Ensemble: Copyright: Sebastian Bolesch
Berlin/ Staatsoper: „L’ORFEO“, Monteverdi à la Sasha Waltz, „never change a winning team“, 19.11.2018
Als der L’Orfeo im Jahr 1607 in Mantua zum Geburtstag des Herzogs Francesco IV Gonzaga uraufgeführt wurde, war das die Stunde Null. Seither gilt dieses Werk – in seiner Verbindung von Musik, Schauspiel und Tanz – als die allererste Oper. Jedenfalls als die erste erhaltene.
Während zahllose jüngere Opern seither in der Versenkung verschwanden oder gelegentlich mit mehr oder weniger Erfolg erneut auf die Bühne gehievt wurden, hat L’Orfeo solche Bemühungen nicht nötig. Das liegt sicherlich an der Bekanntheit der alten Sage, aber ebenso an Monteverdis meisterhafter Musik.
Nicht nur Barockfans haben im Vorjahr die exemplarischen, halbszenischen Darbietungen unter der Leitung von John Eliot Gardiner in der Philharmonie gestürmt. Auch die vorangegangenen Aufführungen im Sommer 2015 im Schiller Theater waren ein voller Erfolg.
Jetzt taucht L’Orfeo m Rahmen der Staatsoper Barocktage erfreulicherweise wieder auf, und kaum sind Plätze frei geblieben. Diese Oper ist also nach wie vor ein Renner, zumal Inszenierung und Choreographie erneut in Händen von Sasha Waltz liegen. Es ist ohnehin eine ihrer besten Arbeiten.
Schnell bringen die Tänzerinnen und Tänzer von Sasha Waltz & Guests, flankiert vom Freiburger Barockconsort und dem Vocalconsort Berlin, Leben auf die von Alexander Schwarz betont schlicht gestaltete Bühne. Diese beiden großartigen Ensembles sowie die Sängerinnen und Sänger und die Tanzenden sind fast sämtlich „alte Bekannte“, die nach dem Motto „never change a winning team“ das Publikum erneut beglücken. Für den nötigen musikalischen Drive sorgt diesmal der Dirigent Lenardo Garcia Alarcón.
Die Guests von Sasha Waltz tanzen aber nicht nur unter sich, sondern auch mit den Sängerinnen und Sängern, ja tragen sie auch mal ein Stück umher. Die müssen im Verlauf ebenfalls zeigen, was sie eingeübt und an körperlicher Fitness zu bieten haben. Den meisten gelingt das recht gut, und sie scheinen daran auch Spaß zu haben.
Also nichts da von Standbein-Spielbein-Attitüde und Rampensingen, was noch keineswegs komplett der Vergangenheit angehört. Selbst die Kinder in meiner Reihe im 1. Rang verfolgen gespannt, was sich da unten tut. Beim sommerlichen Hochzeitsfest kommt Stimmung auf. Auch gefallen die farbigen Roben (Kostüme: Beate Borrmann).
Doch genau genommen ist das alles – und selbst manch gelungenes Tableau – ein apartes Beiwerk. Orfeo ist die Hauptperson, auf ihn kommt es an, und der ist wiederum bei Georg Nigl in bester Kehle. Wie innig kann er seine Liebe zu der schönen Euridice ausdrücken und seinen Jubel, dass sie nach langem Werben endlich „ja“ gesagt hat. Wie dunkelfarbig und zum Steine erweichen klingt sein voller Bariton, wenn er seine Qualen heraussingt. Mit welcher Power äußert er seine Verzweiflung und seinen Zorn. Nigels Stimme, kombiniert mit entsprechender Schauspielkunst, wird nie langweilig.
Anna Lucia Richter. Copyright: Sebastian Bolesch
Dagegen ist Anna Lucia Richter mit ihrem kristallinen Sopran von Monteverdi und seinem Librettisten Alessandro Striggio eigentlich unterfordert. Als Euridice hat sie nur einen kleinen Part zu singen. Immerhin auch die La Musica im Prolog, was Frau Richter angenehm unterschiedlich gestaltet. Weit mehr Eindruck kann die Unglücksboten (Messaggiera) machen, und Charlotte Hellekant kann das wirklich. Mit ihrem vollen Mezzo drückt sie ihre Erschütterung über den frühen Tod der Freundin Euridice herzerweichend aus. Ein früher Höhepunkt an diesem Abend. Als die Hoffnung (La Speranza) zieht sie dann gekonnt andere Gefühls- und Stimmregister.
Charlotte Hellekant. Copyright: Sebastian Bolesch
Auch Plutone: Konstantin Wolff als kräftiger, leicht indisponierter Bass und Luciana Mancini, Mezzo, als fast schlangenhafte Verführerin Proserpina kennen wir bereits von 2015 und freuen uns über das Wiedersehen und Wiederhören. Sogar eine ansehnliche Choreographie kriegen die beiden hin.
Neu ist diesmal der 29jährige Grigory Shkarupa als Caronte und imponiert mit einem voluminösen russischen Bass. Der an Leid gewöhnte Steuermann in die Unterwelt bleibt trotz Orfeos so ergreifend gesungenen Bitten (ohne Leier in den Händen) bekanntlich hart. Immerhin schläfert der Gesang ihn ein, doch das Publikum bleibt hellwach, zumal auch die übrigen Sängerinnen und Sänger in ihren Rollen als Hirten, Ninfa, Echo und Geister mit barockem Wohlklang überzeugen. Es sind Julián Millán, Cécile Kempenaers, Terry Wey, Fabio Trümpy, Hans Wijers und Florian Feth.
Millán gibt mit honorigem Bariton außerdem den Gott Apollo, der seinem jammernden Sohn Orfeo aus der Loge im 1. Rang eindrücklich die Leviten liest und ihn belehrt, dass irdisches Glück ohnehin vergänglich sei. Der einsame Orfeo willigt schließlich ein, nun gen Himmel zu fahren, um dort – mitsamt seiner Leier und Euridice – als Gestirn ewig am Firmament vereint zu sein.
Nach dieser positiven Wendung der Ereignisse tanzen nun alle ausgelassen über die Bühne, die Sängerinnen und Sänger, einige Instrumentalisten und die Tanzgäste sowieso. Es sind Davide Camplani, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Luc Dunberry, Hwanhee Hwang, Michal Mualem, Virgis Puodziunas, Sasa Quelitz, Zaratiana Randrianantenaina, Orlando Rodriguez, Yael Schnell und Joel Suárez Gómez. Ende gut, alles gut, und das Publikum antwortet mit sofort explodierendem Jubel.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 23. und 30. November