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BERLIN/ Staatsoper: MEDEA von Luigi Cherubini

Musik und Gesang Top, Regie Flop, 2. Vorstellung

13.10.2018 | Oper


Sonya Yoncheva als mordende Medea. Copyright: Bernd Uhlig

Berlin/ Staatsoper: „MEDEA“ von Luigi Cherubini, Musik und Gesang Top, Regie Flop, 2. Vorstellung am 12.10.2018

Welch eine großartige Musik von Luigi Cherubini (1760-1842)! Eigentlich ist sie nach heutigen Hörgewohnheiten – trotz mancher Aufwallungen – viel zu melodisch für das mörderische Geschehen, das sie schildert. Andererseits geht sie gerade deswegen sofort in die Ohren und ins Herz.

Beethoven hat Cherubini sehr geschätzt, doch die Zeit ist über dessen Werke hinweggegangen. Wer kennt schon seine Oper „Medée“, die französische Variante der antiken Medea? Nur wenige, und so ist es umso verdienstvoller, dass Daniel Barenboim mit der engagiert aufspielenden Staatskapelle Berlin diesen musikalisch ergiebigen Dreiakter von 1797 aus der Versenkung geholt hat.

Den größten Anteil an dieser zuletzt begeistert gefeierten Wiederbelebung haben jedoch die Gesangssolisten/innen, allen voran die fabelhafte Sonya Yoncheva als Medea (Médee). Dem Publikum in der ausverkauften Staatsoper Unter den Linden wird so etwas bislang Ungehörtes geboten. 

Und gleichzeitig ein in satte Klänge gefasstes, relativ bekanntes Schauerdrama. Im Mittelpunkt steht Medea, die ihre Kinder ermordet, um sich an dem treulosen Ehemann Jason fürchterlich zu rächen. Der altgriechische Dichter Euripides (480 oder 485 v. Chr. – 406 v. Chr.) hat diese angebliche Monsterfrau in einem Theaterstück verewigt, das immer noch auf zahlreichen Bühnen gespielt wird. Das Opernlibretto in französischer Sprache hat jedoch François-Benoît Hoffman verfasst.

Aber hätte doch die bekannte Regisseurin Andrea Breth mal das Buch „Medea, Stimmen“ von Christa Wolf gelesen oder sich das danach gefertigte Stück am Deutschen Theater Berlin angeschaut! Christa Wolf hat nachrecherchiert und in Medea das Opfer übelster Verleumdungen gesehen. Denn es sind die Männer, die die Geschichte(n) ihrer Länder schönschreiben.

Der Grieche Euripides habe die mit Jason eingewanderte Fremde grundlos als Furie und Kindermörderin abgestempelt, meinte Christa Wolf und lässt Medea am Schluss sagen: „Was reden sie. Ich, Medea, hätte meine Kinder umgebracht. Ich, Medea, hätte mich an dem ungetreuen Jason rächen wollen. Wer soll das glauben.“ Laut Wolf hat sie die beiden Knaben vor ihrer Flucht den Priestern in einem Tempel anvertraut.

Aber wie dem auch sei – die Euripides-Version wurde und wird weltweit für bare Münze genommen, ist sie doch so schön gruselig und gibt dramatisch viel her, obwohl es bekanntlich viel seltener Frauen als Männer sind, die sich durch Kindermord am Expartner oder der Expartnerin rächen.

Andrea Breth versucht nun, den immerwährenden Streit um die Kinder im Heute anzusiedeln. Doch die Verlagerung der Auseinandersetzungen in einen hässlichen, mit Kisten angefüllten Lagerraum – vielleicht eine Tiefgarage – wirkt gemessen am gesungenen und gesprochenen Text reichlich unsinnig. Zur tristen Ausstattung gehören noch zwei dunkle Pferdeskulpturen, die eine komplett, die andere kaputt (Bühnenbild: Martin Zehetgruber). 


Sonya Yoncheva. Copyright: Bernd Uhlig

In diesem Tiefgaragen-Gefängnis fristet nicht nur die verfemte und von den Kindern getrennte Medea ihr trauriges Dasein. Hier findet sich auch ihr Ex-Gatte Jason ein, für den sie einst das Goldene Vlies (hier ein hässlicher Lappen mit Rinderkopf) aus ihres Vaters Palast entwendet hatte.

