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BERLIN/ Staatsoper: SIMON BOCCANEGRA – Wiederaufnahme; Musikalisches Fest, szenische Düsternis

03.04.2025 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: SIMON BOCCANEGRA; 2.4.2025

Musikalisches Fest, szenische Düsternis

bos
Foto: Jenny Bohse

Die gesamte Wiederaufnahme war auf Ludovic Tézier in der Titelrolle zugeschnitten, sogar professionelle Presse-Fotos wurden von der Neubesetzung dieser Produktion aus dem Jahr 2009 (mit Domingos Debüt als Bariton, einer statisch bildhaften Regie von Federico Tiezzi und brutalistisch klobigen, die Bühne nach hinten stark einengenden Bühnenbildern von Maurizio Baló; Stichwort: Anthrazitorgie in Styroporstein) angefertigt.

Doch Tézier erkrankte alsbald und der Simon der 20. Vorstellung in der Reste-„Inszenierung“ war am gestrigen Mittwoch mit dem wunderbaren George Petean besetzt, der ab dem 15. Mai an der Seite von Anna Netrebko und Yusif Euyvazov  in Verdis „Il Trovatore“ den Conte di Luna singen wird. 

George Petean mag nicht die herb-viril, dunkle Riesenbaritonstimme eines Tézier haben, aber was pure balsamische Stimmschönheit, dynamisches Differenzierungsvermögen und berührende Seelentöne anlangt, so ist Petean derzeit der von mir persönlich favorisierte Verdi-Bariton. Gerade in der durch den Tod seiner Geliebten Maria privat so gebrochenen wie politisch tragischen Figur des einstigen Korsars und jetzigen Dogen Simon Boccanegra stehen Petean unendlich viele Zwischentöne zur Verfügung, vermag er die Figur aus jeglichem starren szenischen Korsett zu lösen und ein erinnerungsüberlagertes, charaktervolles Porträt einer milden Vater- und weisen politischen Figur zu modellieren. Die Widererkennungsszene mit seiner als Waise aufgewachsenen Tochter und das gigantische Ratsbild werden zu großen Momenten der Oper von heute.

Großen Anteil am vokalen Glanz des Abends hatte Elena Stikhina in der Rolle der Maria Boccanegra, alias Amelia Grimaldi. Schon in der lyrischen Auftrittsarie ‚Come in quest’ora bruna‘ weiß Stikhina als einsame Lichtgestalt des Stücks alle poetische Verzückung, die Engelhaftigkeit dieser sanft liebevollen Frau, mit rotgold-schimmernden Sopran eindrücklich zu gestalten. Ihr kostbar timbrierter Spinto hat an Substanz, Farben und Ausdrucksbandbreite zulegen können. Auch darstellerisch vermag Stikhina neben ihrem Großvater, dem Jacopo Fiesco des Marco Mimica, großartig zu überzeugen. In sanft gleitenden Bewegungen und beherzter Gestik gelingt ihr der Spagat im Umgang zwischen den echten (Gabriele Adormo) und nur macht- und geldpolitisch motivierten (Palo Albiani) Avancen der Hochzeitsanwärter, stets würdevoll, einfühlsam um Kompromiss und Ausgleich bemüht.

Der in Berlin nicht grundlos allseits beliebte kroatische Bassbariton Marco Mimica als nicht nur seine Tochter betrauernder, auch politisch kalt gestellter Patrizier Jacopo Fiesco wartet mit einem subtil-pastelltönender als gewöhnlich anlegten Rollenporträt auf. Hoheit, Haltung und Eleganz, dazu pastose, frei fließende Basswonnen verströmt dieser Ausnahmesänger schon ab dem Prolog „‘A te l’estremo addio … Il lacerato spirito‘ in Hülle und Fülle.

Sein politscher Widersacher, der populistische Intrigant, Adelshasser und Verleumder Paolo Albiani findet im mexikanischen Bariton Alfredo Daza den gehörig brutalen, grobkörnig bassmächtig auftrumpfenden Schuft, einen Jago ohne psychologische Tiefe, ein Grobmaul der Sonderklasse.

Und last but not least ist Fabio Sartori, Stentortenor auf Otello-Niveau, diesmal in seiner berühmt bewegten  Arie  ‚O inferno! … Sento avvampar nell’anima … Cielo pietoso, rendila‘ neben den bekannt stählernen Höhen sogar zu feinen Piani befähigt. Was für eine imponierende Stimme!

Jede Aufführung von Verdis „Simon Boccanegra“ ist ein Glück für Opernbesucher, wenn außer fünf tollen Stimmen noch ein Spitzenorchester und eine musikalische Leitung am Werk sind, die aus der Partitur die Dimensionen der „dunklen Nacht, der Seelen, der Schatten und des Mysteriums“ (Federico Tiezzi im blitzgescheiten Aufsatz „Simon Boccanegra zwischen Geschichte und Natur, Elemente für eine Regie“, der sich leider nur szenisch nicht übersetzt“) zum Ausdruck bringen können.

Mit der fabelhaften Eun Sun Kim, südkoreanische Chefdirigentin und Musikdirektorin der San Francisco Opera, war diese Wunderperson gefunden. Was zuerst vielleicht ein wenig zu impressionistisch-geschmeidig und oszillierend dahingepinselt erschien, erwies sich im weiteren Verlauf des Stücks als eine wohl durchdachte Spannungsdramaturgie, die auf die satten Verdi-Kontraste zwischen elegisch tränendem Legato, Feinzeichnung im Holz und den Streichern und dramatisch aufgepeitschten Höhepunkten setzte.

Die Staatskapelle Berlin und der Staatsopernchor hatten einen jener gnadenreichen Abende, die Partitur wie Chiaroscuro-Gemälde von Caravaggio oder anderen Renaissancemeistern in dunkelrotem Klangbrokat aus sich heraus zum Leuchten bringen zu können.

Fazit: Ein gepflegter Repertoireabend mit Klasse, ein Fest der Stimmen ohne Schwachpunkte!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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