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BERLIN/ Staatsoper: LES PÊCHEURS DE PERLES Wiederaufnahme. Französisches Opernglück zu Jahresbeginn

05.01.2024 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden LES PÊCHEURS DE PERLES Wiederaufnahme; 4.1.2024

Französisches Opernglück zu Jahresbeginn

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Foto: Donata Wenders

Am 24.6. 2017 ging als letzte Premiere im Ausweichquartier Schillertheater vor der Wiedereröffnung der frisch renovierten Staatsoper Unter den Linden im Herbst desselben Jahres Bizets exotische Indische-Ozean-Dreierromanze „Die Perlenfischer“ in der Originalfassung von 1863 über die Bühne. Der deutsche Filmregisseur Wim Wenders inszenierte – es sollte bis dato seine einzige Arbeit für das Musiktheater bleiben – und Daniel Barenboim dirigierte.

Die Berliner können sich glücklich schätzen, diese zwar völlig im Schatten von „Carmen“ stehende, und doch so melodienreiche wie feinstsinnig instrumentierte Oper des knapp 25-jährigen Bizets im Repertoire der Staatsoper zu haben. Privaten Umständen von Regisseur und Dirigent ist es zu verdanken, dass es so kam. Zuerst einmal die Wertschätzung eines großen Dirigenten und Opernintendanten für Wim Wenders künstlerisches Schaffen. „Schuld“ an der Wahl des Werks war dann eine Jukebox-Platte mit dem berühmten Treueduett Nadir-Zurga, der gemeinsamen erotischen Vision „Au fond du temple saint“ und auf der anderen Seite die schwermütige Tenorarie „Je crois entendre encore“, die Wenders so entzückten, dass er nach der Anfrage der Staatsoper sofort den Vorschlag machte, die „Perlenfischer“ inszenieren zu wollen. Barenboim wiederum hatte die Oper als junger Mann in Tel Aviv in hebräischer Sprache mit einem gewissen Placido Domingo als Nadir gehört und war nach Sichtung der Partitur rasch einverstanden.

Die Regie von Wim Wenders begnügt sich mit einem vorwiegend statischen Singen der drei Hauptfiguren und des Chors, allerdings sind die einzelnen Tableaus ästhetisch ansprechend bebildert. Zum abstrakt schrägen, perlmuttschimmernden Einheitsbühnenbild eines Strandes auf einer „Insel in einem der Sieben Meere“ gesellen sich filmische Elemente: Flashbacks der drei Figuren in Bezug auf Ereignisse in der Vergangenheit, die ihre besondere Beziehung zueinander beleuchten und immer wieder das Wogen der stürmischen See. Sturm, Nacht und Feuerschein werden mittels einer raffinierten Beleuchtungsregie (Olaf Freese) hingezaubert. An einem solchen, leeren Ort können die Leidenschaften von Zurga, Nadir und Leila ungeschützt aufeinanderprallen wie die Meereswogen auf den Strand, genauso brandgefährlich und gefährdet wie die den Elementen ausgesetzte Arbeit der Perlenfischer.  

Am 30.9.1863 im Théâtre Lyrique in Paris uraufgeführt, basiert die Geschichte dieser komplexen Dreier-Freundschafts-Liebeskonstellation auf einem Libretto von Michel Carré und Eugène Cormon. Die Brahmanen-Priesterin und Einsiedlerin Leila, der Chef der Perlenfischer Zurga und der zum Waldläufer mutierte Nadir haben eine Vorgeschichte, bevor sie wieder aufeinandertreffen und das 24-Stundendrama seinen Lauf nimmt. Die in dasselbe Mädchen Leila verliebten Freunde Nadir und Zurga hatten einander versprochen, die Finger von der Frau zu lassen, um ihre Freundschaft (wobei die Grenzen zu einer echten Liebe zumindest Zurgas zu Nadir fließend scheinen) nicht zu gefährden. Zurga hält sich an das Versprechen, Nadir nicht. Zurga, die heimliche Hauptfigur und der vielschichtigste Charakter der Oper, ist extrem enttäuscht und eifersüchtig, als die beiden Turteltäubchen vom Hohepriester Nourabad „erwischt“ werden. Der Tod der beiden scheint eine ausgemachte Sache, als eine weitere Geschichte aus der Vergangenheit ans Tageslicht kommt. Ein kleines Mädchen hatte einst Zurga vor der tödlichen Verfolgung gerettet und als Dank von Zurga eine Perlenkette erhalten. Diese bemerkt er nun an Leila und beschließt, sie und Nadir davonkommen zu lassen. Was sich als Morgenröte Bahn bricht, ist nicht die Sonne, sondern das von Zurga angezündete Dorf der Perlenfischer. Leila und Nadir fliehen, Zurga bleibt in ungewisser Zukunft zurück.  

