Ausrine Stundyte (Salome), Thomas J. Mayer (Jochanaan), Christian Natter (Oscar Wilde) , Foto Monika Rittershaus
Berlin/ Staatsoper: „SALOME“ von Richard Strauss, Premiere. Buhs, aber kein Skandal, 04.03.2018
Der Skandal, den manche befürchtet oder einige vielleicht freudig erwartet hatten, fiel in der Staatsoper Unter den Linden weitgehend aus. Von der Phallus-Röhre als Käfig für den Propheten Jochanaan hatten vermutlich viele schon gehört oder gelesen. Das war also kein Aufreger mehr.
Zunächst schwebte sie schräg über der Bühne, dann stand sie auf dem Boden. Jochanaan – nackter Oberkörper, darunter ein dunkler, festlicher Damenrock – konnte also heraustreten (Bühnenbild, Kostüme: Reinhard von der Thannen).
„Selbstverständlich“ erhielt Regisseur Hans Neuenfels zuletzt Buhrufe, aber noch stärkere, speziell von links oben, musste Ausrine Stundyte als Salome erdulden, während ihr das mittig sitzende Publikum kräftigen und verdienten Beifall spendete. Von meinem Platz im Parkett Reihe 9 Sitz 9 war ihre gesangliche Leistung einwandfrei. Ihr kristalliner Sopran wird nie schrill und passt gut zu dieser Frau, die in ihrer Liebesgier in Ekstase gerät und ihren Willen auf Biegen und Brechen durchsetzt.
Was zeigt u.a. diese Reaktion? Die Akustik in der Staatsoper hat sich zwar durch die Kuppelanhebung plus Nachhallgalerie deutlich verbessert, scheint aber nicht überall gleich perfekt zu sein. Da diese Salome zumeist nach vorne singt, dürfte wohl links oben nicht alles zufriedenstellend ankommen. Manche kritisierten auch die mangelnde Textverständlichkeit der Litauerin. Von rechts oben kamen keine Buhsalven.-
Dass es zwei Dirigentenwechsel gab, war auch ziemlich bekannt. Noch-Intendant Jürgen Flimm schilderte vorab launig, dass erst der eine, dann der nächste Dirigent abhanden gekommen sei. Das wäre wie beim Fußball, wo auch mal Spieler abhanden kämen.
Danach betonte er das Glück, mit Thomas Gugggeis, der schon die Generalprobe geleitet hätte, einen guten Ersatz gefunden zu haben. Auch vergaß er nicht zu erwähnen, dass Guggeis – bisher Assistent von Daniel Barenboim – in der Spielzeit 2018/19 sein neues Amt als Kapellmeister am Staatstheater Stuttgart antreten wird, wie bereits im Online Merker zu lesen war.
Mit ermutigendem Applaus wird also der erst 24Jährige vom Publikum begrüßt und zuletzt mit begeistertem Getrampel so sehr gefeiert, dass er kaum zu strahlen wagt. Der vehemente Applaus war mehr als ein Newcomer-Bonus. Diese Anerkennung hat sich Guggeis echt verdient, hat Umsicht bei den Sängerinnen und Sängern walten lassen und Richard Strauss’ Musik in all’ ihren Facetten hören lassen, das Schwül-Obzessive und das Aufbrausende. Dass ihn die versierte Staatskapelle Berlin bei seinem Debüt gerne unterstützt hat, liegt auf der Hand.
Thomas J. Mayer, Gerhard Siegel, Marina Prudenskaya. Copyright: Monika Rittershaus
Starken Beifall erhielt insbesondere Thomas J. Mayer als Jochanaan. Wenn er mit seinem kräftigen Bariton Buße forderte und Unheil ankündigte, musste Herodes – großartig der Tenor Gerhard Siegel – und seiner Frau Herodias – Marina Prudenskaya im schicken Glitzergewand – sicherlich ein Schauer über den Rücken laufen. Dass er jedoch Salome sofort faszinierte, ist bekannt.
Abgesehen von der turbulenten Juden-Szene läuft in Neuenfels’ Inszenierung fast alles über einen Mittelsmann, den anwesenden „Texter“ Oscar Wilde (Christian Natter in stummer Rolle). Doch der ist eigentlich so überflüssig wie ein Kropf und wie die vorne an seiner Hose – biologisch unkorrekt – befestigten Hoden. Neuenfels will offensichtlich hetero- und homoerotische Liebesgefühle (dem schwulen Wilde gemäß) gleichermaßen bedienen. Der Rock des Propheten zeigt das ebenso wie der strenge Hosenanzug der ebenso streng frisierten Salome.
Die lässt dann auch für den gierigen Stiefvater Herodes nicht einen Schleier nach dem anderen fallen, sondern bleibt beim Tanzen im Hosenanzug, eine angenehme Idee. Dennoch knistert diese Szene schon von der Musik her vor Erotik.
Außerdem tanzt diese Salome, von Herodes sichtlich unbemerkt, mit dem eine Blume tragenden Wilde-Vertreter im Damenkorsett. Ein heißer brutaler Tanz wird das, der angespitzte Stil der Blume dient als Waffe, mit der sie Wilde ersticht und hinterher das Blut vom Stängel ableckt.
Dass diese Zutat und der letztendliche „Köpfe-Acker – dem 88jährigen Christoph von Dohnányi, der wegen künstlerischer Differenzen das Dirigat abgegeben hatte, vermutlich nicht gefielen, ist verständlich. Auch Neuenfels’ im Programmheft geäußerte Behauptung, hinter Jochanaans Flüchen verberge sich Liebe und Begehren, ist nicht schlüssig.
Salome erhält auch nicht sein mit Theaterblut besudeltes Haupt in einer Silberschüssel, sondern stapft zusammen mit Oscar Wilde über einen herein gerollten Zweitboden mit lauter aufgereihten Jochanaan-Plastikköpfen. Zwischen diesen Reihen läuft sie hin und her, ein empor genommener Kopf fällt ihr aus der Hand, zerbricht, und sie küsst nun die Scherben. Soll wohl bedeuten, die Liebe ist ein allgemeines Problem und außerdem eng mit dem Tod verknüpft. Auf Herodes’ Geheiß stürzen die Soldaten herbei und töten sie, was nicht im Detail zu sehen ist.
Per saldo sind die Sängerinnen und Sänger zu bewundern, die sich ohne Scheu und mit vollem Einsatz Neuenfels’ Regiekonzept zueigen gemacht haben, in erster Linie Ausrine Stundyte (Debütantin in dieser Rolle), gefolgt von Thomas J. Mayer und Gerhard Siegel.
Die übrigen Partien waren adäquat und wie folgt besetzt: Narraboth: Nikolai Schukoff (!), Page der Herodias: Annika Schlicht, Erster Jude: Dietmar Kerschbaum, Zweiter Jude: Michael Smallwood, Dritter Jude: Linard Vrielink, Vierter Jude: Andrés Moreno García, Fünfter Jude: David Oštrek, Erster Nazarener: Adam Kutny, Zweiter Nazarener: Ulf Dirk Mädler, Erster Soldat: Gyula Orendt, Zweiter Soldat: Dominic Barberi, Ein Cappadocier: David Oštrek, Sklave: Corinna Scheurle.
Zuletzt setzte sich der Beifall durch und dank Thomas Guggeis, der Staatskapelle Berlin und der Interpreten triumphierte Richard Strauss.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 08., 10. 14. und 17. März