zu hieven. Immer im Hin und Her zwischen wechselnden Loyalitäten und natürlichen Fluchtgedanken zerrieben, versucht sie der unhaltbaren familiären Situation eine eigene Vision eines konstruktiven Lebens entgegenzusetzen. Spätestens, wenn sich Orest nach vollbrachter Erdolchung von Mutter und Aegisth am Ende jeglicher Nähe verschließt, hat auch dieses fragile Wesen die harte Realität eingeholt. Die hohe Tessitura der Partie, die ekstatischen Bögen schafft Miknevičiūtė mit bewundernswerter Leichtigkeit, genügend gleißendem Metall und einer alle Orchesterwogen bezwingenden Durchschlagskraft.

Die schwedische Hochdramatische Irène Theorin überzeugt in dieser Inszenierung als herabgewirtschaftete „Obdachlose“ mit Steppdecke, verkrochen in einem Loch im dreckigen Innenhof des Palastes, zu mindestens darstellerisch. Zielstrebig schmiedet sie ihre Rachegelüste und würzt diese als letzten Rest eines einstigen Lebenssinns mit einem Schuss Wahnsinn. Die hohen Noten im dramatischen Forte sitzen bombensicher, das hohe C von ‚so nigliche Siegestänze‘ im Monolog fetzt. Dagegen fehlt es in der Mittellage an Volumen und zeitweise an Stabilität der Projektion. In den tiefen Lagen reduziert sich die Tonproduktion zeitweise auf ein sprechgesangliches Flüstern. Dank der Intensität und der Bühnenpräsenz der Künstlerin ist dennoch von einer akzeptablen, wenngleich vokal vor allem in den lyrischen Passagen der Erkennungsszene mit Orest nicht unproblematischen Leistung zu berichten.

Orest ist beim estnischen Bariton Lauri Vasar in sehr guten Händen. Er überzeugt mit seinem hellen, warm timbrierten Kavaliersbariton sowohl stimmlich als auch als klar konturierte Figur. Da kommt der tot Geglaubte, Sohn und Bruder, gewaltig fremd Gewordene an diesen heimischen, verwahrlost-bluttriefenden Hof, findet seine Schwester Elektra in einem erbärmlichen Zustand und tut, was zu tun ist. Die gestalterischen Nuancen als Heilsbringer und Befreier, vom Vorgefundenen Angewiderter und schließlich sich Abwendender bringt Vasar faszinierend auf den Punkt.  

Stephan Rügamer ist ein schriller Aegisth. Die Begegnung mit Cheryl Studer als Vertraute und schlüsselbundschwingende Aufseherin und Olaf Bär als altem Diener kann eher als Wiedersehen denn als Wiederhören bezeichnet werden. Herausragend wie immer, gefällt Siyabonga Maqungo auch in der kleinen Rolle des jungen Dieners. Die fünf Mädge sind mit Bonita Hyman, Natalia Sklrycka, Anna Kissjudit, Clara Nadeshdin und der stimmlich im Lauf der Jahre ein wenig fadenscheinig gewordenen Roberta Alexander besetzt.

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Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Die Staatskapelle Berlin, nicht nur für die schillernden Opern von Richard Strauss ein wahrer Wunderklangkörper, wurde von Simone Young dirigiert. Nuancenreich, in den zarten Passagen transparent auf die feinen onomatopoetischen Instrumentierungskünste des Komponisten horchend, fordert sie am anderen Ende der Skala die volle archaische Wucht der Partitur ein. Es ist grandios erfreulich und nicht alltäglich zu berichten, dass Frau Young im Laufe ihrer Karriere noch an künstlerischem Profil zulegen konnte und jetzt einen Spitzenplatz im internationalen Dirigentenbusiness einnimmt. Das Publikum hat es ihr und der Staatskapelle in Höchstform mit dem verdient größten Applaus des Abends gedankt.

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: Schlussvorhang (Ensemble, Evelyn Herlitzius)

 

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