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BERLIN/ Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE – Der dritte Akt reißt alles raus. Premiere

12.02.2018 | Oper

Berlin/ Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE, Premiere. Der dritte Akt reißt alles raus. 11.02.2018

Mal wieder „Tristan und Isolde“ – wie wird diesmal Richard Wagners Opus magnum dargeboten? Für diese erste echte Premiere in der wiedereröffneten Staatsoper Unter den Linden wurde erneut der Russe Dmitri Tcherniakov (48) engagiert, einer der angesagten Regisseure der mittleren Generation.

Wie der ebenfalls von ihm inszenierte und weiterhin auf dem Spielplan stehende „Parsifal“ erkennen lässt, hat Tcherniakov ein durchaus distanziertes Verhältnis zur Dichtung des Komponisten und schaut, was sich hinter den Mythen und Wagners oft wallendem Wortschwall verbirgt. Auf der von ihm ebenfalls gestalteten Bühne wird Tristan zum Business Mann. Fast.

Andreas Schager, Tristan, Ensemble, Foto Monika Rittershaus
Andreas Schager und Ensemble. Copyright: Monika Rittershaus

Schon während des fabelhaften Vorspiels, das Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin wunderbar entwickelt und langsam anschwellen lässt, schaut das Publikum – hoffentlich nicht zu sehr abgelenkt – in den Salon einer Luxusyacht. Männer auf Bürosesseln sitzen plaudernd bei Wein und Champagner um einen großen ovalen Tisch. Einer diskutiert mit erhobenen Händen. Das ist Tristan (Andreas Schager), der auf dem Schiff als Brautbringer das Sagen hat.

Abgeschirmt von den anderen befinden sich Isolde (Anja Kampe) und ihre Dienerin Brangäne (Ekaterina Gubanova) in einem eigenen Raum. Auf einem Video (Tieni Burkhalter) das ein Fenster imitiert, ist Tristan draußen auf dem Schiff zu sehen. Isolde ist unglücklich, Brangäne will sie trösten, erfährt erst jetzt von Isoldes Liebe zu Tristan. Beide Frauen singen das eindrucksvoll und tonschön. In diesen Szenen ist Ekaterina Gubanova (Mezzo) eine ebenbürtige Partnerin von Anja Kampe bei ihrem Rollendebüt als Isolde,

Bekanntlich will sie Tristan, den sie trotz der Tötung ihres Bräutigams einst gesund gepflegt und sich dabei in ihn verliebt hat, unbedingt sehen. Dieses Video, auf dem sie als junge Frau dem ebenfalls jungen Tristan einen Genesungstrunk einflößt, wird mehrmals an entscheidenden Stellen gezeigt. Jetzt aber soll es – nach so langen Jahren – ein (vergifteter) Sühne- gleich Todestrank für beide sein.

Als Tristan endlich kommt, wirkt er jedoch sehr geschäftlich. Schager gibt ihn ganz kühl, von im Herzen versteckter Liebe keine Spur. Der hat beim Karrieremachen die ferne Isolde völlig vergessen. Das Wiedersehen ist ihm lästig, doch der von Brangäne gemixte Liebestrank wirkt Wunder. Aber hier nicht so ganz. Lachend wälzen sich beide schließlich auf dem Boden, doch von Umarmungen keine Spur.

So seltsam reduziert bzw. umgedeutet geht es weiter. Laut Wagner wartet Isolde – nun in der neuen Heimat angekommen – nachts im Garten sehnlichst auf den Geliebten. Hier bleibt sie irisch-grün gewandet (Kostüme: Elena Zaytseva) im Schlosszimmer von König Marke. Der Geliebte erscheint schließlich, doch noch immer fallen sich beide nicht glücklich in die Arme. Er bringt Champagner und Häppchen, als ginge es um ein Plauderstündchen. Nichts da von fiebrigem Verlangen. Das Ekstasy hat bei ihm die Wirkung schon eingebüßt.

Beide sitzen nun ständig auf Sesseln, er springt zwar mal freudig auf, löst die Krawatte, aber sonst nichts. Eher wechselt er von einem Fauteuil zum anderen, um Isolde auszuweichen. Als sie sich dann doch gegenübersitzen – sie kerzengerade – will er ihr Haar streicheln, doch er traut sich nicht. Seine Hände bleiben 1 – 2 Zentimeter über ihrem Kopf.

