Copyright: Monika Rittershaus
Staatsoper Berlin SALOME – 17.3. 2018 (Premiere am 4.3.2018).
Die Produktion stand unter keinem guten Stern, weil Christoph von Dohnányi, der für den erkrankten Daniel Barenboim eingesprungen war, kurz vor der Premiere,auf Grund von künstlerischen Differenzen mit Regie-Zampano Hans Neuenfels die musikalische Leitung seinem erst 24jährigen Assistenten und Korrepetitor der Staatsoper, Thomas Guggeis, übertragen ließ. Und Noch-Intendant Jürgen Flimm stellte sich diesem Wunsch – wie allgemein bekannt – nicht entgegen. Regisseur Hans Neuenfels fasste Saolme als eine Parabel auf, in der Vertreter verschiedener Systeme aufeinander prallen. Und diese sind Salome und der Prophet Jochanaan, als Vertreter des Christen- und des Heidentums und dazwischen der von düsteren Vorahnungen geschüttelte überängstliche König Herodes.
Manche Eckpunkte der Oper hat Neuenfels bewusst vorverlegt. Etwa den Tanz der sieben Schleier, indem Salome den in sie verliebten Narraboth mit den Schleiern ihres schwarzen Rockes, die sie einen nach dem anderen hebt, dazu verleitet, ihr den gefangenen Propheten vorzuführen. Neuenfels setzt die androgyne Salome mit dem Dichter Oscar Wilde gleich, der wie ein Showstar mit roter Leuchtschrift „Wilde is coming“ in die Handlung der Oper hineingeflochten wird und aus dessen Hosenlatz zwei silberne Hoden heraus baumeln. Die Idee ist freilich nicht ganz neu, denn 2017 hatte bereits Brigitte Fassbaender die Geschichte des schwulen Textdichters in ihre Inszenierung am Theater Regensburg mit eingebaut. Und Christian Natter in der stummen Rolle von Oscar Wilde befreit den Propheten Jochanaan aus seiner phallusartigen Raumkapsel. Das S ymbol ist allgemein verständlich, steht es doch für die in selbst auferlegten Zwängen unterdrückte Männlichkeit Jochanaans, die noch dadurch unterstrichen wird, dass er einen langen schwarzen Rock trägt. Und Oscar Wilde entkleidet Salome auch auf ihrem weitausladenden Rock und den Haarreif in Form eines Halbmondes, und legt beides an. Der eigentliche „Tanz der sieben Schleier“ erfolgt sodann zwischen Salome und Oscar Wilde mit Totenmaske. Als Eros und Thanatos vollziehen sie gleichsam einen geradezu existenziellen Tanz, bei dem sich Salome am Schluss in kannibalistischer Manier in ihren Partner verbeißt. Erdacht hat diese Sado-Maso-Performance die in San Diego geborene US-amerikanische Choreographin und Regisseurin Sommer Ulrickson.
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Thomas J. Mayer hat als Jochanaan seinen gesamten Part, mit Ausnahme der Auseinandersetzung mit Salome, aus einer offenen Luke der Rakete auswendig zu singen und nicht aus dem sonst üblichen Off. Seine Phalluskapsel hängt zunächst schräg über der Bühne, wird dann in die Lotrechte gebracht, auf den Bühnenboden hinabgelassen und dort von den Wachen einige Male verschoben. Ich bin kein großer Freund von textlichen Eingriffen, die Hans Neuenfels zu Gunsten seiner Lesart der Salome vorgenommen hat. Und so liest man bei den Übertitellungen und hört man von Jochanaan, er sei “noch ziemlich jung“ statt „er ist ganz jung“ und über Salome „sie ist außer Fassung“ anstelle von „sie verlässt die Tafel“. Und die Schreie der Juden nach König Herodes’ Vorschlag, Salome „den Vorhang des Allerheiligsten“ zu schenken, hat Neuenfels gleich ganz gestrichen. Ausstatter Reinhard von der Thannen hat einen schwarzen Schiffsrumpf auf die Bühne gestellt mit wenigen Versatzstühlen und besagter Phalluskapsel. Ein Zwischenvorhang wird am Ende eingezogen, um das abgeschlagene Prophetenhaupt, um das 42fache vervielfältigt, vorzuführen. Aus einer dieser Porzellanköpfe hängt auch eine rote Zunge heraus und Salome zerschlägt dann am Ende einen solchen Kopf, was ungewollt komisch wirkte. Die Kostüme waren schlicht und elegant. Herodias trug ein mit Palletten besticktes Kleid und ähnelte darin einer jener Filmikonen aus der UFA Zeit. Behutsam eingeleuchtet wurde die Szene noch von Stefan Bolliger.
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Auf der musikalischen Seite muss man die stringente Umsetzung der Strauss’schen Klangkaskaden durch den jungen Dirigenten Thomas Guggeis am Pult der Staatskapelle Berlin lobend hervorheben. Der aus Littauen stammenden Sopranistin Ausrine Stundyte fehlte es hörbar an Tiefe und bisweilen wirkte sie für mich auch mit der Partie der Salome noch überfordert. Gesangliche Schwächen konnte sie aber durch ihre intensive und berührende Rollengestaltung einigermaßen ausgleichen. Gerhard Siegel war ein idealer Herodes, der alle gesanglichen Register von einem bezwingenden Pianissimo bis zu einem äußerst expressiven Ausbruch aus Wut über Herodias und aus Angst vor zukünftigen Ereignissen, zu ziehen verstand. Marina Prudenskaya gefiel als eiskalte Herodias mit ihrem markanten Mezzosopran. Thomas J. Mayer war ein stupender Prophet Jochanaan. Nikolai Schukoff bot einen bemitleidenswerten syrischen Hauptmann Narraboth, ihm zur Seite stets warnend Annika Schlicht als Page der Herodias. Das Quintett der Juden wurde ausgewogen und humorvoll von Dietmar Kerschbaum, Ziad Nehme, Linard Vrielink, Andrés Moreno García und David Oštrek dargeboten. Exzellent sangen auch die beiden Nazarener Adam Kutny und Ulf Dirk Mädler sowie die beiden Soldaten Arttu Kataja und Dominic Barberi. Den Cappadocier übernahm noch David Oštrek, der auch den 5. Juden gesungen hatte. Corinna Scheurle wird auf dem Besetzungszettel noch in der Rolle einer Sklavin angeführt.
Obwohl etwa 15 Minuten vor dem Ende einige wenige Besucher im Parterre die Vorstellung in der ausverkauften Staatsoper verließen, gab es großen Applaus für alle Mitwirkenden. Meiner Meinung nach hat Neuenfels einige interessante Aspekte in seiner Regiearbeit aufgezeigt, ist aber in der Umsetzung leider gescheitert. Vieles wirkte einfach zu banal. Musikalisch war es ein durchaus zufriedenstellender Abend, sieht man von den Schwächen der Sängerin der Titelpartie einmal ab.
Harald Lacina