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BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: DER ROSENKAVALIER; dritte Aufführung der Serie

Die Staatskapelle Berlin und Günther Groissböck als die herausragenden Stars eines optisch in kunsthistorischem Kitsch badenden pseudowienerischen Welttheaters

16.02.2020 | Oper

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Foto: Ruth Walz

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: DER ROSENKAVALIER; dritte Aufführung der Serie, 16.2.

 

Die Staatskapelle Berlin und Günther Groissböck als die herausragenden Stars eines optisch in kunsthistorischem Kitsch badenden pseudowienerischen Welttheaters

 

André Heller hat, gemessen an seinen eigenen Worten, ein veritables Glück. Als solches sieht er nämlich ein Scheitern auf hohem oder zumindest gutem Niveau. Der neue Rosenkavalier Unter den Linden mit dem Leading Team André Heller, Wolfgang Schilly (Regie), Xenia Hauser, Nanna Neudeck (Bühnenbild) und Arthur Arbesser, Inka Allmayer Arbesser (Kostüme) machen aus der großen Parabel um Vergänglichkeit und das Schmetterlinghafte der Liebe eine Unterrichtsstunde in Kunstgeschichte. Nicht Rokoko steht auf dem Lehrplan, sondern eine Lektion des in goldener Geometrie und ostasiatischer Folklore so kühlen Wiener Jugendstils. Das geht so weit, dass Gustav Klimt und seine Geliebte Emilie Flöge im zweiten Akt bei der Rosenüberreichung mit dabei sind und kurz bevor es soweit ist, nach vorne an die Rampe treten und Sophie begrüßen. Was für ein protokollarischer Fauxpas. Nicht doch, hängt doch das Beethovenfries jetzt im Salon des Bagatelladeligen Faninal. 

 

Viele hübsche Tableaus sind zu bestaunen und bunte Kostüme, die einer Ausstellung zum Thema Sezession entsprungen sein können. Aber macht es wirklich Sinn, wenn der Tierhändler im ersten Akt auftritt wie ein thailändischer Pagodentänzer oder die Leitmetzerin in einer Art Zirkuskostüm mit hohem schwarzen Lackzylinder die Honneurs macht? Weiteres Beispiel gefällig? Der dritte Akt spielt nicht in einem anrüchigen wienerischen Vorstadtbeisl, sondern in einem Palmenhaus, wo zur Jahrhundertwende Adel und Großbürgertum opulente orientalische Kostümfeste gefeiert haben. Natürlich dürfen da auch Utensilien aus Marokko nicht fehlen. Der Ochs von Lerchenau ist aber ein finanziell ganz und gar abgebrannter Landjunker und schmieriger Don Giovanni, ein “Weiberer, eine Mischung aus Casanova, Falstaff, und Frauenflüsterer”, der mit einer vermeintlichen Dienstbotin eine schnelle Nummer schieben will. Warum sollte so einer die Mühe auf sich nehmen, einen derartigen Aufwand für das rasche, morgen schon wieder vergessene Abenteuer zu treiben? Das mordsmäßig große Bett steht nämlich nebenan schon bereit. 

 

Es gibt auch handwerkliche Fehler, wie etwa, dass beim “Abtreten die Leut’ der Marschallin im ersten Akt alle außer den Dienstboten schon draußen sind. Oder dass der Text im dritten Akt einmal auf Palmhäusl geändert wurde, kurz danach es wieder Beisl heißen darf.

 

Die Stärke der Aufführung liegt in dem trotz emotionaler Distanzen gut herausgearbeiteten Beziehungsreigen zwischen den vier Protagonisten Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, Baron Ochs von Lerchenau, Octavian und Sophie. Wunderbar plastisch wird dieses qui pro quo etwa im Schlussterzett, wo alle drei sich im Kreis bewegen, die anderen und sich selber belauern und so alles für die Zukunft offen lassen. Das große Atout ist schließlich die in dieser Regiearbeit immens lebensechte Figur des Ochs: Der darf sogar die sonst gestrichene großartige “Mägde-Erzählung” im erste Akt singen, ein literarisch-musikalisches Juwel ähnlich wie die Registerarie des Leporello. Diese Entscheidung wiederum verschiebt auch dramaturgisch den Schwerpunkt hin zum Ochs. So wird auch verständlich, dass es unter den Erfindern der Oper Harry Graf Kessler, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ausgedehnte Diskussionen über den Titel der Oper gab. Ursprünglich wollte Strauss die Oper “Der Ochs von Lerchenau und die silberne Rose” nennen. Kessler war für “Die galanten Abenteuer des Barons von Lerchenau.” 


