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BERLIN/ Staatsoper Unter den Linden: „DIE SCHÖNE MÜLLERIN“ – EIN MUSIKTHEATERABEND“ nach FRANZ SCHUBERT von MUSICBANDA FRANUI, PREMIERE

27.05.2023 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden „DIE SCHÖNE MÜLLERIN“ – EIN MUSIKTHEATERABEND“ nach FRANZ SCHUBERT von MUSICBANDA FRANUI, PREMIERE; 26.5.2023

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Florian Boesch/ Nikolaus Habjan. Foto: Bernd Uhlig/ Staatsoper Unter den Linden/ Berlin

„Und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten, wanderte ich abermals in ferne Gegend. Lieder sang ich nun lange lange Jahre. Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz.“ Franz Schubert in seiner Novelle ‚Mein Traum‘

Wer kennt ihn nicht, diesen meisterlichen 20-teiligen Zyklus des Franz Schubert nach Texten von Wilhelm Müller, in dem uns die tragischen Geschicke und hochschäumenden Gefühle eines jungen entlang eines Baches durch die Welt ziehenden Burschen in allen Facetten eines typisch romantischen Verständnisses vorgeführt werden? Er kommt zur Mühle, wird Geselle, verliebt sich in die Tochter des Meisters, die sich nach anfänglicher Koketterie wiederum zugunsten des sozial höhergestellten Jägers entscheidet. Verzweiflung, Todessehnsucht, Aus und Weiter.

Das Beziehungsgeflecht im Zyklus ist einfach und doch komplex. Da gibt es eine Rahmen-Erzählebene des ersten und des letzten Liedes und dazwischen die mit sich selbst geführten oder im Zwiegespräch mit dem Bach wirbelnden Selbstreflexionen über schicksalhaftes Liebesglück und Liebesleid. Wenn man das wenig erfolgreiche Liebesleben Schuberts und die besonderen Umstände der Entstehung betrachtet – Schubert schrieb den Zyklus im Krankenhaus während einer schmerz- und den Körper völlig vergiftenden Behandlung seiner Syphilisinfektion mit Quecksilber – so werden die extremen Emotionen des armen Müllerburschen verständlich, die von euphorischer Unbeschwertheit über behutsame Eintrübungen des „Mir gehört die Welt“ bis hin zu Rage, schwarzer Verzweiflung und Selbstauslöschungstrost reichen.

Wir sind gewohnt, „Die schöne Müllerin“ mit Klavierbegleitung in einem Konzert oder auf Platte von einem Bariton bzw. Tenor zu hören. Für die Staatsoper Unter den Linden haben Bassbariton Florian Boesch, Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan und die Musicbanda Franui in der musikalischen Bearbeitung von Andreas Schett und Markus Kraler versucht, den Liederreigen zu dramatisieren und für die Bühne zu adaptieren.

Viel gibt es nicht zu sehen. Vor offenem Vorhang sind auf der Bühne das Orchester, ein Fauteuil, ein Tisch mit Totenkopf und in der Mitte eine weiß eckige Säule angeordnet, in der die strohfarbige Puppe der Müllerin untergebracht ist. Für den Müllerbursche selbst hat Habjan einen armlosen Torso mit Kopf samt swarovskigläsern glänzenden Augen geschaffen. Weiße Gipshände gibt es extra.

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Florian Boesch/ Nikolaus Habjan. Foto:BerndUhlig/ Staatsoper Unter den Linden/ Berlin

In dieser kammertheatralischen Nüchternheit agiert Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan auf der Bühne als Spielmann, er pfeift und singt, assistiert in der großen Einmannshow rund um Florian Boesch als geschickter Ausdruckskünstler wie wir ihn kennen und Flüsterer der Natur. Denn Florian Boesch hat in dieser, vor allem musikalisch radikalen wie (positiv) verstörenden dramatischen Versuchsanordnung nicht nur die von Melodie und Text her unveränderte Müllerin gegen ein ziemlich großes und manchmal sehr lautes Orchester zu präsentieren, sondern ist zugleich die Puppenfigur zu Bewegung und Leben erweckender Akteur. Dem starren Müllerburschen kommt als alter Ego des sich in ihm Spiegelnden die Rolle zu, die äußeren Vorgänge und das innere Erleben unseres düsteren Helden pantomimisch aufzudröseln. Ein Körper erzählt von verworrenen Pfaden und messerritzender Sinnsuche. Das ist in vielen Details und sehr behutsam Freude und Trauer auslotenden Puppenkörperbewegungen eindringlich gelungen.

