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BERLIN/ Staatsoper: SAMSON ET DALILA. Premiere

Großartige Gesangsleistungen, verkorkste Inszenierung

25.11.2019 | Oper


Brandon Jovanovich, Elīna Garanča. Foto: Matthias Baus

Berlin/ Staatsoper: „SAMSON ET DALILA“. Premiere 24.11.2019 – großartige Gesangsleistungen, verkorkste Inszenierung

 Camille Saint-Saëns’ „SAMSON ET DALILA“ bringt nun die Staatsoper als Premiere, doch irgendwie bin ich wohl im falschen Film gelandet, ein Gefühl, das offenbar auch viele andere Besucherinnen und Besucher ergreift, wie sich im Verlauf und am Schluss der Aufführung herausstellt.

Da läuft erst einmal ein schnüffelnder Schäferhund über die graudunkle Bühne, danach tut sich eine Felsenlandschaft auf (Bühnenbild: Étienne Pluss). Klagende Menschenmassen in Sandalen und wüstenfarbenen Gewändern (Kostüme: Gesine Völlm) fluten die dann erhellte Bühne.

Das sind die von den Philistern versklavten Hebräer, eine Geschichte aus dem Alten Testament. Ihr Schicksal beweinen sie – der Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright – tonschön und klangvoll. Ein verhungertes Mädchen wird mit filmreifem Ritus beerdigt. Hunde und Kinder ziehen ja immer.

Camille Saint-Saëns hat sich für den ersten Akt eingängige Melodien einfallen lassen, doch gleich anfangs grummeln auch tiefdunkle Töne. Achtung – Gefahr ist im Verzug. Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim und der Chor finden schnell zueinander, und tragen dann deutlich zum musikalischen Erfolg dieses Abends bei. Barenboim liebt, wie seine Programmauswahl in letzter Zeit beweist, Saint-Saëns’ Musik. 

Auch ist aus dem Programmheft zu erfahren, dass ihm und dem Intendanten Matthias Schulz der Film „Wild Tales“ des Argentiniers Damián Szifron, der in dessen Heimatland ein Riesenerfolg wurde, sehr gefallen hat. Daher haben sie ihn, den auch erfolgreichen Serien-Produzenten, eingeladen, erstmals eine Oper zu inszenieren, also „Samson und Dalila“, die er nach eigenem Bekunden kaum kannte.

Was er abliefert, ist eine bildgewaltige krude Mischung aus Sandalen-, Kinder-, Liebes- und Horrorfilm. Eine zumindest fragwürdige Leistung, die etwa der Hälfte des Publikums, wie der Buhsturm zum Schluss beweist, nicht zusagt.   


Brandon Jovanovich (Samson) und Kwangchul Youn (Abimelech). Foto: Matthias Baus

Aber zunächst Samson – der US-amerikanische Tenor Brandon Jovanovich in seinem Haus- und Rollendebüt – mit strähnigem Langhaar in diese Wüstengegend und zieht ein erlegtes Wild recht mühsam hinter sich her, um sein hungerndes Volk zu speisen. Mit kraftvoller Stimme fordert er die sündigen Hebräer auf, Buße zu tun und zu ihrem Glauben zurückzukehren. Gott würde ihnen dann neue Kraft gegen die Unterdrücker verleihen.  

Ein passender Appell, denn sogleich stürmen die Philister herbei, Männer mit nacktem Oberkörper in sonderbaren Rüstungen und Helmen wie im Action-Kinderfilm. Das wäre zum Kaputtlachen, würde nicht Kwangchul Youn hoch zu Ross als der Gesandte Abimélech mit profundem Bass diese Partie selbst in solcher Aufmachung beglaubigen. Er fordert die Hebräer auf, nun den Gott Dagon anzubeten, worauf es zum Kampf kommt, Samson ihn tötet und die Philister fliehen.

Ein weiterer Garant für beste gesangliche Leistungen ist Michael Volle, hier als finster blickender Oberpriester des Dagon. Mit eindrucksvoller Power strömt sein Bariton durch den Saal, und dass er gut spielt, ist bei ihm selbstverständlich.

Den rd. dreistündigen Abend trägt jedoch die schöne Elīna Garanča, die endlich wieder in Berlin eine Opernrolle singt, und diese ist ihr offenkundig auf den schlanken Leib geschneidert.