Foto: Ruth Walz

 

Womit wir zur Besetzung kommen. Wenn ein Theater über Günther Groissböck als wienerische Variante des Molièreschen Monsieur de Pourceaugnac verfügt, dann steht fest, wer hier abledert. Günther Groissböck steht in bester Tradition großer “Ochsen” wie Manfred Jungwirth, Karl Ridderbusch oder Kurt Moll. Sein Bassbariton, der auch in jeder Extremlage noch satt klingt und frei ausschwingt, ist ein wahres Wunder an großen Tönen, feinen Zwischentönen, viriler Kraftmeierei und verführerischer Eleganz. Er ist der einzige der Aufführung, der sprachlich alle Nuancen mitbringt, die für den herrlich kunstvoll gedrechselten Dialekt aus der Feder Hofmannsthals nötig sind. Darüber hinaus reißt Günther Groissböck das Publikum auch mit seiner unbedingten Spielfreude und starken Bühnenpräsenz mit. Wie er einen brutal-wehleidigen von der eigenen Potenz besoffenen Macho mimt, ist zudem schauspielerisch bravourös. 

 

Das von ihm begehrte Mariandl, alias Octavian, liegt bei Michèle Losier in sehr guten Händen. Die gertenschlanke, androgyn wirkende Kanadierin ist ebenso eine Akteurin von Gnaden. Ihr in der Höhe ungemein schön aufblühender Mezzo gibt den so hinreißend emotionalen, hormongesteuerten Ausbrüchen genau die Authentizität, die eine Figur aus Fleisch und Blut glaubhaft machen. Die Stimme müsste allerdings in der Mittellage geschmeidiger und sämiger klingen, dann wäre auch sie in einer Reihe mit großen Vorgängerinnen zu nennen. Losier sind ganz wunderbare Momente des Abends zu verdanken, sogar als Mariandl wirkt sie natürlich und charmant. Der mutige junge Herr aus gutem Haus wurde von der Personenregie offenbar mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Und das mit Gewinn.

 

Zu Beginn der Oper darf der noch ungelenke Octavian ja mit der Marschallin die morgendlichen Nachwehen einer Liebesnacht durchleben. Camilla Nylund singt die Partie der sich final im Verzicht übenden Frau hinreißend schön. Vielleicht könnten die Höhen noch etwas freier und räumlicher rüberkommen. Sie sieht auch ebenso fantastisch aus. Allerdings liegt über der Figur zumindest im ersten Akt ein Schleier des Kühlen, Sachlichen, ja beinahe Kalkulierten. Das ergibt eine seltsame Distanz zu Octavian, auch die beiden Monologe wirken trotz aller vokalen Pracht wie ferngesteuert. Im dritten Akt zieht sie stolz und mit Autorität die Fäden. Der Hallodri Octavian wird vermutlich nicht mehr zurückkommen. Dafür ist in der Heller-Inszenierung Mohammed ein erwachsener fescher Mann, der mit Hingabe am Taschentuch schnuppert. Vielleicht ist ja er der nächste Lover der Marschallin?

 

Nadine Sierra gibt eine selbstbewusste Sophie, eine junge Frau, die ihren Wert kennt, sich nicht darunter hergibt und weiß was sie will. Leider dürfte Octavian nicht der Richtige für sie sein, so schön und innig auch das Liebesduett am Ende der Oper Zweisamkeit suggeriert. Ihr präzise und intonationssicher geführte lyrische Sopran klingt in manchen Höhen eng und spitz, ist aber insgesamt mit der individuellen Färbung und der Akkuratesse im Ausdruck ein Gewinn für die Aufführung. Das kann von Roman Trekel als Herr von Faninal nicht behauptet werden. Allzu brüchig und nur noch wenig tragfähig ist sein Bariton. Im grässlichen Goldlook ist der neureiche Waffenschieber und Parvenü von der Wieden auch ein Opfer des Kostümbildners.

 

Uneingeschränkte Freuden bereiten der höhensichere Sänger des Atalla Ayan, der als Typ hervorragende Wirt des Andrés Moreno Garcia (wahrscheinlich hätte sogar Karl Terkal die Interpretation als gelungen goutiert), die wendige Annina der Katharina Kammerloher und der junge fesche Haushofmeister bei Faninal mit seinem frischen Bariton Linard Vrielink. 

 

Leider ist über die übrigen kleineren Partien nicht viel Erfreuliches zu berichten. Eine allzu schrille Anna Samuil als Jungfer Marianne Leitmetzerin, der stimmlich völlig überforderte Polizeikommissar Erik Rosenius (in Wien hat das u.a. Peter Wimberger zu der Zeit gesungen, wo er noch als Wotan in der Walküre auftrat) und als vokale Tiefpunkte der Tierhändler des Motoki Kinoshita und der Valzacchi des Karl-Michael Ebner. Die drei adeligen Waisen Olga Vilenskaia, Anna Woldt und Verena Allertz hingegen machen ihre Sache gut. 

 

Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Zubin Mehta verströmt Strauss’sches Silber im Übermaß. Im Orchestergraben wenigstens kommt das pralle Wiener Welttheater zu seinem vollen Recht. Das tuscht und kracht wie im wirklichen Beisl, wienert und walzert salonhaft, rührt in aller wunderbar ausgekosteten Sentimentalität zu Tränen. Auch wenn Mehta die Tempi eher breit fließen lässt, stimmt die Atmosphäre, zaubert das Orchester aus der Partitur alles irisierend Sinnliche und bodenständig Derbe. Am Schluss Jubel, Glanz und Gloria.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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