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BERLIN/ Staatsoper: „LES PÊCHEURS DE PERLES“ von Georges Bizet, inszeniert von Wim Wenders, Premiere

25.06.2017 | Oper

Berlin/Staatsoper: „LES PÊCHEURS DE PERLES“ von Georges Bizet, inszeniert von Wim Wenders, Premiere, 24.06.2017

Perlfischer, Olga Peretyatko-Mariotti (Leila), Foto Donata Wenders
Olga Peretyatko-Mariotti (Leila). Copyright: Donata Wenders

Seit Monaten sind sämtliche Aufführungen von „LES PÊCHEURS DE PERLES“ (Die Perlenfischer) ausverkauft. Wahrscheinlich wegen der beiden Hits, die wohl fast alle Opernfreunde kennen: die Arie des Nadir und das Freundschaftsduett Nadir-Zurga, kombiniert mit dem Wunsch, endlich die ganze Oper auf der Bühne zu erleben.

Noch wahrscheinlicher zog/zieht der Name des international hochgeschätzten Filmregisseurs Wim Wenders, der – nach dem geplatzten Bayreuther Wagner-Projekt – nun an der Staatsoper im Schiller Theater erstmals eine Oper inszeniert hat. Daniel Barenboim hatte ihn eines Tages angerufen und ihm dieses Angebot gemacht. Für Wim Wenders eine totale Überraschung.    

Schon die Vorgeschichte, die er selbst auf der Pressekonferenz und im Fernsehen erzählt hat, ist filmreif: als junger Filmemacher in San Francisco hat er in den 1970er Jahren in einer  Juke-Box diese Melodien gehört, und dann dort diese Platte jedes Mal wieder gewählt.
Diese in meinen Augen (besser: Ohren) zu Unrecht übersehene (oder überhörte) Oper spielte in meinem Leben einmal eine wichtige Rolle“, äußert er in dem im Programmheft abgedruckten Interview. „Das war vielleicht nicht unbedingt ein musikalischer Grund, sondern ein emotionaler, womöglich sogar ganz persönlicher“,  räumt er ein.

Dann saß er mit Barenboim zusammen, und der machte ihm einige Vorschläge, fragte aber auch, ob er selbst eine Idee hätte. Als Wenders ihm „Die Perlenfischer“ vorschlug, war Barenboim sehr erstaunt. Doch er ließ sich die Partitur kommen, blätterte hier, schaute dort und sagte nach einigen Minuten:
„Ja, das gefällt mir, das ist schön! Wissen Sie: Ich habe das nie gespielt , und nur einmal in meinem Leben gehört, in Tel Aviv, als junger Mann. Und die Arie des Nadir, die Ihnen so gut gefällt, wurde von einem unbekannten spanischen Tenor gesungen, namens Plácido Domingo! Auf Hebräisch. Lassen Sie uns das machen. Ich freue mich darauf“. Und das ist seinem Dirigat in der Premiere anzumerken. Schön, kitschfrei und achtsam die Sänger unterstützend musiziert die Staatskapelle Berlin unter seiner Leitung.

„It’s never to late
“, lässt sich dazu feststellen. Zwei „Neulinge“ haben sich also an die Arbeit gemacht und per saldo das Publikum begeistert. „Anfängerglück“ sagt Wim Wenders zu mir hinterher beim Premierenempfang.
Doch Glück hat was mit Können zu tun und bei Wenders auch mit Bescheidenheit. Der muss sich nichts mehr beweisen und hat sich auf dem neuen, für ihn schwierigen Terrain vorsichtig bewegt, hat keinen Reißer inszeniert und sich darüber hinaus von der Sängerin und den drei Sängern gerne beraten lassen.
Diese Art der Zusammenarbeit hat ihnen, wie zu erfahren war, sehr gefallen. Dass sie in der Aufführung so oft an der Rampe singen, naja, das ist vielleicht auch ein Ergebnis dieser Beratung. So kommt das Gesungene am leichtesten hinüber zum Publikum, das mit Zwischenbeifall nicht geizt.

Wim Wenders und sein Bühnenbildner David Regehr entfernen sich jedoch vom eigentlichen  Spielort, der Insel Ceylon (heute Sri Lanka). Sie lassen die Perlenfischer an einem mythischen Ort, einer Insel in einem der Sieben Meere, agieren und tauschen das Exotische gegen Allgemeingültiges. Die Wellen plätschern, aber alles geschieht auf einem großen Strand ganz ohne Requisiten. Für Wenders gibt es hier nur die Menschen und das zwischen Tag und Nacht wechselnde Licht (von Olaf Freese).

Zusammen mit der Kostümbildnerin Montserrat Casanova hat er auch die Kostüme entwickelt. Zeitlos und nicht folkloristisch sollten sie sein. Und so ist es. Nichts Buntes, nirgendwo, auch nicht beim fabelhaft singenden und spielenden Chor, einstudiert von Martin Wright. Grau, Schwarz und als Farbtupfer etwas Rot, z.B. durch  rot gefärbte Haare.

