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BERLIN/ Staatsoper/ Staatsballett: ROMEO UND JULIA

Zweite Aufführung in "Traumpaar-Besetzung"

06.05.2018 | Ballett/Tanz


Polina Semionova als Julia und Ivan Zaytsev als Romeo. Copyright Fernando Marcos.

Berlin/ Staatsballett : „ROMEO UND JULIA“, in der Staatsoper, zweite Aufführung am 05.05.2018

Serge Prokofieffs eindrucksvolle Musik rauscht auf, und alsbald wirbeln die Tänzerinnen und Tänzer vom Staatsballett Berlin über die Staatsopernbühne. Großartig unterstützt von der Staatskapelle Berlin unter der straffen Leitung des erfahrenen Ballettdirigenten Paul Connelly, entwickelt sich eine perfekt zur Musik passende, tempo- und nuancenreiche Version von „Romeo und Julia“. Genau so hat es der Intendant und Choreograph Nacho Duato in seiner letzten abendfüllenden Inszenierung vor seinem vorzeitigen Abgang gewollt und kann es dank herausragender Gastsolisten und des spritzig tanzenden Ensembles auch verwirklichen.

Eine echte Premiere war das am 29. April 2018 allerdings nicht. Mal wieder hat Duato Älteres aufgewärmt. Seine erste Variantemit 30 Tänzerinnen und Tänzern für die Compañía Nacional de Danza brachte er 1998 in Madrid auf die Bühne, die nächste mit 60 Mitwirkenden 2012  im Mikhailovsky Theater in St. Petersburg, wo er damals Ballettchef war. Dort tanzten Ivan Zaytsev, Erster Solotänzer der dortigen Compagnie, und Gastsolistin Polina Semionova erstmals in dieser Produktion.

Nun sind die beiden in der Lindenoper als Shakespeares Liebespaar zu erleben und gestalten das – vor allem Berlins Ex-Star Polina – großartig. Auch das Staatsballett Berlin hat unter Duatos Leitung das Tanzen nicht verlernt und wirft sich – die Damen in zumeist farbenfrohen Gewändern (Kostüme: Angelina Atlagic) – mit Schwung, Charme und Dramatik in die jeweiligen Rollen, so als sei die hiesige Neuproduktion des beliebten Handlungsballetts ein Vermächtnis für die kommenden Jahre.

Fehlanzeige. Alles wird anders und hoffentlich ereignisreicher und zukunftsweisender. Unter der neuen Doppelspitze, bestehend aus Johannes Öhman – der als Anwalt fürs Klassische ab der Spielzeit 2018/19 sogleich das Ruder übernimmt – und Sasha Waltz – die als Könnerin der Moderne 2019 hinzukommt – wird alles, was Nacho Duato in seiner Amtszeit geboten hat, entsorgt. Daher gibt es nur sieben Vorstellungen von Duatos „Romeo und Julia“.   

Auch die „Quasi-Premiere“ am 24. Mai mit wiederum drei recycelten Stücken wird nicht überleben. Nach dieser nicht unverdienten Ausmusterung der Duato-Stücke soll „Romeo und Julia“ in der Fassung von Patrice Bart später auferstehen und das Staatsballett Berlin insgesamt zum einstigen Renommee zurückgeführt werden.  

Die Damen und Herren auf der Bühne haben die Protestphase gegen die dringend erforderliche  Neuorientierung offenbar überwunden und widmen sich mit Verve dem Tanzen. Dabei lenken sie die Blicke auf sich und ab von der Bühne, einem unschönen, dunkelbraun getäfelten Kasten (erdacht von Jaffar Chalabi nach Carles Puyol und Pau Renda). Dank der stets weiß gekleideten Polina Semionova, die Tanz im Weltklasseformat und Schauspielkunst aufs Beste vereint, wird es – nach viel Zwischenbeifall – ein schließlich zu Recht bejubelter Abend.

Zuerst gibt sie das schelmische junge Mädchen, dem eher der Sinn nach Schabernack als nach einer Frühheirat steht. Sie tollt umher und tanzt herrlich übermütig. Gerne sehe ich als ihre Amme Beatrice Knop wieder, die sich vor einigen Monaten verabschiedet hatte. Sie versucht die Kindliche vor den Attacken des energischen, später brutalen Vaters Lord Capulet (Alexej Orlenco!) zu schützen, der seine Tochter unbedingt mit dem reichen Paris (Olaf Kollmannsperger) verheiraten will. Die Mutter (Aurora Dickie) kann dagegen kaum etwas tun.