Strahlende Höhen verbinden sich bei ihrem Mezzo mit einer neuen gutturalen Tiefe. Jede Passage färbt sie anders ein und lässt stimmlich und darstellerisch die Frage offen, ob sie den Helden Samson zunächst wirklich geliebt und nicht nur mit böser Absicht verführt hat. Oder ob sie von Anfang an als freiwillige Agentin ihres Volkes kam, um diesen starken Gegner unschädlich zu machen. Selbst die Bibel ist im „Buch der Richter“ diesbezüglich nicht eindeutig.

Der Regisseur behauptet zwar, in diesem Stück gehe es eigentlich nur um die Liebe und beide seien Gefangene ihrer Religionen und Dalila außerdem die Fremde, der per se misstraut wird.  Doch seine Inszenierung gibt diese Deutung nicht her, zumal Elīna Garanča gesanglich und schauspiekerisch eher den Eindruck seiner Rächerin verkörpert. Außerdem singt sie von ihrem Hass, den sie trotz zärtlicher Stunden gegenüber Samson hegt. Daher schließt sie mit dem Oberpriester des Dagon einen Pakt, um Samson zu vernichten.

Dieses Zusammentreffen von Garanča  und Volle ist ein erster Höhepunkt im zweiten Akt der Oper, der das Kernstück des Werkes darstellt. Angeblich hat ihn Saint-Saëns als ersten komponiert und später die beiden anderen Akte. Nun wird auch die Musik plastischer, druckvoller und farbenreicher, was Barenboim und die Staatskapelle überzeugend hören lassen.

Noch überboten wird das vom Treffen Samson und Dalila in der Liebeshöhle. Längst vergessen hat Samson die anfänglichen Warnungen des alten Hebräers (Wolfgang Schöne) vor dieser fremden verführerischen Frau. Samson fühlt die Gefahr, egal was es ihn kosten könnte. Dalila setzt nun tatsächlich alle ihre Waffen bis zu Tränen und Spott ein und gewinnt.

 Samson, zerrissen zwischen seinem Auftrag und seinem Begehren, das er Liebe nennt, vergisst seinen Gott und sein Volk, nur Dalila will er besitzen. Brandon Jovanovich wächst hier noch über sich hinaus, zeichnet bewundernswert diesen Zerriebenen. Schließlich offenbart er der ihn bedrängenden Dalila sogar das Geheimnis seiner übermenschlichen Stärke, sein langes Haar.

Wie dieser allmählich sich steigernde „Kampf der Geschlechter“ von beiden gesungen und gespielt wird, gerät zum absoluten Höhepunkt dieser Aufführung und ist in dieser Besetzung allein den Besuch von „Samson et Dalila“ wert. Und wie reagiert das Publikum? Gar nicht. Kein Beifall, als danach der Pausenvorhang fällt und während des ganzen Stückes kein bisschen Zwischenapplaus. Das gibt doch sehr zu denken.

Bekanntlich schneidet Dalila dem Samson die kraftspendenden langen Haare ab. Die in die Liebeshöhle hineinstürmenden Philister haben mit ihm nun leichtes Spiel. Der kurze dritte Akt konzentriert sich auf üble Folterungen, Wegschleppen von Frauen durch die Sieger und die Tätigkeit von Sex-Girls. Dem Samson werden die Augen ausgedrückt, übel wird er zugerichtet. Andrés Moreno García und Jaka Mihelač agieren und singen als Erster und Zweiter Philister.

Dalila, nun wie eine hohe Priesterin im Festgewand, schaut sich das mitleidlos an. Der Oberpriester triumphiert, das Volk gerät in religiöse Trance. Doch dem sündigen Samson verleiht Gott bekanntlich noch einmal Kraft, so dass er den Tempel des Dagon niederreißen kann. Gehört auch Dalila zu den Toten? Das bleibt ungeklärt. „Hoffentlich geht es wenigstens dem Hund gut“, sorgt sich ein Herr in der Nähe.… 

Zuletzt heftiger Applaus für alle Beteiligten und ganz besonders für das gesangliche Dreigestirn unter Führung der wirklich großartigen Elīna Garanča. Beim Erscheinen  des Regieteams brausen die Buhs durch den Saal, gekontert vom Beifall. Nun hat auch die Staatsoper wie die Deutsche Oper (für Castorfs „Macht des Schicksals) ihr Skandälchen. 

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 27. und 30. November sowie 3., 7., 11. und 14. Dezember 2019

 

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