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Premiere „LOHENGRIN“ von Richard Wagner via Arte am 13.12.2020 in der Staatsoper unter den Linden/BERLIN
ATTACKE AUF DIE HOCHZEITSTORTE
In einer Zeit der revolutionären Umbrüche schrieb Wagner im Jahre 1850 seine Oper „Lohengrin“, die Franz Liszt in Weimar aus der Taufe hob. In der Inszenierung von Calixto Bieito war jetzt die coronabedingte Premiere in der Staatsoper unter den Linden ohne Publikum zu erleben. Bieito greift den revolutionären Gedanken dieses Werkes auf, was ihm nicht überall überzeugend gelingt (Mitarbeit Regie: Barbora Horakova–Joly). Das Bühnenbild von Rebecca Ringst und die Kostüme von Ingo Krügler entführt die Zuschauer in unsere technisierte Gegenwart, wobei das Videodesign von Sarah Derendinger die alptraumhaften Sequenzen gut einfängt. Da sieht man dann eine ertrinkende Frau im Wasser – und ein anderes Mal erkennt man plötzlich Elsas Bruder Gottfried oder die verschwommenen Silhouetten einer nächtlichen Stadt. Die des Brudermordes angeklagte Elsa von Brabant liegt im ersten Akt wie ohnmächtig am Boden. Da tritt ein Mann in ihr Leben, der für sie kämpfen will, eben jener Lohengrin, den sie nicht nach ihrem Namen fragen darf.
Wir befinden uns in diesem ersten Akt in einem Gerichtssaal, dessen starre Strukturen von der Regie kaum aufgebrochen werden. Man sieht blutverschmierte Männer und einen weißen Gefängniskäfig, dem die bedrängte Elsa verzweifelt zu entrinnen versucht. Zuweilen agiert der Chor allzu plakativ – etwa dann, wenn Schilder und Transparente hochgehalten werden. Viel stärker wirkt dann der zweite Akt, wo die dämonische Ortrud und ihr Gemahl Friedrich von Telramund psychologisch glaubwürdig agieren. Ortrud sitzt grimmig auf einem riesigen Gitterstahlgerüst, neben ihr liegen viele Kinderpuppen, die irgendwie leblos erscheinen. Zwischen Ortrud und Friedrich von Telramund gibt es keine Berührung. Plötzlich betritt Elsa in einem grünen Schleier die Bühne, ihr Dialog mit der sich zunächst verstellenden Ortrud ist von elektrisierender Spannungskraft erfüllt. In einem ungeheuren Racheanfall beschwört die alleingebliebene Ortrud daraufhin die Götter. Es ist eine Szene, deren explosive Kraft Calixto Bieito plastisch herausarbeitet. Die bipolare Störung dieser unheimlichen Figur kommt hier drastisch zur Geltung, sie scheint sogar aus der Nase zu bluten. Der Chor schminkt sich ebenso wie der Heerrufer des Königs, versteckt sich hinter weißen Masken, zieht Grimassen. Die von Ortrud angegriffene Elsa entledigt sich schließlich verzweifelt ihres Hochzeitskleides, das sie dann nachher wieder anzieht. Als das Hochzeitspaar Elsa und Lohengrin schließlich doch zum Kirchenportal schreitet, zerstört Ortrud in einem unkontrollierten Wutanfall die große Hochzeitstorte, von der Elsa zunächst begierig genascht hat.
Schade um die Hochzeitstorte. Ortrud (Ekaterina Gubanova) in Zerstörungswut. Foto: Youtube
Der dritte Akt beginnt zunächst auf der Coach mit einem Kammerspiel zwischen Elsa und Lohengrin, doch die packende Schlagkraft des zweiten Aktes will sich bei dieser Inszenierung szenisch nicht mehr so stark einstellen. Elsa trägt ein Stück des grünen Rasens wie eine schützende Reliquie vor sich her, doch der Wunsch nach idyllischem Frieden erfüllt sich nicht. Lohengrin muss schließlich auf Elsas Drängen hin seinen Namen preisgeben – und das Liebesglück der beiden ist für immer dahin. Als er sich auf den Heimweg zurück zum überirdischen Gral macht, klopft sich Elsa immer wieder schuldbewusst gegen die Brust. König Heinrich zittert und verschwindet wie Elsa wiederholt im Gefängniskäfig. Zuletzt sieht man den knabenhaften Gottfried als Elsas Bruder, der zum neuen Herrscher von Brabant ausgerufen wird. Er macht kämpferische Bewegungen mit dem Schwert – damit endet die Inszenierung.
Musikalisch kann die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Matthias Pintscher weitgehend überzeugen. Das Thema entfaltet sich hier als reiner Gedanke ohne dramatischen Gegensatz. Doch die dynamische Steigerung gelingt vortrefflich. Dies zeigt sich übrigens auch beim von Martin Wright bestens einstudierten Staatsopernchor. Auf polyphone Durchsichtigkeit wird dabei immer geachtet. Das Herabschweben des heiligen Grals wird so fast greifbar. Die zarten Flageolett-Töne der Geigen hinterlassen einen bewegenden Eindruck – so können sich die lichten und sphärenhaften Momente in den Streichern gut entfalten. Holzbläser und Hörner übernehmen allmählich die thematische Führung, und Matthias Pintscher verzichtet als Dirigent auf klangliche Aufdringlichkeit. Alles erscheint transparent – und die hohen Flageolett-Töne verklingen fast wesenlos. Die wegen Corona verkleinerte Orchesterbesetzung nimmt man so kaum wahr.
Rein gesanglich sorgt diese interessante Produktion durchaus für Überraschungen. Dies gilt vor allem für die grandiose Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova als geifernde Ortrud, die ihre Spitzentöne ultimativ herausschleudert. Und auch Vida Mikneviciute als Elsa von Brabant kann mit kristallklaren Sopran-Kantilenen fesseln, die in der B-Dur-Welt eher dramatisch als lyrisch wirken. Mit robustem Bariton agiert Martin Gantner als Friedrich von Telramund. Roberto Alagna zeigt als Lohengrin eine ausdrucksstarke Leistung, wenngleich seine Stimme bei der Gralserzählung zuletzt überanstrengt wirkt. Die Spitzentöne beschwört der Tenor jedoch voluminös und ergreifend. Rene Pape beweist als König Heinrich gesanglich reife Charakterisierungskunst sowie sonore formale Klarheit und Prägnanz. Als Heerrufer des Königs gefällt zudem Adam Kutny mit kernigem Bariton. Den Wechsel vom lichten A-Dur über das verschleierte As-Dur nach a-Moll vollzieht die Staatskapelle Berlin unter der umsichtigen Leitung von Matthias Pintscher sehr konsequent. Die grausame Welt von Ortrud und Telramund erscheint in krass gestaltetem fis-Moll – und der Gegensatz zur C-Dur-Welt des Königs Heinrich könnte nicht größer sein.
Fazit: Eine sehenswerte Inszenierung, deren szenische Qualität sich steigert, obwohl ihr oft die innere Geschlossenheit fehlt.
Alexander Walther