Wichtig werden hierbei die gelungenen Videoprojektionen von Donata Wenders & Michael Schackwitz. Sie vermitteln das tropische Umfeld bei der Tempelszene und fangen immer wieder im Großformat das geheimnisvolle, von wehenden Schleiern umhüllte Gesicht der Brahmanenpriesterin Leila ein, später auch ihr Gesicht als Kind, das den Flüchtling Zurga  versteckt und ihr als Dank eine Kette um den Hals legt. Die wird sie später retten.

Etwas Romantik darf also sein, ansonsten herrscht eher Strenge Nach Wenders Worten wollte er nicht was zum Gucken bieten, sondern die Geschichte möglichst einfach erzählen und das Publikum zum Hören veranlassen! Karg wirkt dieses Setting schon, vermeidet so aber jeden Anflug von Süßlichkeit, die dieser Oper oft bescheinigt wird und Intendanten zögern lässt. Falsch. Diese Oper des 25jährigen Bizet ist – 12 Jahre vor dem Welterfolg „Carmen“ – ein verkanntes frühes Meisterwerk und wird hier in der Originalfassung von 1863 gespielt.

Die entgegen gesetzte Version konnte ich im Juli 2016 als Gastspiel der Oper Wroclaw unter der Leitung von Ewa Michnik beim Opernfestival auf der Insel Saaremaa erleben. Die Perlenfischer in indisch inspirierten kostbaren Kostümen und mit fabelhaften Interpreten.
Das muss ich nicht unbedingt haben, denn auf die Musikdarbietung und die Interpreten kommt es an, und die verdienen auch in Berlin großes Lob.

Mit leuchtendem, Met-erprobtem Sopran singt Olga Peretyatko-Mariotti die Priesterin Leila, die halb freiwillig, halb gezwungen jungfräulich bleibt, um die armen Fischer mit ihren gesungenen Gebeten vor den Gefahren des Meeres zu schützen.
Eine Rolle, die insbesondere anfangs darstellerisch schwierig zu sein scheint. Da bleibt es bei als priesterlich zu deutenden Handbewegungen und in Verzweiflungsphasen oft beim Händeringen früherer Machart. Erst im dritten Akt als Liebende, dann Erwischte und zum Tode Verurteilte überzeugt die Russin auch schauspielerisch.

Höhepunkt wird ihre Bitte an Zurga, nur sie zu töten und seinem untreuen Freund Nadir das Leben zu schenken, was erst recht Zurgas Zorn entfacht. Bekanntlich haben sich beide in die Priesterin verliebt, und zwar nur wegen ihres Gesangs. Welch eine zu einer Oper passende Idee! Genau daran hat sie der zurückgekehrte Nadir nach Jahren der Abwesenheit wieder erkannt und vergisst sofort seinen Treueschwur gegenüber dem Freund Zurga.

Perlfischer, Francesco Demuro (Nadir), Gyula Orendt (Zurga), Foto Donata Wenders
Francesco Demuro (Nadir), Gyula Orendt (Zurga). Copyright: Donata Wenders)

Mit hellem Tenor singt Francesco Demuro diese Rolle und seine berühmte Arie. Soviel Power wie einst der junge Domingo kann er nicht bieten, was sich auf YouTube nachhören lässt, dafür aber schöne lyrische Passagen. Ein kämpferischer Typ, der die ertappte Geliebte auch körperlich vor der wütenden Menge schützt, ist er auch nicht, soll er womöglich nicht sein.  Vielleicht soll er nur singen und steigert sich deutlich, als es schließlich um Leben und Tod geht.  

Zurga, der diese geheimnisvolle Priesterin immer wieder herbeirufen ließ, muss die schlechteren Ohren haben. Er hat sich die Liebe aus dem Herzen gerissen, hat sich verhärtet und damit wohl auch sein Gehör. Aber warum muss der beim anfänglichen Freundschaftsduett rechts hinten stehen und sozusagen dem Tenor das Feld überlassen?

Zurga ist doch (wie auch Wim Wenders zugibt) die eigentliche Hauptperson! Der hält später  – nach heftigem Eifersuchtsanfall und dem schnell bereuten Todesurteil – dennoch seinem Freund die Treue und revanchiert sich auch dafür, dass ihm die kleine Leila einst das Leben gerettet hat. Großartig, wie der 32jährige Gyula Orendt das singt und spielt, wie er seiner unterdrückten Liebe, seiner Wut und seiner Reue Ausdruck verleiht!
Aber er opfert sich, hat das Dorf angezündet, so dass die Fischer zum Löschen zurück rennen müssen und das Liebespaar fliehen kann, der Verräter Nadir und seine Leila. Zurga weiß genau, was ihm bevorsteht: Unter der Führung von Nourabad – der 76jährige Wolfgang Schöne mit noch immer kräftigem Bassbariton! – werden sie ihn lynchen. Gefasst erwartet er sein Schicksal.

Die Staatsoper, die diesen jungen Bariton in den eigenen Reihen hat, braucht wirklich keinen von ferne zu engagieren. Im allgemeinen Schlussjubel erhält er – nach Olga Peretyatko-Mariotti – zu Recht besonders starken Beifall.  

Ursula Wiegand

Die nächsten, ausverkauften Termine: 30.06., 02.07., 04.07 sowie eine weitere Staffel im Jahr 2018 am 13., 15. 21. und 28. April

 

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