In „Des Baches Wiegenlied“ erleidet der Müllerbursche in der Berliner Bühnenversion nicht den Schubertschen Liebestod, sondern wird durch Kunst und Melodie hinreichend getröstet, sodass er seine Wanderschaft fortsetzen wird. Die Musik lässt diese Auslegung selbstverständlich zu, das E-Dur erzählt uns ja von einer nach inneren Kämpfen herzzerreißenden Ruhe und himmlischer Gelassenheit. Ob hier transzendiert wird (Interpretation als Selbstauflösung) oder nicht, macht keinen Unterschied in der Wirkung auf das Publikum.

Die Musicbanda Franui als das renommierte zehnköpfige österreichische Musikensemble aus dem Osttiroler Dorf Innervillgraten wartet mit einer besonders alpenkapellmeisterlichen wie albanbergisierten Fassung des Liedkosmos von Franz Schubert mit seinen so unendlich bewegenden Melodien auf. Blech (dominant Trompete und Tuba), Holz, Saiten- und Streicher sowie Perkussion (u.a. Hackbrett) liefern einander bisweilen einen erbitterten Wettstreit und die Deutungshoheit der Seelenlage des in dunkle Räsonnements abgedrifteten Burschen. Das fühlt sich extrem aufwühlend an.

Die Bandbreite an kompositorischen Assoziationen reicht laut Eigeneinschätzung der Musiker von Wozzeck bis Kurt Weill. Zu hören sind in Extremist-Schwingderassabum Zirkusgetröt und dissonante Kakophonie bis zart gewebte Klangschleier und ätherisch zart gezupfte Harfen. In erster Linie ist es die Instrumentierung, die das unverwechselbare Faszinosum der nunmehr seit 30 Jahren bestehenden Formation ausmacht. Aber natürlich auch, wie Andreas Schett und Markus Kraler mit dem zu arrangierenden musikalischen Material in Harmonie, Rhythmus und Tempo umgehen und dabei Verfremdungseffekte erzielen, die für jegliche Hörgewohnheit schmerzhaft die verborgeneren Schichten von scheints Altbekanntem offenlegen.  In die „Schöne Müllerin“ haben sie außer den Liedbearbeitungen noch eine Art Themenmedley und die Bearbeitung eines Schubert Walzers geschmuggelt. Die Banda fungiert wahrlich als funkensprühendes „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“.

Die Zusammenarbeit der „Franuisten“ mit Florian Boesch (und Nikolaus Habjan) sind legendär und Legion Ich möchte hier neben vielen Live-Auftritten und künftigen Plänen etwa die bei col legno erschienenen „Kreisler Lieder“ oder das Album „Alles wieder gut. Wir sehnen uns nach Hause und wissen nicht wohin“ erwähnen. Auch eine Schubert-Liederabend-CD für Musicbanda und einen verschwundenen Sänger haben sie im Köcher.

Im Epizentrum des Abends steht nicht das ihren Namen einer Almwiese in Innervillgraten verdankende Instrumentalensemble, sondern Florian Boesch. Mit einem in nuce und im Vergleich zu anderen Weltklasseinterpreten stimmlich herberen Ansatz vermag Herr Boesch in einer bewundernswerten Identifikation mit der poetischen Figur, einem traumhaften Legato und einer besonders kontrastreichen Dynamik Facetten der psychischen Verfassung des Müllerburschen und der Liedkunst des Wiener Meisters freizulegen, die sonst oftmals in allzu gepflegten und auf das rein Lyrische zielende Wiedergaben untergehen. Nicht der an sich schöne Ton zählt, sondern die schneidende Wahrhaftigkeit im Ausdruck. Wenn allerdings das hoch sitzende Kammerensemble ins Fortissimo aufdreht und die Blechbläser toben, droht selbst der voluminöse Bariton von Florian Boesch sich in den Phonorgien der Instrumente zu verlieren. Vielleicht ist das ja beabsichtigt, und wenn nicht, vielleicht kann hier um einer besseren Balance mit dem Sänger willen nachjustiert werden.

Das Publikum bejubelte offenbar kenntnisreich den anspruchsvollen und das herkömmliche Schubert-Verständnis herausfordernden Abend.

Tipp: Die beeindruckende und aufrüttelnde Bearbeitung von „Die schöne Müllerin“ wird an der Staatsoper Unter den Linden noch am 28. und 29. Mai, am 31.5. in der Elbphilharmonie im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg und am 3. August anlässlich der Bregenzer Festspiele 2023 gezeigt werden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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