Christopher Maltman (Rigoletto), Nadine Sierra (Gilda. Foto: Brinkhoff/ Mögenburg
Berlin / Staatsoper: „RIGOLETTO“ von Giuseppe Verdi, Premiere, 02. Juni 2019
„Rigoletto“, diese wunderbare Verdi-Oper, getextet von Maria Piave nach dem Melodrama „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo, ist ein Dauerbrenner, und das soll auch so bleiben. In einer Kooperation mit der Metropolitan Opera New York wirft nun auch die Staatsoper Unter den Linden ihren Hut in Berlin in den Ring.
Eigentlich besteht in der deutschen Hauptstadt kein Rigoletto-Mangel. Am 30. April d. J. war die erstmal letzte Vorstellung an der Deutschen Oper Berlin zu erleben, im Februar 2020 setzt die Komische Oper ihre Kosky-Version erneut auf den Spielplan.
Da ohnehin die Renner – auch von Mozart und Puccini – immer wieder auftauchen und „nur“ neu inszeniert und anders besetzt werden, ist das Publikum schon froh, wenn das Regieteam nicht nur darauf bedacht ist, sich selbst durch allerlei Absonderlichkeiten die mediale Aufmerksamkeit zu sichern.
So gesehen, haben die Opernfreunde/innen beim neuen Staatsopern-Rigoletto nicht viel zu befürchten. Vielleicht stört es einige, dass der an international wichtigen Häusern gut beschäftigte Regisseur Bartlett Sher die Handlung in die Wirrnisse der Weimarer Republik verlegt und der Bühnenbildner Michael Yeargan die relativ krassen Gemälde von George Grosz und Otto Dix als Vorhangsbemalung bzw. grelle Palasttapeten zu Hilfe nimmt. Das dabei vorherrschende Rot ist nicht nur die Farbe der Liebe, sondern auch ein Warnsignal. Liebe und Blut – in dieser Oper findet sich bekanntlich beides.
Der Palast selbst bleibt im Rahmen des Üblichen, und auch die Kostümierung der Sängerinnen, Sänger und sonstigen Mitwirkenden durch Catherine Zuber ist konservativ gehalten. Der Hofnarr Rigoletto trägt Mantel, Zylinder und einen Stock als Gehhilfe, aber keinen Buckel.
Gilda, erst schlicht wie ein Kind aus armen Verhältnissen auftretend, erscheint nach der Liebesnacht mit dem Herzog in ein weißes Tuch (ohne Blutflecken) gehüllt. Als junger Mann mit Baskenmütze begibt sie sich in die Opferrolle. Selbstverständlich trägt der Auftragskiller Sparafucile düsteres Schwarz und seine verführerische Schwester Maddalena einen bunten Fummel.
Nadine Sierra (Gilda), Michael Fabiano (Duca). Foto: Brinkhoff/ Mögenburg
Ob diese neue Rigoletto-Version ein Langzeit-Erfolg wird, hängt also (und eigentlich immer) von der musikalischen Seite ab. Den Herzog singt der Amerikaner Michael Fabiano, der 2009 an der Met debütierte und seither international gefragt ist. Viel Viriles packt der in seine Stimme, was auf Dauer etwas eintönig wirkt. Ein perfekter Krafttenor, dem das Schmeicheln nicht so auf den Stimmbändern zu liegen scheint. Der gewinnt die Frauen eher durch Power. Nur in der Angst um die entführte Gilda lässt er etwas Wärme hören. Das spätere zynische „Ach, wie so trügerisch“ klingt nicht so locker verspielt, wie es eigentlich erwartet wird.
Ebenfalls stark bei Stimme, aber wesentlich einprägsamer in Ausdruck und Darstellung ist Christopher Maltman, den die Staatsoper ohnehin als Zugpferd für diese Opernpremiere herbeigeholt hat. In den Klagen über sein Schicksal als Missgebildeter, in der echten Sorge um seine Tochter Gilda und bei dem hohlen Moll-Lachen nach ihrer Entführung kann er voll überzeugen. Doch in der Schluss-Szene mit seiner sterbenden Gilda müsste er seinen kräftigen Bariton trotz aller Verzweiflung deutlich dimmen.
Als Gilda ist die schon sehr hoch gehandelte Nadine Sierra zu Gast. Eine junge aparte Frau mit Glitzer-Sopran, was gut zu dem heillos verliebten Mädchen passt. Im Verlauf wird ihre Stimme immer geschmeidiger und wärmer, und als Darstellerin ist sie voll glaubwürdig. Wie sehr ihr Oper als Kunstform von Jugend auf am Herzen liegt, hat sie gerade in einem Interview mit Concerti.de geäußert.
Überzeugt hat auch der Bass Jan Martiník als Sparafucile. Ein Hüne in Stimme und Aussehen, für den das Töten ein Beruf wie jeder andere ist. Als seine sexfreudige Schwester Maddalena reussiert Elena Maximova mit saftigem Mezzo. Übrigens wird Gilda in Sparafuciles Kneipe Zeugin, wie der Herzog die „Neue“ mit den gleichen Sprüchen verführt, die er ihr zugeflüstert hat.
In den übrigen Rollen gefallen Corinna Scheurle als Giovanna, Giorgi Mtchedlishvili als Monterone, Adam Kutny als Marullo, Andrés Moreno García als Borsa, David Oštrek als Graf Ceprano und Gerichtsdiener sowie Serena Sáenz als Gräfin Ceprano und Page. Verlass wie stets ist auf die Herren des Staatsopernchors, einstudiert von Martin Wright.
Mit Temperament und Einfühlvermögen steuert der Kolumbianische Dirigent Andrés Orozco-Estrada – seit der Spielzeit 2014/15 Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters Frankfurt und Music Director beim Houston Symphony Orchestra – die Staatskapelle Berlin durch das dramatisch-tragische Geschen. Ab 2021/22 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker, fängt aber schon vorher an.
Bleibt anzumerken, dass das Publikum mit Zwischenbeifall nicht geizt. Jeder der bekannten „Ohrwürmer“ erhält kräftigen Applaus. Als Maltman als tochterloser Vater die vorher zynisch kritisierten Höflinge um Erbarmen bittet – eine starke Szene – erntet er sofort Bravos. Auch als Rächer seiner verführten Tochter punktet Maltman.
Trotzdem fällt der Schlussbeifall recht kurz aus. Michael Fabiano und das Regieteam müssen sogar einige Buhs einstecken. Der Start zum neuen Dauerbrenner dürfte wohl dennoch gelungen sein.
Ursula Wiegand
Weitere Vorstellungen am 5., 8., 12., 14., 16., 26. und 29. Juni 2019 sowie im Oktober 2019