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Olga Peretyatko. Foto: Donata Wenders

Zum vokalen Erfolg dieser Oper braucht es einen lyrischen Sopran mit Koloratur, einen Tenor, der in einer gefürchtet hohen Tessitura bestehen, durchschlagskräftig über Chormassen dringen können, zugleich aber auch zu schwebenden Piani in seiner berühmten Arie im ersten Akt befähigt sein muss und einen charismatischen lyrischen Bariton. Über all das verfügt die Aufführungsserie der Staatsoper Unter den Linden in hohem Maße. Von der Premierenbesetzung finden sich noch Olga Peretyatko als Leila und Gyula Orendt als Zurga auf dem Besetzungszettel. Beide dürfen als Idealbesetzung gelten. Peretyatko begeistert mit ihrem warm timbrierten Edelsopran, gleichermaßen in zartesten Piani, scharf konturierten Trillern und robusten Höhen „zu Hause“. Sie erfüllt die Rolle mit unwiderstehlichem Charme und entschlossenem Selbstbewusstsein. Die Arie „Me voilà seule dans la nuit“ gelingt hinreißend gut.

Neu für Berlin ist Dmitry Korchak als Nadir, der die Rolle aber schon 2014 im Theater an der Wien gesungen hatte. Ein Tenor mit einer sicheren Höhe wie ein Leuchtfeuer, der für die Pianissimi in seiner großen Arie auch gekonnt die voix mixte einzusetzen vermag. Allerdings sind Korchak des öfteren die tenoralen Rösser durchgegangen, zu sehr hat er sein knackiges Forte ohne Rücksicht auf die sensitive Partnerin noch den traumhaft disponierten Bariton von Gyula Orendt eingesetzt. Ensemblemitglied Orendt verfügt über eine der schönsten, klangvollsten lyrischen Baritonstimmen der Jetztzeit und ist in diesem Fach noch dazu ein Stilist von Gnaden. Der samtrunde Bariton fließt in allen Lagen frei, alleine seine herausragende Leistung ist schon den Opernbesuch wert. Die große Arie „O Nadir, tendre ami de mon jeune âge“ und das anschließende Duett mit Leila bescheren vokale Höhepunkte des Abends. Paul Gay als grobkörniger Nourabad gibt stimmlich genau das Raubein, das er auf der Bühne verkörpert.

Victorien Vanoosten, einst Assistent von Daniel Barenboim in dieser Produktion, leitete die auf Pastellfarben getrimmte Staatskapelle Berlin umsichtig und ist zweifelsohne ein achtsamer Sängerbegleiter. Mit breiten Tempi und ganz auf lyrische Durchdringung der Partitur bedacht, ließ die Spannung im ersten Akt (noch) zu wünschen übrig. Wenn er das Orchester in den traumverloren-leisen Passagen aus Rücksicht auf die Sänger zu sehr zurücknahm, ging instrumentaler Glanz verloren. Der von Dani Juris einstudierte Chor erfüllte seine mannigfaltigen Aufgaben bis auf einen rhythmisch holprigen Start mit Bravour und Intensität.

Fazit: Ein exzellenter Opernstart zu Beginn des Jahres. Luft nach oben besteht aber noch. Wenn der Chor seinen Einstieg im ersten Akt nochmals probt, der Tenor mehr auf seine Partner eingeht und der Dirigent noch geschmeidiger und dramaturgisch geschärfter an die Sache herangeht, steht musikalisch einer ganz großen Serie nichts im Wege.

Weitere Termine: 6.1., 18.1., 27.1., 3.2.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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