BERLIN / Staatsoper Unter den Linden NORMA; 16.4.2025
Norma light: Familientragikomödie in der Sowjet-Keramikfabrik
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Copyright: Bernd Uhlig
Spaß muss sein: Daher hat Regisseur Vasily Barkhatov den ersten Akt mit dem Geständnis Adalgisas unter Freundinnen und der Ermunterung Normas, doch ihren Liebesgefühlen nachzugeben statt weiterhin ihrer gegen das Regime ankämpfenden Arbeitergruppe verpflichtet zu sein, als einen banalen Sitcom-Familienstreit inszeniert. Adalgisa möge sich doch diesen graubraunen Funktionär Pollione schnappen, sie wird schon sehen, er wird ihr auch Kinder anhängen und dann abhauen.
Das kann man so machen, nimmt dieser schönsten und wirkmächtigsten aller Belcanto-Tragödien aber jegliche Tiefe und erst recht die antikische Tragik des Gefühls des Verlassenwerdens, des Abgelegtseins, die sich u.a. darin äußert, dass Norma in einem erweiterten Selbstmord auch ihre Kinder mit in den Tod reißen will. Warum so eine verzweifelt angedachte Racheaktion einer Mutter gegenüber dem untreuen Vater ihrer Kinder, wenn diese männlich oberflächliche Nullnummer, äußerlich und innerlich unattraktiv, eh nichts taugt?
Der 1983 in Moskau geborene Regisseur Vasily Barkhatov sieht Norma als eine die Vergangenheit glorifizierende Figur nach einer (roten) Revolution mit der üblichen Gleichschaltung und Verstaatlichung der Produktionsmittel. So holt diese „Schichtführer-Genossin“ in einer Art kultischer Zeremonie der Belegschaft (oh Wunder, keiner meldet das?) die Scherben eines von den Revolutionsführern zerstörten Engels hervor und breitet sie aus einem Tisch aus. Ihre Gefolgschaft/politische Zelle zieht wie die Gralsritter am Gral vorbei und wartet auf Normas Befehl zum bewaffneten Aufstand. Na ja, viel Glück kann man nur sagen, wenn man die Logik dieser Regimes versteht.
Ab dem Tag X werden nur noch Devotionalienstatuen des obersten Genossen und Parteichefs erzeugt, dessen Aussehen eine KI über die Eingabe verschiedener einschlägiger historischer Persönlichkeiten zu einer „neuen“ Gestalt (auf den ersten Blick sehen wir eine Art Mischung aus Lenin, Stalin und Mao mit obligatem Arbeiterkäppi) generiert hat. Die Komsomolzen spielen so ein doppeltes Spiel, von dem offenbar Pollione, obwohl schon zehn Jahre seit der Revolution vergangen sind, nichts mitbekommen hat.
Damit reduziert die Inszenierung die Folgen einer militärischen Besatzung samt kulturell-religiösem Schock für die der Freiheit beraubten Bevölkerung auf ein banales Liebesdreiecksdrama in einem autoritären Regime. Warum Norma ihre Beziehung zum Towarisch Pollione geheim hält, ist damit auch nicht verständlich, denn verboten waren Beziehungen etwa im Stalinismus ja nicht. Aber der Regisseur sieht ja Normas archaische Werte als ihren eigentlichen Fluch an, weil „die Gesellschaft, in der sie lebt Norma und möglicherweise die Kinder akzeptiert hätte, weil sie längst viel offener ist als Norma glaubt. Ihre Archaik ist gleichzeitig ihre Stärke und ihre Tragik.“
Und da wir nun endlich im Innersten verstehen, wie dieses einst romantisch historisierende Stück Musiktheater zu lesen ist, wollen wir uns der musikalischen Seite dieser Koproduktion mit dem MusikTheater an der Wien zuwenden. Und da ist vieler schöner und agiler Stimmen im allgemeinen Bemühen um eine Belkanto-Stilistik zum Trotz bestenfalls von einer Norma light zu berichten. https://www.youtube.com/watch?v=JM4IOXlnxoI
Den größten und uneingeschränkt positivsten Eindruck hat auf mich die Adalgisa der Elmina Hasan hinterlassen. Die aserbaidschanische Mezzosopranistin, eh. Mitglied des Lindemann Young Artist Development Program der Metropolitan Opera in New York, verfügt über eine junge, goldsamtig schimmernde Traumstimme, deren Timbre mich in seiner Üppigkeit und Flexibilität ein wenig an Tatjana Troyanos erinnert. Sie beherrscht die kleinen Noten ebenso wie die großen Legatobögen, hat eine tolle Höhe und eine unangestrengt leichtgängige tiefe Lage. Dieser Gesangskünstlerin eine bedeutende Karriere vorherzusagen, fällt nicht schwer.
Copyright: Bernd Uhlig
Überrascht war ich auch, wie gut die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen, im Opernbetrieb bisher vor allem mit Rollen in Opern von Mozart, Verdi, R. Strauss und Wagner aufgefallen, mit der zu Recht gefürchteten heiklen Belkanto-Partie der Norma zurechtkommt. Die blendend aussehende Sängerin mit dem vanillig-runden Timbre schafft die schwierige Tessitura der Norma ab der souveränen ‚Casta diva‘ ohne Mühe und jegliche Schärfe. Aber eine Tragödin ist sie nicht (im blauen Handwerker-Overall ohnedies optisch schwer zu vermitteln) und mir persönlich fehlen zum Opernglück die bissigen Kanten und kernig hochdramatischen Akzente.
Als Pollione war Dmitry Korchak, ein „Andreas Schager des Belkanto“, angesetzt. Unendliche Stimmreserven und eine metallisch durchdringende, sich scheinbar nie erschöpfende, robuste (extreme) Höhe sind die Markenzeichen dieses russischen Tenors und auch als Dirigent erfolgreichen Musikers. Und wie das halt so ist mit solchen technisch perfekt gerüsteten Sängern mit viel Material, sie führen es auch gerne in aller Pracht vor. Also bekommt das Publikum viele laute Spitzentöne zu hören. Rein optisch steckte ihn das Leading Team (Kostüme Olga Shaishmelashvili) irgendwie als ideologisch ferngesteuerte Maus oder „Mann ohne Eigenschaften“ in einen braunen Doppelreiher.
Bleibt noch der Oroveso des italienischen Basses Riccardo Fassi zu erwähnen. Er singt mit viel Geschmack und schönen Kantilenen, wirkt aber für die Rolle des Oberaufständischen (alias Vaters der Norma) zu jung und nicht unbedingt charismatisch. Außerdem fehlt es an dem nötigen Stimmvolumen, um die nötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Francesco Lanzillotta dirigierte den tapferen Chor der Staatsoper Unter den Linden und die Staatskapelle Berlin flüssig federleicht, ohne gröbere Pannen. Diese vielleicht zu ephemer-delikate Gangart des musikalischen Leiters führte dazu, dass der instrumentale Part hie und da belanglos dahinplätscherte, rhythmische Ecken und aufbrausende Emotionen mied.
Norma hat der Rezensent mangels Möglichkeit nicht so oft gesehen wie andere Opern. Mir sind aber Live-Aufführungen mit Montserrat Caballé, Lilijana Molnar-Talajic, Grace Bumbry und Renata Scotto noch in bester Erinnerung. Die gestrige Aufführung hat mich trotz beachtlicher musikalischer Qualitäten emotional kaum erreicht. Ob das vielleicht auch der wenig schlüssigen Erzählweise der Inszenierung geschuldet war?
Dr. Ingobert Waltenberger