Selbst König Créon /Kreon, seine kränkliche Tochter Dircé und der Hofstaat – sprich der Chor, einstudiert von Martin Wright – begeben sich hierhin. Wenn das Rolltor hochgeht, sind die Choristen zu sehen und zu hören. Insgesamt ein unlogischer und lustloser Versuch einer Aktualisierung.

Was die Kostüme betrifft, tragen Jason und König Kreon als arrivierte Bosse maßgeschneiderte Anzüge. Die kränkliche Königstochter Dircé, die unbedingt an den Mann gebracht werden soll und Jason liebt, steckt in einer güldenen Luxusrobe, während Medeas treue Gefährtin Néris als schwarze Nonne wandeln muss. Medea selbst trägt ein dunkles sackartiges Gewand, das die linke Schulter freilässt. Eine krause Textilien-Mischung (Kostüme: Carla Teti).

Doch wenn Sonya Yoncheva zu singen beginnt, wird das unpassende Drum und Dran nebensächlich und ist bald vergessen. Sie, die mythische Hauptperson dieser antiken Tragödie, schafft ein Wunder. Ihr angenehm fülliger, ermüdungsfreier Sopran schildert das ganze Geschehen so haargenau und in allen Facetten, dass fast kein Text nötig ist, um Medeas Gefühlsschwankungen und Handlungen zu erkennen. Ein Erfolg, an dem auch das aufmerksame Dirigat von Daniel Barenboim einen großen Anteil hat.

Innig klingt Medeas Sehnsucht nach den ihr genommenen Kindern, mit raffinierten Klang-Nuancen becirct sie, die immer noch fraulich Wilde, ihren Ex-Gatten und sogar den König. Beide geben ihrem Flehen leichtsinnig nach und überlassen ihr noch für den letzten Tag vor der Ausweisung die beiden Söhne.

Doch welcher Aufruhr der Gefühle nun bei Medea! Sie will die beiden (Malik Bah und Toyi Kramer in stummen Rollen) töten, doch der Dolch fällt ihr aus der Hand. In langen, zarten Legatophasen schildert Sonya Yoncheva nochmals die Liebe zu ihren Kindern, um gleich danach mit wütender Wucht den verletzten Stolz der einstigen Königstochter mitsamt ihrer Rachsucht glutvoll hörbar zu machen. Ihre gesangliche Spitzenleistung findet hier, kurz vor ihrem Selbstmord, den Höhepunkt. Ein Gänsehaut-Erlebnis. 


Charles Castronovo, Sonya Yocheva. Copyright: Bernd Uhlig

Nach manchem Zwischenbeifall wird Sonya Yoncheva schließlich mit heftigem Schluss-Applaus und vielen Bravi verdient gefeiert. Dennoch macht eine Schwalbe allein noch keinen Sommer. Für diese Wiederentdeckung haben sich auch ihre Partner/innen erfolgreich eingesetzt, so vor allem Charles Castronovo als Jason. Mit seinem kräftigen Tenor kann er dieser Powerfrau zumeist standhalten und ist als Karriere-Typ mit Gefühl durchaus glaubhaft. Auch er erhält deutliche Zustimmung, etwas weniger Iain Paterson als König Kreon, der seinen Bass-Bariton einbringt.

Dagegen muss Elsa Dreisig, die kränkliche Königstöchter Dircé, die mit ihrem frischen Sopran gleich anfangs böse Vorahnungen hören ließ und dafür Zwischenbeifall erhielt,  zuletzt einige unverdiente Buhs einstecken. Zustimmung dagegen für Marina Prudenskaya als Néris sowie Beifall für Sarah Aristidou und Corinna Scheurle, die beiden Begleiterin der Dircé. Schließlich ein lautstarkes und wohl verdientes Lob für Daniel Barenboim und die Staatskapelle. – Insgesamt also ein musikalischer Gesamterfolg, der das Hingehen trotz der Inszenierung unbedingt lohnt.   

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 17., 20., 25. und 28. Oktober. 

 

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