Kollmannsperger ist ein sympathischer Bewerber, tanzt auch sehr gut mit Polina zusammen. Doch gegen Romeo aus der verfeindete Familie Montague hat er keine Chancen. Auf einem Fest überreicht der, maskiert und als Harlekin verkleidet, Julia eine Rose, und nun gibt es für die Gefühle der beiden kein Halten mehr. Immer wieder tanzen sie kurzzeitig miteinander, werden aber von den anderen ständig auseinander gerissen. Mit Heugabeln und Schwertern gehen die verfeindeten Familien schließlich gegeneinander vor.

Polina gibt die Julia anfangs als Schüchterne, die dem nächtlich herbei geschlichenen Romeo zunächst nur die Hand und dann den Arm durch die Tür entgegenstreckt. Der erste Pas de deux wird dann zum wahren Wunder. Ivan Zaytsev schwingt Polina Semionova um sich herum, in Schräglage gleitet sie kopfüber an ihm hinab, ein körpernahes, risiko- und temporeiches Auf und Ab in allen Nuancen. Die Gesetze der Schwerkraft scheinen zumindest bei Polina mitunter aufgehoben, doch beider Darbietung wird nicht zum Sportevent. Starkes Begehren und absolute Hingabe werden hier atemberaubend verwirklicht.  

Ihr Glück gönnt ihnen keineswegs jeder, neben dem Verlobten ist es Tybalt, Julias Cousin, der meint, für die Familienehre sorgen zu müssen. Sein zunächst eher lustiger Gegenspieler ist Mercutio, Romeos Freund. Wie die beiden – Federico Spallitta und Arshak Ghalumyan –diesen Zweikampf voller Energie und mit kräftigen Sprüngen tanzen, ist ebenfalls höchst bemerkenswert. Mercutio, der Leichtsinnige, wird tödlich getroffen. Schwankend und absichtlich stolpernd tanzt ihn Ghalumyan in den Tod.  


Polina Semionova als Julia und Ivan Zaytsev als Romeo. Copyright Fernando Marcos.

Romeo (Ivan Zaytsev) übt Rache und ersticht nach gut geübtem, mittelalterlichem Schwerterduell den Mörder seines Freundes und wird vom Hofe verbannt. Sein letzter Weg noch in Freiheit führt ihn zu Julia. Erschöpft liegt er im Doppelbett der heimlich Verheirateten, sie sitzt davor und reicht ihm dann traurig das Hemd. Er muss flüchten.

Zurück bleibt eine Verzweifelte, die nur zum Schein Ja zur Ehe mit Paris sagt. Wie Polina nun all’ ihre Ausweglosigkeit mit wirrem Haar und wie dem Wahnsinn nahe heraustanzt, bevor sie das Gift trinkt, ist ein weiterer Höhepunkt, der das Publikum spürbar in seinen Bann zieht. Da könnte man eine Stecknadel fallen hören.

Nach dem Schwenken diverser durchsichtiger Tücher, die anfangs die Liebenden schützen und in schwarz über die Toten gebreitet werden, kommt das bekannte Ende. Tiefschwarz sind  die Fahnen bei der Beerdigung der nur scheintoten Julia. Romeo, der nach dieser Zeremonie Julias Gruft aufsucht, ersticht dort den trauernden Paris, der ebenfalls Julia geliebt hat, und gibt sich dann selbst den Tod.

Die Erwachte, die sich tanzend dahinrasend nicht traut, sich nun selbst zu morden, drückt dem sterbenden Romeo den Dolch aufrecht in die Hand, wirft sich auf ihn und stirbt auf diese Weise. Stille im Saal, Vorhang und danach Beifall und Bravi.

Aus dem Strauß, den die intensiv gefeierte Polina erhält, pflückt sie eine rote Rose und überreicht sie ihrem Gast-Lover Ivan Zaytsev. Eine schöne Geste, vielleicht spontan, vielleicht geplant, auf jeden Fall aber die Erinnerung an den Beginn einer großen, am Hass der Familien gescheiterten Liebe.  

Weitere Termine, zumeist ausverkauft, am 13. Mai, nochmals mit dem „Traumpaar“, ab dem 26. Mai 2018 sowie am 12., 20. und 23. Juni mit den Ersten Solisten/innen des Staatsballetts Berlin.  

Ursula Wiegand

 

 

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