Andreas Schager, Tristan, Anja Kampe, Isolde, Foto Monika Rittershaus
Andreas Schager als Tristan, Anja Kampe als Isolde, auf Sesseln sitzend, Foto Monika Rittershaus

Hat dieser Mann eine Blockade, will er „nur“ seinem Boss die Treue halten, oder fürchtet er generell die unkalkulierbaren Folgen einer unerlaubten Liebesbeziehung? Schön und voller Begeisterung singen beide ihr Verlangen heraus, triumphieren auch über die Staatskapelle, wenn Barenboim sie mal zu dramatisch auflodern lässt. Doch der gesungene Liebesjubel steht im Gegensatz zu dem vom Regisseur erwünschten Verhalten.

Kommt es überhaupt zum Sex auf Sesseln? O nein! Oder wenn doch, dann verdeckt durch die Videos, die sich in den entscheidenden Momenten vor’s Geschehen schieben. Das Publikum mag sich selber ausmalen, ob etwas oder gar nichts hinter den Videos geschieht.

Was Tcherniakov, vermutlich ein Skeptiker, die beiden hier spielen lässt, ist also himmelweit von Wagners Libretto und dem wollüstigen Liebeswahn entfernt. Hatte der Regisseur vielleicht die (angeblich) platonische Beziehung von Wagner zu Mathilde Wesendonck, die sich in dieser Oper widerspiegelt, im Hinterkopf?

Danach wäre dieser Tristan wirklich unschuldig (!) und stürzt sich nur vor lauter Scham und Hoffnungslosigkeit bei der Entdeckung des Rendezvous in das Schwert des Ex-Freundes Melot (Stephan Rügamer). Berührend, wie der groß gewachsene Bass Stephen Milling als hintergangener König Marke seine Enttäuschung erklingen lässt. Vor dem letzten Akt muss er sich ansagen lassen, hält aber tapfer durch.

Per saldo reißt dieser dritte Akt in seiner Dramatik alles raus. Jetzt, im Fieberwahn, kochen bei dem schwer verwundeten Tristan die – vielleicht verdrängten – Gefühle hoch. Er springt aus dem Bett und randaliert. Nun brechen sich die Sehnsucht nach Isolde und sein Liebesverlangen ungehemmt Bahn.

Andreas Schager mit seinem weiterhin kraftstrotzenden, doch gut kontrollierten Heldentenor kann hier glänzen und überzeugt auch als Schauspieler. Seine Verzweiflung ist mit den Händen zu greifen. Der junge Bariton Boaz Daniel, der ihn treu gepflegt hat, macht dabei ebenfalls eine gute Figur.

Das traurige Hirtenlied wird hier – eine interessante Idee – auf der Bühne von Florian Hanspach-Torkildsen, Mitglied der Staatskapelle, auf einem zweiten Bett sitzend auf dem Englischhorn gefühlvoll gespielt. Eingefügt ist eine stumme Szene mit Tristans Eltern, dem vor seiner Geburt verstorbenen Vater und seiner hochschwangeren Mutter, verschieden nach seiner Geburt (Mike Hoffmann und Kristin Becker).

Tristans ganze Hoffnung klammert sich an Isolde, die zu ihm übers Meer segelt. Doch schon vor ihrem Eintreffen reißt er sich hier in Ekstase den Verband von der Wunde, bricht auch nicht in ihren Armen zusammen. Als sie ins Zimmer kommt, ist er bereits tot.

Sie, auch nicht mehr bei Sinnen, singt mit „mild und leise wie er lächelt“ den schon vorher toten Geliebten an. Aus dem Schrank nimmt sie das Giftfläschchen, das ihr Brangäne eigentlich hätte geben sollen. So schließt sich der Kreis.

Der König mit seinem Hofstaat, der die beiden – nun um den einstigen Liebestrank wissend –eigentlich vermählen wollte, kommt zu spät.  – In den übrigen Rollen Linard Vrielink als Hirte und Seemannsstimme sowie Adam Kutny als Steuermann. Einstudierung Chor: Raymond Hughes. – Musikalisch ist das alles große Klasse! Und über die Inszenierung, obwohl sie nicht ganz logisch ist, lässt sich immerhin nachdenken.

Zum Schluss bald verhallende Buhs für das Regieteam und ein ungewöhnlich langer Applaus mit Ovationen für Andreas Schager, Anja Kampe sowie für Barenboim mit der Staatskapelle.

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen am 15., 18. und  25. Februar sowie am 3., 11. und 18. März

 

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